■ Wie kann die irrsinnige Geschwindigkeit der Globalisierung gebremst werden? Was kann man gegen das Prinzip der permanenten Unsicherheit tun? Mit den Berliner ProfessorInnen Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf sprach Ute Scheub: "Da hilft nu
taz: Das Schlagwort Globalisierung ist in aller Munde. Wann hat die Globalisierung begonnen?
Altvater: Mit der Wanderung der Menschen vor einigen zehntausend Jahren aus Ostafrika auf die anderen Kontinente ist der Mensch ein globales Wesen geworden. Und 1492, mit der Entdeckung Amerikas, begann die „europäische Rationalität der Weltbeherrschung“, wie es Max Weber genannt hat. Globalisierung bedeutet auch Europäisierung des Globus, Kolonialismus, ökonomischer und ökologischer Imperialismus. Die Europäer haben ihre Viecher, ihre Pflanzen und ihre Krankheiten in die anderen Kontinente gebracht. Dadurch veränderten sie den Globus in 500 Jahren mehr als die Evolution in Millionen Jahren zuvor.
Sie haben auch die Kartoffel geklaut, den Mais...
Altvater: ... und die Pferde und Rindviecher in die Pampa gebracht, die Karnickel nach Australien, die Karpfen in die großen Seen der USA, die dort ökologische Katastrophen anrichten.
Mahnkopf: Heutzutage kommt zum Abschluß, was damals begann: die Eroberung neuer Territorien, die Herstellung eines Weltmarktes. Seit 1989, seit dem Ende des Realsozialismus, gibt es keine weißen oder roten Flecken mehr. Jetzt werden die letzten Landstriche in China für die kapitalistische Marktwirtschaft erschlossen, in einem rasenden Tempo. Und wenn das kapitalistische Wachstum keine Möglichkeit der räumlichen Ausdehnung mehr findet, sucht es sich den Ausweg als Beschleunigung in der Zeit. Das ist das Neue an der Globalisierung am Ende des 20. Jahrhunderts.
War 1989 eine Zeitenwende im räumlichen und zeitlichen Sinne?
Altvater: Die einen sagen, die Globalisierung hat 1989 begonnen, die anderen: mit der Digitalisierung als dritter industrieller Revolution. Die dritten sagen: Mit dem Ende des Bretton-Wood-Systems 1973 und der Aufgabe der nationalstaatlichen Wechselkurse endete die wirtschaftspolitische Souveränität der Staaten. Die vierten sagen: 1991, mit dem Golfkrieg, ist eine neue Weltordnung installiert worden, wie es US-Präsident Bush nannte. Alles zusammen macht die Globalisierung aus.
Mahnkopf: Der Golfkrieg steht auch für den ersten Informationskrieg. Die Verbindungslinie zur Ökonomie ist die technologische Dimension: Computerübermittelte Information macht es möglich, daß die Wertschöpfung an jedem beliebigen Ort stattfindet.
Altvater: Mit den Computernetzen ist die Zirkulation des Geldes wahnwitzig beschleunigt worden, überall wurden sozusagen neue Autobahnen und Fluglinien für das Geld gebaut. Über diese neuen schnellen und flexiblen Finanzinstrumente kann Kapital, das früher langfristig angelegt war, heute kurzfristig mobilisiert werden, wenn die verschiedenen Zinsen und Renditen es nahelegen.
Dadurch entstand eine große Instabilität, die wiederum Anlaß für neue Risikosicherungsgeschäfte war. Man sichert sich gegen Zins- und Währungsschwankungen ab durch Optionen auf bestimmte Waren, durch Futures – Papiere, die erst in der Zukunft gehandelt, aber schon vorher gekauft werden.
Aber auch diese sogenannten Derivate, die doch der Absicherung dienen sollen, werden nun selber wieder zum Gegenstand der Spekulation. Dadurch entstehen wiederum neue Märkte für Optionen und Futures. Die müssen wieder abgesichert werden. Jedes Stockwerk, das gebaut wird, macht den Bau eines neuen Stockwerks nötig. Das ist ein ökonomischer Wolkenkratzer, der irgendwann womöglich zusammenkracht.
Mahnkopf: Diese Spekulationsgeschäfte werden mit Hilfe von Computern getätigt, die ständig Daten vergleichen und auf dieser Basis „entscheiden“, wann bestimmte Papiere abzustoßen sind. Dabei kommen schon sogenannte neuronale Netze zum Einsatz. Das sind Computerprogramme, die dem menschlichen Gehirn nachgebildet sind, das bekanntlich nicht nur „ja“ und „nein“ kennt, sondern auch „ziemlich“ oder „ein bißchen“, also Unschärfen.
