: Kündigen wird ganz einfach
■ Beschäftigungsförderungsgesetz: ArbeitsrechtlerInnen schlagen Alarm
Der Kündigungsschutz wird bald nicht einmal mehr auf dem Papier stehen. So drastisch sehen Bremer Arbeitsrechtlerinnen die Lage, wenn am Freitag das „Beschäftigungsförderungsgesetz“ trotz des Widerstandes im Bundesrat mit der Macht des Kanzlers in Bonn durchgepeitscht werden wird. 36 renommierte Bremer Anwälte und RechtsberaterInnen haben jetzt Alarm geschlagen: Alle Welt diskutiere über die Frage der Lohnfortzahlung, doch das umstrittene Gesetz berge noch viel mehr soziale Sprengsätze. Michael Nacken, Anwalt und einer der Initiativensprecher: „Der Kern des Kündigungsschutzes wird ausgehöhlt. Unserer Meinung nach sind viele Punkte verfassungswidrig.“
Sprengsatz Nummer eins: der „Schwellenwert“. Bislang gelten die Bestimmungen zum Kündigungsschutz nur für Betriebe mit mindestens sechs Beschäftigten. Mit der Gesetzesnovellierung soll nun der Schwellenwert generell auf zehn Beschäftigte steigen, und darüber hinaus sollen die anders berechnet werden. Nun soll nicht mehr jeder Kopf zählen, Teilzeitbeschäftigte sollen „quotiert“ berechnet werden. Wer unter zehn Stunden in der Woche arbeitet, kommt dann nur noch als 0,25 Arbeitskraft vor, Besetzer einer halben Stelle als 0,5 Arbeitskraft usw. Konkret: Eine Gebäudereinigungsfirma, die traditionell mit Teilzeitkräften arbeitet, kann bis zu 40 Frauen (die es in dem Fall ja meistens trifft) beschäftigen – und keine von ihnen genießt mehr die Bestimmungen des Kündigungsschutzes. Der Effekt der Novellierung ist enorm. „Mit der Änderung des Schwellenwertes fallen mehr als 80 Prozent aller Betriebe aus dem Gesetzesrahmen“, so Nacken.
Sprengsatz Nummer zwei: „Sozialauswahl“. Bislang mußte eine ArbeitgeberIn ziemlich genau begründen, warum sie bei einer betriebsbedingten Kündigung diese und nicht jene ArbeitnehmerIn ausgesucht hat. Das soll nun viel einfacher werden. Nur noch drei Kriterien sollen gelten: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und eventuelle Unterhaltspflichten. Insbesondere dieser Passus, so die Bremer KritikerInnen, sei frauendiskriminierend und deshalb verfassungsfeindlich. Das habe der Präsident des Bundesarberitsgerichts schon bei der Anhörung zum Gesetz unmißverständlich klargelegt. Wegen der immer noch bestehenden gesellschaftlichen Rollenverteilung seien es vor allem Frauen, die oft nicht auf eine lückenlose Berufsbiographie verweisen könnten. Und dazu sei der „Ernährer“ der Familie – das zum Thema Unterhalt – oft noch immer der Mann. Damit seien Männer eindeutig bevorteilt. Nacken: „ein erheblicher sozialer Rückschritt“.
Sprengsatz Nummer drei: „Herausnahmen aus der Sozialauswahl“. Mit dem neuen Gesetz fallen alle Schranken bei der Auswahl derjenigen, denen betriebsbedingt gekündigt werden kann. Der Betrieb kann einzelne ArbeitnehmerInnen aus der Sozialauswahl herausnehmen – wegen ihrer „Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen“ oder auch nur wegen ihrer Stellung bei der „Sicherung einer ausgewogenen Sozialstruktur“. Diese neue Regelung sei so schwammig, daß damit jeder Willkür Tür und Tor geöffnet werden, sagen die Bremer KritikerInnen. Jetzt könnten ältere ArbeitnehmerInnen, die bislang geschützt gewesen seien, ohne Mühe gegen jüngere ausgetauscht und in die Dauerarbeitslosigkeit geschickt werden. Nacken: „Damit läuft der Kündigungsschutz leer.“
Keine der Bremer ArbeitsrechtlerInnen glaubt, daß die Novellierung auf politischem Wege noch aufzuhalten sei. Nun gilt ihre ganze Hoffnung Karlsruhe und Straßburg. Wenn das Bundesverfassungsgericht und der europäische Gerichtshof der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung folgt, dann, so die Spekulation, müßten einige Bestimmungen wieder zu kippen sein. J.G.
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