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Von der Zionskirche nach Chiapas

Am Samstag feiert die Umweltbibliothek, zu DDR-Zeiten Ort für die basisdemokratische Opposition, ihren zehnjährigen Geburtstag. Heute sucht man nach Bedingungen für die politische Existenz  ■ Von Uwe Rada

Für ihren nächtlichen Überfall im Oktober 1987 hatte sich die Staatssicherheit einen anspruchsvollen Namen gegeben: „Aktion Falle“. Die Redaktion der Zeitschrift Grenzfall sollte in flagranti beim Druck des illegalen Machwerks erwischt werden. Was die Stasi wußte: Die Druckmaschine, auf der der Grenzfall gedruckt wurde, befand sich seit geraumer Zeit in den Kellerräumen der Umweltbibliothek (UB) in der Griebenower Straße in Mitte. Was die Stasi ebenfalls wußte: Ein IM in den Reihen der Grenzfall-Redaktion hatte auch sämtliche UB-Mitarbeiter, darunter Wolfgang Rüddenklau, zum nächtlichen Druck- Subbotnik zusammengetrommelt. Was die Stasi nicht wissen konnte: Der Trabi, mit dem der IM seine Opfer in die Zionskirche fahren wollte, hatte ein Problem – er sprang nicht an. So fanden Mielkes Truppen zwar eine Druckmaschine, aber keinen, der den Grenzfall druckte.

Während die einen heute im Bundestag, die andern auf dem Bauernhof, dritte wiederum bei der neuen Rechten und vierte im Alltag angekommen sind, steht bei den Aktivisten der Umweltbibliothek auch nach der Wende noch immer der alte Anspruch im Raum: oppositionelle Politik zu befördern. Doch wenn das Häufchen von zehn bis fünfzehn Anarchisten und Aufrechten am Samstag den zehnjährigen Geburtstag von Ostberlins erster basisdemokratischer und – wenn man so will – autonomer Gruppe begeht, geht es ihm nicht anders als vielen anderen DDR-Linken auch: Die Bürgerrechtler haben das Logo „Opposition“ medienwirksam an die Parlamente verkauft, während jenen, die sich nach wie vor als Oppositionelle verstehen, die Öffentlichkeit abhanden gekommen ist.

„Die Bundesrepublik ist viel mehr noch als die DDR eine Nischengesellschaft“, beklagt Wolfgang Rüddenklau heute den „Verlust des Politischen“. Als vor drei Jahren die zerstreuten Trotzkisten, Einzelgänger und Anarchos der DDR-Opposition im Haus der Demokratie versucht haben, einen neuen oppositionellen Konsens für die Bundesrepublik zu finden, sind sie gescheitert. „Über die Bewertung unserer Politik bis zur Wende waren wir uns einig“, erinnert sich Rüddenklau. „Über unsere Rolle in der BRD haben wir uns dagegen zerstritten.“

Doch das Lamentieren ist Rüddenklaus Sache nicht. Lieber schaut der 43jährige Grandseigneur der Ostberliner Anarchisten in die Zukunft. „Es gibt wieder Dinge, über die man sich verständigt“, freut er sich. Kleine Schritte, die den gescheiterten großen folgen. Kleine Schritte, das sind zum Beispiel die 66 Unterschriften, die unter eine Resolution der Umweltbibliothek zusammenkamen, als vor einem Jahr Bärbel Bohley dem Kanzler den Hof machte. „Wir, eine Reihe von Leuten, die auch das Regime in der DDR bekämpft haben, jedoch in der neuen Gesellschaft keine wirkliche Alternative zur DDR sehen können, fühlen uns wiederum auf freche Weise vereinnahmt“, hieß es in der Erklärung, die in der „Ex-Oppo-Szene“ durchaus für Aufregung sorgte.

