: "Wir waren schon immer bürgerlich"
■ Jürgen Trittin, Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, ist gegen die strenge Ost-West-Diskussion bei der Sager-Nachfolge und kritisiert Teile des Realo-Flügels: Sie stellen das Profil der Grünen in
taz: Kandidieren Sie wieder für das Amt des Parteisprechers?
Jürgen Trittin: Das teile ich erst den Delgierten mit und dann der geneigten Presse.
Die Ost-Landesverbände gehen von Ihrer Kandidatur aus. Sie suchen bereits in ihren Reihen eine passende Sprecherin — finden aber keine.
Das Gerede, es bedürfe einer speziellen Nachfolge für Krista Sager, verkennt, daß auf dem Parteitag in Suhl jeder Posten im Vorstand zur Wahl steht. Und wer aktiv werden möchte, kann entsprechend kandidieren.
Aber die Ost-Landesverbände beklagen eine zu geringe Präsenz im Vorstand. Können Sie deren Position nachvollziehen?
Wir haben immer Wert darauf gelegt, daß die Ostdeutschen, aber auch die Vielfalt der Strömungen sich im Vorstand widerspiegelt. Die Entscheidung liegt letztendlich beim Parteitag und hängt auch davon ab, wie einheitlich der Osten seine Position vertritt. Das war bekanntermaßen 1994, als Christiane Ziller gegen Krista Sager unterlag, nicht der Fall.
Einheitlicher ist der Osten mittlerweile in seiner Bewertung der PDS. Die dortigen Landesverbände fordern in einem Positionspapier, daß eine wie auch immer geartete politische Zusammenarbeit auf Bundesebene nach den Wahlen 1998 ausgeschlossen ist. Teilen Sie diese Auffassung?
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß die ostdeutschen Landesverbände ihre Position zur PDS der ostdeutschen Realität, auch der eigenen, angepaßt haben. Sie haben explizit erklärt, daß man die PDS in die Verantwortung zwingen muß und daß das auch in den ostdeutschen Ländern passiert. Über alles weitere, über Wahlaussagen 1998 wird im Vorfeld der Bundestagswahl entschieden. Ich halte nichts davon, solche Dinge vorab als Glaubenskrieg auszutragen. Dazu besteht kein Anlaß, denn zur Zeit ist die PDS nicht koalitionsfähig.
Sie lassen die PDS-Frage offen?
Ich lasse die PDS-Frage offen, weil die Entwicklung der PDS offen ist. Was ich nicht mitmache, ist eine Politik, die gegenüber den Erben des Parteiensystems der DDR mit unterschiedlichen Maßstäben mißt.
Nun fordern die Ost-Landesverbände, daß die PDS erst einmal eine volle Legislaturperiode in einer Landesregierung ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellt, bevor an eine Koalition auf Bundesebene zu denken wäre. Das ist bis 1998 kaum möglich.
Das ist ungefähr so vorwärtstreibend, wie die Forderung des seinerzeitigen Regierenden Bürgermeisters von Berlin Walter Momper, die Alternative Liste müsse den alliierten Vorbehalt anerkennen, bevor es zu einer Koalition komme. Nun hat sich das als das geringste Problem herausgestellt. Es wäre dumm, Mompers Fehler zu wiederholen. Mein Ziel ist es, die CDU von der Regierung zu verdrängen. Und dieses Ziel sollten wir nicht aus dem Auge verlieren.
Sie werfen auch den Parteirechten vor, dieses Ziel aus den Augen verloren zu haben. Sie attestieren ihnen, ihr Agieren ziele objektiv nicht auf eine Regierungsbeteiligung, sondern auf eine Beschädigung grüner Wahlaussichten. Wen genau trifft dieser Vorwurf?
Das zielt auf eine Minderheit im Realo-Lager, die z. B. Schäubles Gerede, man müsse die Vollkaskomentalität in der Gesellschaft bekämpfen, übernehmen. Ich sehe darin den Versuch, den breiten Konsens der auf dem Parteitag in Mainz zu Wirtschafts- und Sozialpolitik gefunden wurde, so zu verlassen, daß von einer strategischen Orientierung auf eine ökologische und soziale Reformpolitk nichts mehr übrig bleibt.
Warum machen Sie soviel Aufhebens davon, wenn es nur Einzelstimmen sind, wie Sie sagen?
Diese Einzelmeinungen sind geeignet, das Profil der Grünen insgesamt in Frage zu stellen. Es gibt eine geneigte Öffentlichkeit, die immer dann hellhörig wird, wenn sie unterstellen kann, daß die Grünen auf die CDU zugehen. Die transportieren solche Ideen, was dann wiederum in der Partei für Verdruß sorgt und bei einzelnen gar kalte Wut hervorruft.
Dieses vermeintliche Interesse der geneigten Öffentlichkeit steht anscheinend durchaus im Einklang mit dem Willen der Wähler der Grünen. Der Mainzer Politikwissenschaftler Falter kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, daß die Grünen immer mehr zu einer Mittelschichtspartei und weltanschauungsmäßig zu einer Partei der linken Mitte werden. Steht das nicht im Widerspruch zu ihrem Vorwurf?
Auch ich nenne die Grünen eine Partei der linken Mitte. Das ist nicht der Dissens. Falter setzt in einer etwas ökonomistischen Weise die soziale Mittellage gleich mit einem entsprechenden Bewußtsein. Er stellt nicht in Rechnung, daß auch in diesen Mittellagen Erfahrungen temporärer Arbeitslosigkeit gemacht werden und dort Forderungen nach Arbeitszeitreduzierung sehr populär sind. Das setzt ein funktionierendes soziales System voraus. Das ist der Grund, weshalb diese soziologische Mitte sich links definiert.
