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Hollerland nicht abgebrannt

■ Das Projekt „Autofreies Wohnen“ ist zwar abgesagt, aber längst nicht gescheitert

Kaum ein Öko-Projekt hat in den letzten Jahren so viel Aufsehen erregt, wie der Plan, im Hollerland eine autofreie Siedlung zu bauen. Anfragen aus der gesamten Republik und aus dem Ausland stapelten sich beim Umweltsenator, ein internationaler Kongreß nahm das Bremer Projekt wohlwollend zur Kenntnis. Doch schon bald kam die Ernüchterung: Für die geplanten 220 Wohneinheiten blieb nur eine Hand voll InteressentInnen übrig. Welche Konsequenzen hat das für die Idee des autofreien Wohnens? Wir sprachen mit Michael Glotz-Richter. Er ist beim Umweltsenator zuständig für ökologische Stadtentwicklung.

taz: Hollerland ist abgebrannt. Ist das autofreie Wohnen nun auf ganzer Linie gescheitert?

Michael Glotz-Richter: So kann man das nicht sehen. Auch wenn das Hollerland-Projekt nicht zustande gekommen ist: Der Bedarf ist nach wie vor da. In Bremen wird es weitere Projekte geben. Wir bekommen Anfragen aus der ganzen Republik, und sogar darüber hinaus. Vor wenigen Wochen hatten wir beispielsweise Gäste aus Edinburgh, wo eine ähnliche Siedlung gebaut werden soll.

Das wichtigste war doch: Wir haben Denkbarrieren durchbrochen. Zum Beispiel das Dogma, daß jede Wohnung einen Autostellplatz braucht. Daß das anders wird, dafür haben wir die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, und das ist die Pionierarbeit, die auch nach dem Scheitern des Hollerland-Projektes bleibt.

Das heißt, der Erfolg bemißt sich für Sie gar nicht so sehr an der Anzahl der realisierten Projekte, sondern daran, daß nun die Möglichkeit dafür geschaffen worden ist.

Das ist sicherlich der Verdienst des Hollerland-Projektes. Aber, wie gesagt, das Thema ist auch als solches in Bremen nicht tot. Wir haben ja die Motive erforscht, warum die Leute abgesprungen sind.

Erzählen Sie.

Die Bewohnerberatung hat zum einen den Interessentenkreis befragt, und zum anderen hat sie eine Kontrollbefragung in einem erweiterten Kreis gemacht, bei potentiellen Interessenten für das autofreie Wohnen. Bei Mitgliedern von Stadtauto und vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club beispielsweise. Der Rücklauf war gut. Herausgekommen ist: Ein Drittel der Interessenten sind abgesprungen, weil sie ihre persönliche und berufliche Perspektive unsicher eingeschätzt haben. In so einer Situation bindet man sich keine 400.000-Mark-Hütte ans Bein. Da schlägt die Rezession voll durch.

Mehr Hinweise auf die Frage, wie wir mit dem Thema Autofrei weiter umgehen, kamen aber aus den anderen Ergebnissen. Es gab doch mehr Kritik am Standort und am Städtebau, als uns das vorher im Beteiligungsverfahren deutlich geworden ist.

Wie kommt das denn? Die Leute haben doch von Anfang an mitplanen können.

Ja, deshalb waren wir ja überrascht. Gerade bei den potentiellen Interessenten ist herausgekommen: Die städtische Bauform am Stadtrand ist für diejenigen, die aus der Stadt rausziehen wollen, zu städtisch. Und für diejenigen, die Stadt wollen, ist das Hollerland zu weit draußen. Die Konsequenz daraus kann nur heißen, daß nach neuen Standorten eher stadtnah zu suchen und nicht gleich mit Größenordnungen von 200 Wohneinheiten zu beginnen. Man muß sich ja schon sicher sein, daß es am Ende auch autofrei bleibt. Darin sind sich Gewoba, Bausenator, Umweltsenator und Bewohnerberatung einig. Ein potentielles Gebiet könnte Huckelriede sein.

Die Kaserne.

Das Umfeld davon. In der gesamten Neustrukturierung könnte man in einer Größenordnung bis 100 Wohneinheiten was machen. Und man kann sich überlegen, ob man den Aspekt Autofrei etwas niedriger hängt. Zum Beispiel könnte man sich eine integrierte Energiesparsiedlung mit Mobilitätsdienstleistungen vorstellen. Da wäre klar, daß es ganz wenige Parkplätze gibt. Die kann man anmieten – aber nur für die realen Herstellungskosten. Der Kernbereich ist autofrei. Da kommt auch keiner rein, der ein Auto hat. Muß er eben die letzten Meter laufen. Vorbild ist eine Siedlung in Amsterdam mit 600 Wohneinheiten. Wer sich dort ein Auto anschafft, kann in der weiteren Umgebung ein Parkhaus suchen, wo er dann sein Auto abstellt.

Sie setzen jetzt nicht mehr darauf, daß die MieterInnen unterschreiben müssen, daß sie kein Auto mehr haben wollen, um Teil eines Modellprojekts für alle guten Menschen zu werden. Sie setzen auf die Verknappung der Parkplätze, ganz ohne Öko-Religion?