Altvater: Wie das danebengehen kann, hat Nick Leeson demonstriert, der mit seinen Spekulationen mit Derivaten die Barings Bank ruiniert hat. Globalisierung bedeutet also weltweite Spekulation an den Termin- und Warenterminbörsen in Chikago, London oder Tokio. 1986 fand an der Londoner Börse der big bang statt: Aufhebung aller Kontrolle. Globalisierung ist gleichzeitig immer auch Deregulierung, aktiver Rückzug der Politik aus ökonomischen Prozessen.
Ist das nicht schon fast virtuelle Ökonomie?
Altvater: Leider nicht. Sie findet zwar virtuell in den Computernetzen statt, aber die Konsequenzen sind sehr materiell und handfest. Wenn die Barings Bank pleite geht, sind viele Arbeitsplätze weg.
Mahnkopf: Die Computer sorgen nur dafür, daß das Kapital schneller zirkuliert und die materiellen Prozesse schneller ablaufen. Auch die Produktionsprozesse selber werden durch den Einsatz von Computern enorm beschleunigt: Im Cyberspace konstruierte Autos kann man schon fahren lassen, bevor sie montiert werden.
Altvater: Spekulationswellen entstehen und verstärken sich selbst, weil alle Waren und Devisen und Optionen immer schneller umgeschlagen werden. Das System spielt verrückt und führt zu regelrechten Marktzusammenbrüchen – wie 1992/93 in Europa, als George Soros die Bank of England sprengte und das europäische Währungssystem zusammenbrach. Die Verluste – in diesem Fall 20 Milliarden englische Pfund – müssen letztlich immer die Steuerzahler bezahlen.
Mahnkopf: Der berühmte schwedische Sozialstaat ist unter anderem auch deshalb zusammengebrochen, weil die schwedischen Banken sich in Großbritannien bei Immobiliengeschäften kräftig verspekuliert hatten. Der schwedische Staat konnte es sich nicht leisten, die Banken pleite gehen zu lassen, also mußten öffentliche Mittel her, das Haushaltsdefizit ist dadurch sprunghaft angestiegen.
Und das deutsche Defizit?
Altvater: Das ist nicht durch Spekulation zustande gekommen. Der Ökonom Galbraith hat schon in den 50er Jahren ein Buch geschrieben: „Öffentliche Verschuldung, privater Reichtum“. Öffentliche Schuld ist Ausdruck öffentlicher Armut, der Gegenposten ist privater Reichtum. Die reichen Privatbesitzer von Bundesschatzbriefen und Kommunalobligationen werden durch die Zinszahlungen fleißig bedient. 44 Prozent des Berliner Haushalts geht in den nächsten Jahren für Zinszahlungen drauf. Die sind sakrosankt, an eine Zinsbeschränkung will niemand ran, das wird in der öffentlichen Debatte über Staatsverschuldung nicht mal thematisiert. Nicht sakrosankt sind die restlichen 56 Prozent für Bildung, Soziales, Kultur, da wird dann rumgeschnitten – in den Bundesländern, im Bund, in anderen Staaten.
Was wäre, wenn ein Staat den Staatsbankrott erklären würde?
Altvater: Früher hat es das häufig gegeben. Heute aber würde er bedeuten, daß die internationalen Banken mitgerissen und wie Dominosteine fallen würden.
Mahnkopf: Wenn die japanischen Banken pleite gehen würden, wären die USA in katastrophaler Weise miteinbezogen, weil diese das US-Haushaltsdefizit mitfinanzieren.
Altvater: Früher war Karl V. gegenüber den Fuggern verschuldet. Wenn der Souverän nicht mehr zahlte, war die Bank pleite. Heute gibt es enge Beziehungen zwischen Schuldnern und Gesamtsystem, vermittelt über Weltbank und Weltwährungsfonds. Um zu verhindern, daß ein Staat bankrott geht, wird ihm Strukturanpassung verordnet: Soziales, Gesundheit, Bildung wird weggekürzt. Aus der Dritten Welt kennen wir das seit Jahren. Bei uns verordnet es nur nicht der IWF, sondern die Regierung oder die G7.
