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„Ein Freund, ein guter Freund...“

Kanzler Kohl macht dem kranken Jelzin seine Aufwartung. Fazit: Boris hat alles im Griff  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Mit Küßchen, Küßchen und Umarmung eröffneten Helmut Kohl und Boris Jelzin ihren inoffiziellen Gipfel am Sonnabend auf einer Regierungsdatscha nördlich von Moskau. Ein sichtlich zufriedener Kohl krabbelte im Naturschutz- und Jagdgebiet Sawidowo aus dem Hubschrauber und verkündete wohlgemut: „Ich bin so glücklich, dich zu sehen, Boris. Die ganze Woche habe ich darauf gewartet...“ Und es schien kein bißchen gespielt. „Mir gefällt es hier“, meinte der Kanzler und erhärtete das russische Klischee von der deutschen Sentimentalität.

Es blieb Jelzin vorbehalten, Kohl an das Wesentliche zu erinnern: „Sicher kann man sich hier besser erholen als arbeiten. Wir aber wollen hier arbeiten und uns erholen“, mahnte der Russe. Ihre erste Zusammenkunft dauerte 35 Minuten, wonach Jelzins Sprecher verkündete, die beiden Staatschefs seien in beschwingter Laune. Die Bilder bestätigten es, nach Anzug und Krawatte zeigten sich beide leger in Pullover und Krawatte.

Für Kohl ging es wohl in erster Linie darum, herauszufinden, ob Rußlands Präsident die angekündigte Herzoperation überstehen und danach die Amtsgeschäfte in vollem Umfang wieder aufnehmen kann. Der Deutsche machte keinen Hehl aus seiner Mission. Nach der Tour werde er sofort Bill Clinton und anderen westliche Staatschefs berichten. Jelzin sei nicht der Mann, der sich „die Macht unterm Stuhl wegziehen lasse“, kommentierte der Kanzler die Gerüchte über ein Machtvakuum während Jelzins Abwesenheit vom Kreml. Dergleichen hatte kurz zuvor Anatoli Tschubais, Jelzins Präsidialamtschef, untermauert, dem die „neue Offenheit“ in der amtlichen Gesundheitspolitik anscheinend zu verdanken ist. Höchstens „für einige Stunden, ein oder zwei Tage“ würden präsidiale Vollmachten, wenn überhaupt, übertragen. Derzeit befinde sich der Präsident aber in „normaler Arbeitsverfassung“. Sicherheitsratschef Alexander Lebed hatte dagegen in einem Interview erneut angedeutet, der Machtkampf um die Nachfolge tobe bereits. Stoße Jelzin etwas zu, würde laut Verfassung ohnehin Premier Wiktor Tschernomyrdin die Geschäfte weiterführen.

Eigentlich wollten Jelzin und Kohl angeln gehen, doch dann machte das Wetter einen Strich durch die Rechnung, und man einigte sich auf eine flotte Bootstour auf dem „Moskauer Meer“. Mit Blick auf die Nato-Osterweiterung stellte Kohl seinem Freund eine Verschnaufpause in Aussicht. Jelzin versprach, sich der Sache nach der Operation persönlich anzunehmen. Man habe „wie gewöhnlich sehr frei“ über die kontroverse Angelegenheit gesprochen, so Jelzins Sprecher. Bis zum OSZE-Gipfel im Dezember, hoffe Moskau, werde man eine vernünftige Lösung finden. „Nach meiner Einschätzung sehe ich eine sehr konkrete Möglichkeit, zu einem gemeinsamen guten, befriedigenden Ergebnis zu kommen“, meinte Kohl. Wichtig sei es, daß keine Gräben aufgerissen würden. Im nächsten Jahr besucht Jelzin Baden-Baden, der Kanzler fährt zum Gegenbesuch mit Boris an den sibirischen Baikalsee. Kohls Fazit: „Der Präsident war voll aktiv.“

In Tschetschenien hielten sich beide Seiten in den vergangenen Tagen an die getroffenen Vereinbarungen. Selimchan Jandarbijew, Präsident der Republik Itschkerija, nannte es ermutigend, daß „Boris Jelzin wohlwollend von Alexander Lebed und dem gesamten Friedensprozeß“ gesprochen habe. Allerdings zeigt sich Moskau bisher unwillig, dem Abkommen juristische Gültigkeit zuzumessen. Immer wieder ist von hoher Stelle zu hören, es handele sich nur um eine politische Erklärung.Kommentar Seite 10

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