Wir wollen beides verknüpfen, so daß wir immer nur über Rechtsregularien diskutieren. Wir wollen die Vorteile einer autofreien Wohnumgebung in den Vordergrund stellen. Das sind ja deutliche Qualitäten. In so einer Siedlung wie in Nürnberg-Langwasser ist es beispielsweise klar, daß die dreijährigen Kinder auf der Straße spielen können. Wer unbedingt ein Auto haben muß, kann dafür ja für 150 oder 200 Mark im Monat einen Parkplatz anmieten.

Scheint so, als wollten Sie nichts mehr von der Ideologie aus der Zeit wissen wollen, als das Projekt angefangen hat. Wenn wir fünf, sechs Jahre zurückdenken: Da war das Thema Reduzierung des Autoverkehrs Top. Man konnte das Gefühl haben, mit der Idee Autofreies Wohnen an der Spitze der Bewegung zu stehen. Jetzt sind Sie mit Ihren Ideen eher überholt worden. Der Mainstream geht woanders hin. Denken Sie an die Diskussion um die Fußgängerzone im Viertel.

Das ist so. Es ist das Risiko eines Pionierprojektes, Fehler zu machen und Erfahrungen zu sammeln, aus denen andere lernen können. Deshalb sage ich: Hollerland ist nicht abgebrannt. Das Hollerlandprojekt vielleicht, aber nicht das Thema Autofrei. Es ist eine Chance für andere Projekte, gerade bei der Standortfrage zu lernen.

Aber zumindest in Bremen hat man nicht gerade den Eindruck, daß es nun einen großen Schub geben würde, in dem Sinn,daß das Hollerland gescheitert ist, aber dafür jetzt was anderes kommt. Gibt es denn unter der Großen Koalition überhaupt noch eine Chance auf ein Projekt?

Es gibt ein verkehrspolitisches Roll Back. Das gibt es aber bundesweit. Ich bin trotzdem davon überzeugt, daß es eine große Gruppe von Leuten gibt, die sagt: Stadtleben ist gut, aber ich möchte damit Qualitäten verbinden. Die gibt es eben eher in einer autoarmen Siedlung.

Die Rahmenbedingungen sind ja nicht schlecht. Wir haben mit „Stadtauto“ ja schon moderne Mobilitätsdienstleistungen. Mit dieser Verknüpfung können wir attraktive Angebote schaffen. Das hat einen Markt. Das Thema kommt wieder hoch, und wir müssen einen Bauträger finden, der das offensiv vermarktet. Beispiele wie Amsterdam und Edinburgh gibt es ja schon. Wenn man undogmatisch rangeht, dann läuft das auch.

Huckelriede ist ja vorerst nur eine Idee. Wie groß ist denn die Bereitschaft außerhalb dieses Dienstzimmers, so ein Projekt nochmal anzupacken?

Zwischen Bausenator, Umweltsenator und Gewoba gibt es große Einigkeit, daß man dieses Thema weiterhin am Laufen halten muß. Unser größter Gegner ist im Moment die große Depression auf dem Wohnungsmarkt. Ein Bauträger, der in Huckelriede Interesse hatte, ist in ganz Bremen auf dem Rückmarsch, weil er abwarten will, wie sich der Wohnungsmarkt entwickelt. Klar gibt es eine Tendenz in Richtung Adenauer: keine Experimente. Auf der anderen Seite müssen wir solche Projekte starten, wenn wir gegen das Umland bestehen wollen. Ein wesentlicher Grund, warum Leute aus der Stadt wegziehen, sind Umwelt- und Lärmbelastung. Dem muß man entgegensetzen, die Stadt zu stärken.

Wenn wir gerade von den Investoren reden: Welche Lehren hat denn die Gewoba aus dem Hollerland-Projekt gezogen?

Die Gewoba ist natürlich auch durch die Depression auf dem Wohnungsmarkt gebeutelt. Sie sagt aber weiterhin, daß das Thema interessant ist. Aber sie wagt natürlich keinen neuen Vorstoß, so lange keine Signale vom Markt kommen. In Amsterdam und Edinburgh sind Bauträger beteiligt, die auf Nischen spezialisiert sind. Die können mit so einem Thema einfacher umgehen, als ein großer Apparat.

Vielleicht zum Schluß: Wenn es am Wohnungsmarkt und der allgemeinen ökonomischen Lage hängt, dann könnte man ja vielleicht versuchen, das autofreie Wohnen im aktuellen Wohnbestand umzusetzen – oder ist das Gelände politisch vermint?

Das muß die Perspektive sein. Das Hollerland war mit 220 Wohneinheiten geplant. Die Stadt hat knapp 270.000 Wohnungen. Wir müssen schon sehen, was wir im Bestand tun können. Der sicherlich erfolgversprechendste Ansatz ist die Werbung für Car-Sharing. Die Leute, die ihr Auto eigentlich nur ab und zu brauchen und sich ohnehin immer ärgern, wenn sie abends keinen Parkplatz finden – für die ist das eine bequeme Alternative. Das hat den größten Effekt, wenn Parkplätze tatsächlich knapp sind, und nicht der Parkplatz für den nächsten frei wird. Da müßte das Prinzip Marktwirtschaft gelten. Das geplante Parkhaus in der Lübecker Straße hätte pro Platz 27.000 Mark pro Platz gekostet. Da kann man leicht ausrechnen, daß die Monatsmieten eigentlich um die 180 bis 200 Mark hätten liegen müssen, um die Kostenmiete einzuspielen.

Fragen: Jochen Grabler

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