Daß es eine, wie Falter sagt, Verbürgerlichung des Wählerklientels gibt, ist aber doch unbestreitbar.
Das ist falsch. Das würde unterstellen, daß diejenigen, die auf unseren Wahlveranstaltungen sind, und daß diejenigen, die die soziologische Basis der Parteimitgliedschaft stellen, allesamt Sonderlinge sind. Die Grünen waren schon immer bürgerlich. In der Tat gibt es heute Leute bei uns, die gut Geld verdienen, es gibt aber auch eine ganze Reihe, die im hohen Maße ungesichert sind. Wenn ich feststelle, daß wir gerade in den innerstädtischen Gebieten mit einer hohen Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern unsere besten Wahlergebnisse erzielen, dann kann man mir nicht erzählen, daß diese Stimmen von den dort auch ansässigen Studienräten kommen.
Das bedeutet für die Grünen- Politik?
Die politisch interessante Frage ist: Sollen sich die Grünen vom Sozialstaat verabschieden oder nicht. Daran entscheidet sich, was links und was rechts ist. Da gibt es bislang innerhalb der Grünen eine klarere Zuordnung zur linken Geschichte als innerhalb der SPD.
Gibt es denn einen Rechtstrend bei den Grünen?
Ich sehe eher eine Umsortierung der Partei. Nachdem sich 1991 der Fundamentalismus in der Partei erledigt hat, wurde sie getragen von einem breiten Konsens aufgeklärter Realos und des Linken Forums. Das fächert sich heute auf. Es gibt links wie rechts Refundamentalisierungen. Das wird noch eine spannende Entwicklung werden. Die wird allerdings noch nicht die praktische Orientierung der Partei zur Bundestagswahl berühren. Da prophezeie ich eine Zweidrittelmehrheit für eine ökologisch-soziale Reformpolitik mit den entsprechenden wahltaktischen Optionen.
Viele Grüne haben diese Wahl doch schon abgeschrieben.
Diese Wahl ist noch nicht entschieden. Gerade vor dem aktuellen Hintergrund der Sparpolitik ist es lohnend, für andere Mehrheiten zu kämpfen. Ich verstehe den Kleinmut mancher Leute nicht. Die wachsende Zahl von grünen Landesregierungen ist doch Anlaß zu Optimismus. Da sollte man doch bundespolitisch mehr Steherqualitäten beweisen.
Geht es nach dem Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, wird es einen Ifor- Folgeeinsatz der Bundeswehr geben. Steht den Grünen demnächst womöglich wieder ein Disput um Militäreinsätze ins Haus?
Was in Bosnien zur Zeit nottut, ist nicht ein Geschwätz über weitere Kampftruppen, wie wir es von Herrn Rühe hören, sondern erstens eine Stärkung der zivilen Aufbauhilfe. Zweitens darf die Bundesregierung nicht massenhaft in diese Gebiete abschieben und damit den fragilen Friedensprozeß gefährden. Drittens wird es notwendig sein, friedenserhaltende Einheiten bereitzuhalten. Das sind keine Kampfeinheiten, wie Herr Rühe sie will. Es ist ein klassisches Feld für einen Blauhelmeinsatz nach Kapitel VI der UN-Charta. Die Bundesregierung ist aufgefordert, den Vereinten Nationen entsprechend ausgebildete Peacekeeping-Einheiten zur Verfügung zu stellen.
Das wird bis zum Dezember kaum passieren.
Das passiert deshalb nicht, weil ein gewichtiges Mitglied der Nato, die Bundesrepublik Deutschland, es nicht anstrebt. Das muß man doch nicht als unabänderlich hinnehmen.
Wäre für die Grünen ein Einsatz von deutschen Soldaten auch auf dem Gebiet Bosniens akzeptabel?
Im Rahmen der Nato nein. Wenn es ein Einsatz ist, wie ich ihn skizziert habe, fällt für uns der historische Vorbehalt weg. Denn es ist kennzeichnend für solche Einsätze, daß sie im Konsens mit den Konfliktparteien stattfinden.
Die Durchführung des Dayton- Abkommens hat gezeigt, daß nicht alles im Konsens mit den Konfliktparteien regelbar ist, sondern einiges militärisch durchgesetzt werden muß. Der Bonsien-Beschluß der Grünen akzeptiert nur eine leichte Bewaffnung. Damit ist die Aushebung von Waffenlagern oder die Sicherung der Rückkehr der Flüchtlinge kaum möglich.
Bei der Frage der Bewaffnung kommen wir schnell in eine technische Diskussion. Entscheidend ist der politische Charakter des Einsatzes. Unter den Bedingungen des Kapitel VI und unter der Oberherrschaft der UN und bei Existenz entsprechender Verbände sind wir dafür.
Werden sich die Partei und die Fraktion an dieser Frage ähnlich heftig entzweien wie bei der Abstimmung über den Ifor-Einsatz in Bosnien?
Ich gehe davon aus, daß vor dem Hintergrund des realitätstüchtigen Bosnien-Beschlusses des Bremer Parteitages es zu keiner großen Kontroverse kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen den Kriegsspielen von Herrn Rühe ihre Zustimmung erteilt. Interview: Dieter Rulff
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