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„Für das Amt war unser Lesbischsein kein Thema“

■ Eine lesbische Pflegemutter über ihre Erfahrungen: Das Jugendamt reagierte tolerant, doch bei den leiblichen Eltern gab es Vorbehalte. Anonyme Anrufe und Drohungen

Christine S. (45), Erzieherin, hat eine erwachsene Pflegetochter, die von ihrem 11. bis zum 18. Lebensjahr bei ihr lebte. Vor zwei Jahren hat sie mit ihrer 35jährigen Freundin Ulla K. ein zweijähriges Mädchen aufgenommen. Gegenüber dem Jugendamt sind sie offen als lesbisches Paar aufgetreten.

taz: Sie haben beide Pflegekinder auf ungewöhnliche Weise kennengelernt.

Christine S.: Ich habe damals als Erzieherin in einem Heim gearbeitet, und ein elfjähriges Mädchen, Alexandra, hatte sich in den Kopf gesetzt, zu mir zu ziehen. Sie hat mich anderthalb Jahre lang bearbeitet. Ich hatte zuerst wenig Lust, meine Freiheit aufzugeben, und diese Verantwortung hat mir auch angst gemacht. Aber irgendwann dachte ich, warum eigentlich nicht. Wie reagierte das Jugendamt?

Ich war immer lesbisch, hatte aber gerade zu der Zeit eine Beziehung mit einem Mann. Und trotzdem war es ganz schwierig, das Pflegekind zu bekommen. Die Heimpsychologin, die meine Kollegin war und auch das Kind kannte, hatte ein sehr traditionelles Familienverständnis. Sie hat immer nach einer Männerfigur gefragt. Ich wollte meinen Freund aber gar nicht miteinbeziehen, weil mir klar war, daß das keine dauerhafte Beziehung war.

Es war also schon schwierig genug, als alleinerziehende Mutter aufzutreten?

Ja. Und wenn Alexandra jünger gewesen wäre, hätten sie sie mir auch nicht gegeben. Sie war schon elf Jahre alt, und die dachten wohl: Die werden wir ohnehin nicht mehr los. Ein Pflegekind ist billiger für den Staat. Ein Heimplatz kostet 3.000 Mark im Monat, der Pflegeplatz etwa 500 Mark.

Nach der Trennung von Ihrem Freund haben Sie sie alleine aufgezogen?

Für Alexandra war es klar, daß ich ganz viel mit Frauen zusammen mache. Das war für sie nie ein Problem. Sie hat das auch ihrer leiblichen Mutter erzählt. Die hat dann ein paar blöde Bemerkungen über Lesben gemacht, die mir Alexandra gar nicht erzählen wollte. Aber das hat sie nicht verunsichert.

Was hat Sie und Ihre Freundin bewogen, ein zweites Kind aufzuziehen?

Ich wollte gerne mit einem Kind zusammenleben. Und Ulla wollte gerne einem Kind ein Zuhause geben, denn sie ist auch nicht bei ihrer leiblichen Familie aufgewachsen.

Was hat sich in Eurem Zusammenleben verändert?

Das Schlimmste ist, daß jede Spontaneität verloren gegangen ist. Wir sind darauf angewiesen, daß Freundinnen uns besuchen kommen, und die wollen oft lieber ausgehen. Von vielen bin ich ziemlich enttäuscht. Die ziehen sich langsam zurück, und keine gibt es zu. Auch wenn ich direkt frage. Einige Freundschaften sind dabei draufgegangen.

Wie hat sich Eure Beziehung durch das Pflegekind verändert?

Meine Freundin sagt manchmal, sie wüßte nicht genau, ob sie sich noch mal dafür entscheiden würde. Wir mußten uns damals schnell entscheiden. Wir wollten eigentlich ein etwas älteres Kind haben. Die Kleine war ja quasi ein Säugling. Das erste halbe Jahr war eine Tortur. Meine Freundin hat es auch schwerer als ich, denn ich bin die primäre Bezugsperson. Sie wird in bestimmten Situationen ignoriert, es gibt kleine Machtkämpfe. Wenn die zu zweit sind, ist es klasse, zu dritt ist es manchmal schwierig.

Gitti will Sie allein haben.

Ja, aber das ist von ihrer Geschichte her völlig klar. Sie hatte nichts für sich allein, nicht einmal ein Stofftier. Wir haben mit ihr wirklich Glück gehabt. Sie ist ein sehr kluges, temperamentvolles Kind.

Zu dem zweiten Kind sind Sie auch auf ungewöhnliche Art und Weise gekommen.

Ich habe in einer Zufluchtswohnung für Frauen gearbeitet. Eine Sinti-Frau hat mich gefragt, ob ich ihr Kind zu mir nehmen kann, weil sie überfordert war.

Gegenüber dem Jugendamt sind Sie und Ihre Freundin offen als lesbisches Paar aufgetreten. Wie haben die reagiert?

Ich hatte eine tolle Sachbearbeiterin. Unser Lesbischsein war gar kein Thema. Ich habe auch mit ihr darüber gesprochen, daß von der Familie Angriffe und Drohungen kamen. Sie hat gesagt, das geht die Familie überhaupt nichts an, wie ich lebe.

Was für Konflikte gibt es mit der Familie?

Die verstehen nicht, daß es für das Kind zwei Leben gibt, einmal ihre Wurzeln, ihre Ursprungsfamilie, was ich auch ganz wichtig finde, und andererseits aber ihr Leben bei uns. Die beiden Leben klaffen zum Teil sehr auseinander. Die ältere Schwester, die bei den Großeltern lebt, ist jetzt schon neidisch. Gitti weiß viel mehr als sie.

Inwiefern wurden Sie bedroht?

Das waren anomyme Anrufe, Frauenstimmen. Sie sagten, wir bringen dich mit dem Hackebeil um. Es kamen auch lesbenfeindliche Sprüche. Die Familie hat immer abgestritten, daß sie das waren. Es war schrecklich. Ich kann das auch nicht so ganz vergessen.

Wie geht Gitti damit um, daß sie bei einem lesbischen Paar lebt?

Das haben wir noch nie problematisiert. Sie hat das auch nie angesprochen.

Wie haben Sie den Konflikt mit der Familie beigelegt?

Die Mutter hatte keine Vorurteile gegenüber Lesben, sie hat sie zumindest nicht geäußert. Mit der Großmutter habe ich mich richtig gestritten. Ich habe ihr die Meinung gesagt, danach hatte sie Respekt und hat sich sogar entschuldigt. Es gibt aber auch Konflikte um den Kontakt mit Gitti. Die Großmutter will immer bestimmen, wann die Besuche stattfinden, egal ob wir etwas vorhaben oder nicht, das interessiert sie gar nicht. Sie meint, die Familie ist wichtiger. Wenn die Kleine Freunde eingeladen hat, heißt es, wo gibt es denn so etwas, das sagt Ihr ab. Manchmal ist das schon schwierig. Gespräch: Dorothee Winden

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