Mahnkopf: Noch eine andere Parallele zwischen sogenannter Erster und Dritter Welt: Der sogenannte informelle Sektor der Ökonomie wächst auch in den Industriestaaten. Immer größere Teile der Gesellschaft werden aus der regulären Ökonomie ausgeklinkt. Die vorkapitalistische Heimarbeit kehrt als Telearbeit zurück, und mit ihr wachsen die informellen Arbeitsverhältnisse – auf Kosten der rechtlich und sozial geschützten „Normalarbeitsverhältnisse“.
Das hat der algerische Befreiungstheoretiker Frantz Fanon schon Ende der 50er Jahre prophezeit: Die Kolonialisierung, die Dritte Welt selbst kommt zurück. Wer gewinnt dabei eigentlich noch etwas?
Altvater: Die Konsumenten. Man kann bald in jedem Ort der Welt alles kriegen. Es gibt überall in Berlin Wein aus Neuseeland oder Chile zu kaufen. Die Produzenten allerdings verlieren dabei. Laut Gatt und Welthandelsordnung sind das „like products“, vergleichbare Produkte werden vergleichbar behandelt, und dadurch werden die Arbeitsbedingungen, Löhne, sozialen Strukturen, ökologischen Bedingungen gleichgemacht und nach unten nivelliert. Anderes Beispiel ist Bier, ein typisch örtliches Produkt, die Fässer sind ja schwer. Trotzdem ist es inzwischen billiger, ein Faß Bier von Argentinien nach Hamburg zu bringen als von Hamburg nach Hannover. Das verursacht enorme ökologische Schäden.
Was würden Sie als Wirtschaftsminister und als Bundeskanzlerin tun?
Mahnkopf: Natürlich würde ich alles Mögliche unternehmen, um der Irrationalität Einhalt zu gebieten. Warum muß man immer und zu jeder Zeit neuseeländischen Wein vorrätig haben? Wäre es nicht angemessener, lokalen Wein...
Altvater: ... aus Kreuzberg ...
Mahnkopf: ... zu trinken? Nun ja, die Kreuzberger Traube ist vielleicht eine zu herbe Zumutung. Dennoch geht es um eine Regionalisierung der Produktion. Und die ist nur durch eine kräftige Energiesteuer zu erreichen, die die Transporte verteuert. Fielmann zum Beispiel produziert seine Gläser so günstig, weil es sich lohnt, die Gläser per Flugzeug nach Belorußland zu bringen, wo sie geschliffen und binnen einer Woche zurückgeflogen werden.
Altvater: In Tunesien werden jetzt Textilien mit Laser zugeschnitten, auf telefonische oder elektronische Anweisung aus der Bundesrepublik. Die Näherinnen warten zu Hause auf Abruf, nähen das zusammen, und innerhalb von zwei Tagen liegt das hier bei C&A.
Mahnkopf: Zugegeben: Nicht alle Probleme lassen sich durch eine Energiesteuer lösen. Auf diese Weise werden nicht alle Produktionen rückholbar sein. Weder die Bekleidungsindustrie noch die neuen digitalen Dienstleistungen. Heutzutage gibt es überall auf der Welt qualifiziertes Personal, das mit den neuen Techniken umgehen kann.
Was ja durchaus zu begrüßen ist, wenn nur die ökologischen Folgen dieser Art von weltumspannender Produktion nicht wären. Was also würde der Wirtschaftsminister machen?
Altvater: Entschleunigen, re-regionalisieren. Ich würde die Ökosteuer durch eine Kapitalverkehrssteuer ergänzen, die die Spekulation bremst und das Kapital entschleunigt, indem Transaktionen auf den internationalen Finanzmärkten besteuert werden. Ich würde eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit anordnen und ein steuerfinanziertes Mindesteinkommen einführen, um die zunehmende Entkoppelung von Arbeit und Einkommen aufzufangen. Sonst werden auch in den reichen Ländern viele Menschen in eine neue Armut absacken.
Ihre Regierung hat also eine Ökosteuer und eine Kapitalverkehrssteuer erlassen. Das Kapital ergreift die Flucht, und Sie stehen ziemlich bedeppert da.
Mahnkopf: Genau deswegen macht es keinen Sinn, eine Kapitalverkehrssteuer national zu erlassen, wenn man gleichzeitig innerhalb Europas jede Menge Steueroasen duldet. Das muß man auf gesamteuropäischer Ebene regeln. Die deutschen Direktinvestitionen gehen außer in die USA zum Großteil nach Belgien oder Irland. Aber auch in Luxemburg, den Shetlandinseln oder Gibraltar werden Gewinne geparkt, weil dort wenig Steuern auf Gewinne zu zahlen sind.
