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Neue Selbstfindung der Projekte-Szene

■ Über 100 Teilnehmer beim Schlachthof-Kongreß „Bescheidene Verhältnisse“ / Zusammenarbeit vereinbart

Bescheidenheit komme von „Bescheid wissen“, sagt Elke Heyduck, die den Kongreß „Bescheidene Verhältnisse“ im Schlachthof am vergangenen Wochenende veranstaltet hat – Bescheid wissen über das Thema unserer Zeit: Arbeit, Armut und Arbeitslosigkeit. Statt einzeln über Kürzungen zu jammern, sollte endlich mehr kooperiert werden. Rund 100 AktivistInnen der Bremer „Alternativszene“ kamen an mehreren Tischen zusammen und stellten fest: Wir wissen viel zu wenig über uns Bescheid.

Krise, Crash oder knallharte Kapitalismus-Kritik – diese Allgemeinplätze kamen auf dem Kongreß nur am Rande vor. Vielmehr trafen sich dort Menschen aus der Projektszene zum Erfahrungsaustausch: Was macht ihr, und wie können wir unsere Arbeit in Zukunft gemeinsam besser machen? Doch auch Utopisten meldeten sich im Schlachthof zu Wort: In der Zukunftswerkstatt „Die Rückeroberung der Arbeit“ mit dem Bremer Hochschullehrer Peter Alheit durften Utopien, Phantasien ohne Schere im Kopf unzensiert in die 30köpfige Runde geworfen werden – animiert durch eine Theaterszene, die zum Brainstorming über die Frage: „Was für Arbeit wollen wir eigentlich?“ einladen sollte.

„Den Rundumschlag von ,der Kapitalismus ist schlecht' wollten wir bewußt vermeiden“, sagt der Werkstatt-Moderator Christian Memmert von der Akademie Überlingen in der Mittagspause nach dreistündiger Sitzung im Schlachthof-Turm. Alles sei bei einer Zukunftswerkstatt erlaubt, auch die Utopie einer Arbeitswelt in der Männer endlich soziale Kompetenzen und Intelligenzen entwickeln, die Frauen längst verinnerlicht haben.

Alheits Utopie kam dagegen schon wesentlich pragmatischer daher: Der Soziologe forderte ein zweijähriges Bildungsjahr – als Pflicht für alle jungen Leute: „Wir müssen die Lebensarbeitszeit besser verteilen, damit alle auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance haben.“ Dänemark sei auf dem Weg in eine zivile Gesellschaft schon viel weiter, behauptet Alheit, der dort über ein Jahr gelebt und geforscht hat. Kritik an den Parteien wollten sowohl Alheit als auch Memmert loswerden: „Von denen kommt doch nichts“, sagt Alheit und beide waren sich einig, daß die Zukunftswerkstatt auch über den Kongreß hinaus eine Zukunft hat: Wenn ein praktikables Alternativmodell auf dem Tisch liege, wolle man damit die Parteien konfrontieren – doch jetzt befinde man sich erst in einer offenen Kritik- und Phantasiephase, so Memmert.

Um konkrete „Bremer Verhältnisse“ ging es in der „Arbeitsgruppe zu einer Bremer Wirtschaft von unten“: Auf dem Magazinboden kamen rund 24 aktive Ehren- und Hauptamtliche zusammen – vor allem zum persönlichen Erfahrungsaustausch. Daß die Bremer Gruppen „zu wenig gemeinsam an der Decke Gesellschaft ziehen“, stellte Elke Heyduck ganz am Anfang klar – und stieß damit auf breiten Konsens, trotz aller Differenzen: Denn 24 Menschen, das sind 24 verschiedene Projekte, Ideen und Wünsche – da konnte man sich nur schwer auf die richtige Gestaltung des Workshops einigen. Während Tilman von der „Bremer Tafel“ lieber mal über „das Subversive“ seiner Arbeit reden wollte, „weil ich sowieso bis über beide Ohren in meiner praktischen Arbeit stecke“, ging es Rolf vom Kulturverein in der Kohlenstraße um die ganz große Zusammenarbeit. „Wir sind ein Mosaik und daraus sollte ein Projektezirkus werden“, fordert er – für gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Austausch von Räumen, nützlichen Dingen und Personal. „Wir brauchen mehr Öffentlichkeit, damit sowas wie die Vertreibung von Kwell nicht so schnell wieder passiert“, sagt Rolf.

Was wollen wir? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, schritt Ulla Peters von der Uni Trier helfend ein und stellte verschiedene Ansätze sozialer, ökologischer und kultureller Arbeit „von unten“ zur Diskussion: das pleitegegangene Hertiekaufhaus in Darmstadt, das von einer Zukunftswerkstatt zum Ökokaufhaus umgebaut wurde, die Hackschnitzel-Kraftwerke in strukturschwachen Grenzgebieten Österreichs, die in den 80er Jahren eigene Energie erzeugten. Oder Irland und Schottland, die mit Beschäftigungsge-sellschaften Arbeitsplätze erhalten konnten, bis hin zu regionaler Stadteilarbeit in Trier. Für die Bremer jedoch war an diesem Wochenende klar: Sich weiter kennenlernen, um sich irgendwie zu vernetzen, das sollte Ziel des Workshops sein. Was sind Tiden, die bei TauschWatt als geldlose Einheit zum Tausch von Waren und Dienstleistungen dienen? Braucht die Bremer Tafel noch mehr Helfer? Wieviele Räume hat eigentlich die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft? Und warum beuten wir uns eigentlich selber so oft aus? – Auch diese persönliche Nabelschau war für viele wichtig.

Der Kongreß hat viele Fragen gestellt – und will sie auch in Zukunft beanworten: die Zukunftswerkstatt „Rückeroberung der Arbeit“ will sich genauso weiter treffen, wie die Bremer „Wirtschaftler von unten“. Wenn auch nicht viele genau wissen, was sie wollten, so hat Elke Heyduck ihre Antwort schon gefunden: „Ich empfinde meine Arbeit in bescheidenen Verhältnissen als Luxus, weil ich mich dabei so gut selbstverwirklichen kann.“ Auch das ist eine, ganz persönliche, Form der Bescheidenheit. kat

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