Vereinnahmt zu werden, das war auch zu DDR-Zeiten ein wunder Punkt für die Oppositionellen der UB, die dank der Mithilfe von Pfarrer Hans Simon am 2. September 1986 erstmals eigene Räume in der Zionskirche gefunden hatten. Zwar war die „Aktion Falle“, bei der Rüddenklau neben vier weiteren Personen kurzzeitig verhaftet wurde, aus Mangeln an Beweisen aber wieder freigelassen werden mußte, der Stasi zum Schlag ins Wasser geraten. Doch die Freiräume, die sich die Umwelt- und Friedensaktivisten in den Kellerräumen der Zionsgemeinde mit einer eigenen Zeitschrift, den Umweltblättern, Veranstaltungen. Ausstellungen und sogar einem autonomen Cafébetrieb geschaffen hatten, wurden bald wieder enger. Spätestens die Verhaftungen auf der Luxemburg-Liebknecht- Demo im Januar 1988 haben gezeigt, daß nicht nur die Staatssicherheit, sondern auch die „Ausreiser“, die sich durch die Annäherung an die Opposition eine möglichst schnelle Bewilligung ihres Ausreiseantrags erhofften, dem Bemühen um bessere Lebensbedingungen in der DDR arg zu schaffen machten. „Die surreale Gegenwelt der Basisgruppen“, die die taz nach der „Zionsaffäre“ in den UB-Räumen ausgemacht hatte, die „halblegale Nische einer Gegenkultur“ (Rüddenklau), war nach nur einem Vierteljahr zu Ende. Und selbst die DDR segnete drei Jahre nach Gründung der UB das Zeitliche. Heute hat die Umweltbibliothek mehr BRD- als DDR-Jahre auf dem Buckel, machen Mieterhöhungen und Steuererklärungen den Aktivisten manchmal mehr zu schaffen als die bundesdeutsche Repression.

Wenn es nur in kleinen Schritten möglich ist, die Bedingungen für oppositionelles Handeln unter den neuen Verhältnissen auszuloten, hält man sich nicht selten an das, was man hat. Die „erste unabhängige Bücher- und Zeitschriftensammlung in Ostberlin“ ist auch heute ein schier unerschöpflicher Fundus für Archivare und Krämerseelen, aber auch für interessierte Zeitgenossen auf der Suche nach verlorenen Informationen. Was Rüddenklau so gerne und unprätentiös als die „Existenz eines Infoladens“ bezeichnet, unterscheidet sich von denselben in Westberlin ganz erheblich. Man diskutiert lieber, als daß man von vorneherein weiß, was richtig ist. Vor diesem Hintergrund sind nicht zuletzt die über 70 Ausgaben des telegraph, der Nachfolgezeitschrift der Umweltblätter, ein Stück politischer DDR-Kultur, die die Umweltbibliothek in den Westen retten konnte. Dabei unterscheidet den telegraph nicht so sehr die Themenpalette von den anarchistischen Blättern im Westen, sondern die Neugier, der genaue Blick, sich diesen Themen zu nähern.

Daß diese Themen mitunter auch ein bißchen weiter weg sein dürfen, warum nicht! Eine Antwort auf die zunehmende Globalisierung und Deregulierung heißt für Wolfgang Rüddenklau deshalb internationale Vernetzung. Beim Kongreß gegen den Neoliberalismus im mexikanischen Chiapas war deshalb auch die Umweltbibliothek vertreten, für die die Mexikoarbeit mittlerweile zu einem der Schwerpunkte geworden ist. Demnächst wird die UB sogar mit einer Mexiko-Homepage ins Internet gehen.

Zwar wird auch heute in der Schliemannstraße noch gerne die Frage gestellt, was man denn eigentlich sei: Infoladen, Treffpunkt, Kneipe, ein Ort für einen Haufen Verrückter, die ein Archiv betreiben, von dem kaum noch einer etwas wissen will. „Vielleicht geht es aber auch darum, einfach weiterzumachen und dazusein“, sagt UB- Mitarbeiter Dirk Teschner, wie Rüddenklau Redakteur des telegraph. Die „Wende“ in der DDR, das war ja auch die Erfahrung, das alles anders kommen kann, als man glaubte – eine Erfahrung, die zu machen den Bundesbürgern bislang nicht vergönnt war.

Die Zehnjahresfeier beginnt am Samstag um 10 Uhr in der Zionskirche mit einem Konzert von Bettina Wegner, einer Predigt von Hans Simon und Beiträgen der UB. Ab 15 Uhr findet in der Schliemannstraße ein Straßenfest mit Podiumsdiskussionen, Videofilmen, einer Ausstellung und viel Musik statt.

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