Man muß Sie in den EU-Ministerrat versetzen.
Altvater: Und in die G7. Globalisierung bedeutet auch, daß ganze Nationen um das Kapital buhlen, indem sie deregulieren, Gewinnsteuern runtersetzen, Kontrollen aufheben. Solange diese sogenannte Standortkonkurrenz stattfindet, ist der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin relativ machtlos. Alle verhalten sich nach der Devise: Macht hoch die Tür, das Tor macht weit, komm, Kapital, in deiner Herrlichkeit.
Kluge Ökonomen haben zu der von Ihnen vorgeschlagenen Kapitalverkehrssteuer gesagt: In den 70er Jahren wäre das eine sinnvolle Maßnahme gewesen, heute ist es zu spät dazu. Denn es kommt zu Kapitalflucht, sobald sie nur national oder regional eingeführt wird. Und daß alle Länder der Welt sie gleichzeitig einführen, ist vollkommen illusorisch.
Altvater: Wenn die G7 sie einführen würden und die EU, dann hätte das schon einen enormen Einfluß. Zumal man damit die Weltbank und den IWF in diese Richtung bringen könnte – dort haben die G-7-Länder über 80 Prozent des Stimmrechts. Doch es fehlt der Wille dazu, selbst unter Sozialdemokraten und Grünen.
Was nützt denn heute noch der Wille von nationalen Politikern? Der Spiegel hat erst jüngst geschildert, wie sich die deutschen Topmanager selbst über die Regierung Kohl lustig machen, obwohl diese sich gehorsam alle Mühe gibt, die Lohnkosten zu senken.
Mahnkopf: Wenn man einmal das Prinzip akzeptiert hat, daß die Löhne zu hoch seien, dann gibt es kein Halten mehr. Der Ex-Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat das so formuliert: „Im Prinzip darf gering qualifizierte Arbeit nicht mehr kosten als auf dem indischen Subkontinent.“ Aber die Löhne sind eigentlich gar keine so relevante Größe mehr. Selbst in der Autoindustrie machen sie nur noch 25 Prozent der Kosten aus, in der Computerindustrie um 10 Prozent.
Warum schreit der Chefökonom der Deutschen Bank dann so laut, sie müßten um 20 Prozent runter?
Mahnkopf: Weil das die einzige Größe ist, die sich leicht beeinflussen läßt.
Altvater: Was nicht Lohn ist, ist Gewinn, und umgekehrt. Da setzt der Verteilungskampf an. Aber wir müssen auch über Gewinne und Zinsen reden. Wieso sind die sakrosankt? Als Wirtschaftsminister muß ich Weltbank und IWF darauf drängen, internationale Zinsvereinbarungen zu treffen. Den nationalen Ökonomien würde das viel mehr Spielraum verschaffen. Plus Ökosteuer ergäbe das viele Anreize, in regionalen Kreisläufen zu produzieren und zu konsumieren.
Gibt es den alten Gegensatz von Kapital und Arbeit überhaupt noch?
Mahnkopf: Die kalifornische Spielwarenfirma Galoob Toys erzielt mit 200 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 200 Millionen Dollar. Die Produktideen kommen von unabhängigen Erfindern. Die Entwicklung findet in unabhängigen Ingenieurbüros statt. Produziert wird bei einem Subunternehmen in Hongkong, und das bezieht die Vorprodukte von chinesischen Zulieferern. Die fertigen Spielwaren werden dann von freiberuflichen Vertragsnehmern vertrieben. Das sind nicht mehr die alten Gegensätze von Lohnarbeit und Kapital.
Altvater: Gleichzeitig konkurrieren immer mehr Arbeitnehmer innerhalb von Konzernen um Aufträge: die Betriebsstätte Berlin gegen andere Betriebsstätten. Wenn Berlin den Auftrag nicht an Land zieht, werden halt Leute rausgeschmissen. Insofern stehen nicht mehr nur Kapital und Arbeit einander gegenüber, sondern ganze Betriebsteile.
