: Schulen hinter Schloß und Riegel
Steglitzer Schüler wehren sich mit der Besetzung von drei Schulen gegen die Kürzungen der Lehr- und Lernmittel. LehrerInnen erklärten sich teilweise solidarisch. Zum Abschluß eine Demo ■ Von Ute Sander
Es ist 6 Uhr morgens. 55 Schüler schleichen um das Gebäude des Fichtenberg-Gymnasiums in Steglitz und verrammeln die Eingänge mit Ketten und Schlössern. Zeitgleich werden zwei weitere Steglitzer Schulen – die Rheingauschule und das Beethoven-Gymnasium – verbarrikadiert, die Aktion gegen die Sparmaßnahmen des Senats und der Bezirke wurde von den SchülerInnen gemeinsam geplant.
Als eine Stunde später die ersten Lehrer vor den verschlossenen Toren des Fichtenberg-Gymnasiums stehen, zeigen sich diese entgegen den Befürchtungen der Schüler solidarisch mit ihnen. Nicht ohne Grund, denn die Etatkürzungen an den Schulen treffen Lehrende und Lernende gleichermaßen.
„Da sind viele Kleinigkeiten zu einem großen Ganzen angewachsen“, erklärt Heinz-Gerd Brüning, Physiklehrer der Schule. Geld für neue Lehrmittel stünden nicht zur Verfügung, weil der Bezirk sparen muß. „Die Mathebücher sind inzwischen total zerfleddert“, erzählt Lehrer Brüning.
Steglitz ist kein Einzelfall. Nahezu in allen Bezirk wird der Etat für die Lehrmittel zusammengestrichen, um damit andere Aufgaben zu finanzieren. Beispiel Schöneberg: Dort sank der Satz von jährlich 116 Mark pro SchülerIn auf 35 Mark. Der Sparkurs macht sich an vielen Stellen bemerkbar: „Die Klassenfrequenz hat sich im Schnitt um drei Personen erhöht, so daß zum Teil bis zu 36 Schüler in einer Klasse sitzen“, erklärt Marion*, eine der OrganisatorInnen der Protestaktion. „Zudem beträgt das Durchschnittsalter unserer Lehrer 51 Jahre, es gibt einen Einstellungsstopp für junge LehrerInnen, und die Profilkurse fallen weg.“
An der Beethoven-Schule hat die Geldknappheit schon so weit geführt, daß Schüler der siebten Klassen eigene Stühle mit in die Schule gebracht haben.
„Ich denke, die Hausbesetzung ist schon mal ein kleines Zeichen der Schüler gegen die Kürzungen“, freut sich Frau Graf, Lehrerin für Deutsch und Englisch. „Meiner Meinung nach ist es auch eine ganz spezielle Aufgabe von uns Lehrern, die Schüler wachzurütteln. Ich lege Wert darauf, auch im Unterricht gezielt auf die derzeitige Situation aufmerksam zu machen.“
Die Härte der Einschnitte wird den Schülern langsam deutlich, sind doch auch die Klassenfahrten den Einsparungen zum Opfer gefallen. Gefördert werden soll in Zukunft nur noch der Besuch von Gedenkstätten und der Austausch unter den Schulen.
Angesichts dieser Situation war die Solidarität unter den Mitschülern das bestimmende Prinzip der gestrigen Hausbesetzungen. Obwohl am Fichtenberg-Gymnasium bereits um 7.30 Uhr fünf Polizisten die Türen aufbrachen, wurde die Aktion nicht unterbrochen. Die Schüler hielten zusammen, Siebtklässler blockierten gemeinsam mit den „Großen“ die Eingänge.
„Wir wollten nich' wieder so 'ne ordinäre Demo, wo alle nur hingehen, weil sie dann unterrichtsfrei haben“, erklärt Marion die ungewöhnliche Aktion. Um die Leute auch wirklich vor Ort zu halten, wurde ein kleines Programm erdacht: Jonglierbälle, Diavolo- Spiele, Straßenkreide und diverse Musikinstrumente sorgten neben der Verköstigung durch eine Unmenge von Broten für Unterhaltung. Zum Abschluß zog ein gemeinsamer Demonstrationszug der drei Schulen mit 1.500 SchülerInnen vom Heinrich-Ehlers-Platz zum Rathaus Schöneberg.
*Name geändert
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