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150 Milliarden für zwei Millionen Jobs

■ Pünktlich zur Bonner Haushaltsdebatte schlagen die alternativen Wirtschaftswissenschaftler um Rudolf Hickel vor: Höhere Steuern und mehr Kreditaufnahme könnten bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit halbieren

Bonn (AFP/taz) – Die Deckungslücke des Bundeshaushaltes 1996 wird größer als geplant ausfallen, 1997 wird nach Ansicht des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, das Problem der Neuverschuldung noch größer werden. Unbeachtet dieser Aussichten ist gestern die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftpolitik mit einem unorthodoxen Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten. Sie forderte ein mehrjähriges Beschäftigungsprogramm im Volumen von jährlich 150 Milliarden Mark. Dadurch könne die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 halbiert und in zehn Jahren Vollbeschäftigung erreicht werden. Das Programm soll je zur Hälfte über Steuererhöhungen und Kreditaufnahme finanziert werden.

Die 150 Milliarden Mark verteilen sich auf jährlich 80 Milliarden Mark für einen Fonds Arbeit und Umwelt, 20 Milliarden Mark für ein Sonderprogramm Ost, 15 Milliarden zur direkten Arbeitsbeschaffung und 35 Milliarden für öffentlich finanzierte soziale, ökologische, wissenschaftliche und kulturelle Dienstleistungen.

Die in der Arbeitsgruppe zusammengeschlossenen Wissenschaftler sehen in ihrem Vorschlag ein Gegenkonzept zum Sparkurs der Bundesregierung. Deren Politik sei gescheitert, die Steuerpolitik würde Unternehmergewinne fördern, ohne Beschäftigungseffekte zu erzielen. Zur Zeit geschehe eine Umverteilungsorgie ohne Beispiel, so der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel.

Die Politik des Sozialabbaus werde unermüdlich mit der Notwendigkeit begründet, das Defizit der öffentlichen Haushalte zu vermindern und so den Staat von hohen Zinslasten zu befreien. Diese Politik, so Hickel, verkenne die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge total. Wer das Defizit vermindern wolle, müsse an den Ursachen ansetzen – an der Arbeitslosigkeit und den dadurch verursachten Einnahmeausfällen. Deshalb bedürfe es „nicht einer kontraktiven, sondern expansiven Finanzpolitik, in deren Zentrum die Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit der Beschäftigung steht“.

Im Gegensatz dazu will die Regierungskoalition ihre Ausgaben weiter einschränken. Das Defizit im Bundeshaushalt 1997 soll mit weiteren Einsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit, den Subventionen und bei den Personalausgaben auf die 56 Milliarden Mark begrenzt werden, die im Entwurf des Bundesfinanzministeriums vorgesehen sind. Diese Marschroute für die heute beginnenden Etatberatungen legten Haushaltspolitiker von CDU/ CSU und FDP am Wochenende fest. Weitere Kürzungen seien unausweichlich. Deutschland müsse die Kriterien für die Europäische Währungsunion fristgerecht, das heißt 1997, erfüllen. Die Neuverschuldung sollte mit 56 Milliarden unter den 60 Milliarden diesen Jahres liegen. Doch Waigel geht schon für 1996 von einem Defizit von 70 Milliarden Mark aus. dr

Bericht Seite 6, Kommentar Seite 10

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