Das Kapital, der Staat, die Gesellschaft – alles atomisiert sich. Was bleibt da noch übrig?Altvater: Es gibt die Atomisierung, und es gibt die weltweite Vermischung und Vereinheitlichung, die Entropie. Überall das gleiche Fastfood- Essen und die gleichen Autos. Damit werden kulturelle und soziale Eigenheiten vernichtet. Auch die Manager werden um den halben Globus gejagt und können nirgendwo mehr Wurzeln fassen, Identitäten ausbilden, Bindungen eingehen. Globalisierung wirkt letztlich auch persönlichkeitszerstörend.
Jetzt reden Sie wie ein Konservativer.
Mahnkopf: Es muß doch einen humanen Anspruch geben auf ein Stückchen Sicherheit, ein Stückchen Dauerhaftigkeit von Lebensformen, von Arbeitsverhältnissen, von Qualifikationen und sozialen Beziehungen. Das grundlegende Prinzip der Globalisierung lautet: permanente Unsicherheit. Weder die Unternehmer noch die Arbeitnehmer können sich noch auf etwas verlassen, denn die ökonomischen und technologischen Zyklen werden immer kürzer, eine Innovation muß sich immer schneller auf dem Markt verwerten. Wir sollen uns also alle ständig anpassen, weiterlernen, anpassen, weiterlernen. Bei EDV-Jobs erneuert sich das Know-How alle fünf Jahre. Warum soll ich mich überhaupt noch weiterqualifizieren, wenn ich jetzt schon weiß, daß ich alles wieder vergessen kann, wenn ich fertig bin?
Bei dieser Standortdebatte geht es nur darum: Wir sind zu langsam, wir sind nicht innovativ genug, wir müssen schneller das Alte beseitigen. Jeder Arbeitnehmer gegen jeden Arbeitnehmer, jeder Betriebsteil gegen den anderen, jede Stadt gegen andere Städte, jedes Land gegen andere Länder, jede Universitäten gegen jede Universität. Die Unis sollen das Studium beschleunigen, die Studenten schneller studieren.
Wer immer schneller rast, gerät irgendwann aus der Bahn. Wann kommt der big bang?
Altvater: Viele prophezeien ihn, zumindest für den Finanzmarkt, auch wenn man natürlich keinen Tag voraussagen kann. Der Finanzmarkt ist so instabil, daß der Krach jeden Tag losgehen kann. Gerade in Japan gibt es inzwischen viele faule Forderungen.
Mahnkopf: Dieser Turbo-Kapitalismus kennt nur das Prinzip der permanenten Entwertung und Beschleunigung. Also können sich keinerlei stabile soziale Beziehungen mehr ausbilden. Alle Rest-Institutionen - Familie, Schule, Universität - stammen aus langsameren früheren Zeiten und sind vollkommen überfordert, hier die Auffangmatte zu spielen.
In der Schule der Dialektik lernt man, daß sich gegen jede Kraft eine Gegenkraft entwickelt. Gibt es Ansätze zur Stabilisierung der Situation bei den jetzigen politischen Institutionen?
Altvater: Ich sehe keine, weder in Deutschland noch international. Auch die G 7-Länder wollen nichts tun.
Mahnkopf: Leider spielt die Bundesrepublik eine sehr kräftige erste Geige im EU-Konzert, und die Bundesregierung will nichts machen.
Altvater: Immerhin haben wir jüngst in Bonn die größte Gewerkschaftsdemonstration der Nachkriegsgeschichte erlebt. Ich habe schon den Eindruck, daß die Menschen sehr beunruhigt sind. Konzepte sind aber schon deshalb so schwer zu entwickeln, weil die Akteure fehlen. Die Nationalstaaten spielen nicht mehr die Rolle, das Kollektiv der Nationalstaaten existiert nicht, Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace sind zwar als Meinungsträger wichtig, haben aber kaum ökonomische Macht.
Macht die Globalisierung nicht auch neue Bündnisse möglich?
Mahnkopf: Die progressiven Gegenkräfte der Globalisierung wachsen ebenfalls. Wo immer man hinkommt, überall sind Menschen, die ähnlich denken. Ob das Umweltinitiativen in Indonesien sind oder die Zapatisten in Mexiko.
Altvater: Auch der Widerstand globalisiert sich. Als Chico Mendes 1988 im brasilianischen Urwald ermordet wurde, war die Nachricht innerhalb eines Tages um die ganzen Welt. Dadurch entstand Druck auf die brasilianische Regierung, diesen Mord zu sühnen. Und die Universalisierung, die wechselseitige Anerkennung der kulturellen Besonderheit der anderen, nimmt ebenfalls zu. Das ist etwas außerordentlich Positives.
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