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Troubadour trifft Teetisch

■ Die Tiger Lillies verzaubern mit Falsettstimme und Akkordeon

Hinten nur mäßig besetzte Ränge, vorne aber Teetischchen und Sessel, die zum entspannten Zurücklehnen einladen: Bei einem normalen Konzert hätte diese Bestuhlung unangemessen gewirkt. Doch für das Akkordeon-lastige Schnulzenbluestrio Tiger Lillies war das Junge Theater optimal hergerichtet. Denn die Londoner sind nicht nur als Live-Band interessant: Der Besuch bei den Tiger Lillies eröffnet eine neue Klangwelt.

Sie besteht aus Falsett und Quetschkommode und ist so ungewöhnlich, daß das eigentlich mittelmäßige Songmaterial des Trios schnell in den Hintergrund tritt. Die mit Hut und Fez gestylten drei Herren wildern im Vermächtnis des Blues, des Tom Waits-orientierten Geschichtenerzählens. Dabei sind die Lillies so geschickt, daß ihr Sound an Klassiker wie die schmachtende Seeräuber-Jenny erinnert, ohne daß auch nur eine Note Weill angestimmt wird.

Obwohl kompositorische Überraschungen fehlen, fällt beim Zuhören der Einstieg leicht, und so enthüllt sich bald das eigentliche Geheimnis der Lillies: Dank der Besetzung klingt die harmonische Meterware völlig einmalig. So übernimmt die Quetschkommode von Sänger Martyn Jacques die Rolle der Gitarre und des Pianos, trägt und akzentuiert die Stücke. Vor allem aber die Stimme der Tiger Lillies ist unvergeßlich: Jacques ist tatsächlich ein Troubadour von bizarrer Schönheit. Seine Falsettstimme, die sich divenhaft in die Höhen schraubt, aggressiv und kratzig bellt und sich auch mal perlend überschlägt, macht die Lillies unverwechselbar. Fremdartiger wurde von wahrsagenden Zigeunerweibern, einsamen Seemännern und anderen handelsüblichen Traurigkeiten in Bremen noch nicht gesungen.

Dazu wirken die ausgezeichnet aufeinander eingespielten Patrick McHughes am genau akzentuierten Schlagzeug und Adrian Stout am mal gezupften, mal gestrichenen und immer harmonisch aufregenden Fretless-Bass im Hintergrund. So sind die ausufernden vokalen Höhenflüge in einen kompakten, aber ungewohnt hellen Gesamtklang einbettet, der für das Schaffen der Lillies charakteristisch ist.

Zu dieser fast durchgängig bizarren Klanglandschaft kann das Publikum natürlich schwerlich tanzen und schwitzen. Dafür konnte zwischen den Songs am Teetisch geschwatzt werden, ohne daß dies ein Affront gegen die Künstler gewesen wäre. Wenn die nach kurzen Pausen zwischen den Stücken ihre Klangwelt aufs Neue erschufen, lehnten sich die vier Dutzend Verzauberten einfach wieder zurück und lauschten. L. R.

Tiger Lillies am 21. u. 22. sowie am 25.9. um 20.30 Uhr u. am 27. und 28.9. um 23 Uhr im Jungen Theater.

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