piwik no script img

„Defizit mit Verstand“ gefordert

Alternative Wirtschaftswissenschaftler präsentieren Vorschlag, um die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren: 150 Milliarden Mark Bundesausgaben pro Jahr sollen's richten  ■ Aus Bonn Dieter Rulff

Für Rudolf Hickel ist die Frage der Staatsverschuldung keine des ob, sondern eine des wofür. Es gebe, so erläuterte der Bremer Wirtschaftsprofessor und Mitinitiator der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gestern in Bonn, ein „Defizit mit Verstand“ und ein „Defizit ohne Verstand“. Zu letzterem zählt er die Erhöhung der Nettokreditaufnahme des laufenden Bundeshaushaltes auf bis zu 70 Milliarden Mark, die Bundesfinanzminister Theo Waigel am Wochenende mit Blick auf die höheren Kosten der Arbeitslosigkeit angekündigt hat. Zu ersteren zählt Hickel die 150 Milliarden Mark, die er auf Waigels Schulden draufpacken würde, um diese Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Mit Beschäftigungsprogrammen von jährlich 150 Milliarden Mark könnte nach Einschätzung der AG Alternative Wirtschaftspolitik die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahre 2000 um die Hälfte reduziert werden. In zehn Jahren ließe sich gar eine Vollbeschäftigung wieder herstellen und damit die Hauptursache der gegenwärtigen Misere der öffentlichen Haushalte beseitigen. Die fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit schlagen nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit mit 142,5 Milliarden Mark zu Buche.

Mit den jährlich 150 Milliarden Mark sollen erstens umfangreiche öffentliche Investitionsprogramme zur Verbesserung der Infrastruktur und für den ökologischen Umbau durchgeführt werden. 100 Milliarden Mark, die in diesen Sektor investiert würden, könnten eine Million zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Zweitens fordert Hickel den Ausbau des öffentlich finanzierten Sektors im Bereich der sozialen, ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Dienstleistungen. Diese Reform brächte, da sie überdurchschnittlich arbeitsintensiv ist, bei einem Volumen von 35 Milliarden Mark eine weitere Million Arbeitsplätze.

Drittens schließlich soll der Trend in der Arbeitsmarktpolitik umgedreht und ihr Abbau gestoppt werden. Zusätzlich 15 Milliarden Mark könnten dazu beitragen, zumindest vorübergehend Arbeit für 500.000 Menschen zu schaffen.

Die Ökonomen wollen ihr Programm zu je 75 Milliarden Mark durch Erhöhung der Steuern und der Nettokreditaufnahme finanzieren. Deshalb lehnen sie die von der Regierung geplante Abschaffung der Vermögensteuer und die Reduzierung der Erbschaftssteuer ab. Sie plädieren für eine Einkommenssteuerreform, die in linearer Progression bei 19 Prozent beginnt und ab einem Einkommen von 160.000 (Verheiratete 320.000 Mark) bei 60 Prozent endet. Die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige soll ebenso der Gegenfinanzierung dienen wie verschärfte Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen