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Trend: Arbeit auf Pfiff

■ Hafenwirtschaft ist Vorreiter bei der Öffnung des Flächentarifs / BLG hat sogar zwei Tarifverträge

Allerorten wanken die Flächentarifverträge. Vorreiter im Trend hin zu flexibleren Abmachungen auf betrieblicher Ebene ist die Hafenwirtschaft. Es geht um die Arbeitszeiten: Ohne teure Zuschläge sollen die Arbeiter möglichst dann an den Kajen eingesetzt werden dürfen, wenn tatsächlich Schiffe ankommen. „Arbeiten auf Pfiff wird es nicht geben“, halten Betriebsräte wie Hannes Driemel von der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft (BLG) dagegen.

In diskreten Gesprächen loten Gewerkschaft ÖTV und Arbeitgeber derzeit die Chancen für einen neuen Flächentarifvertrag aus, der mehr Raum für flexible Arbeitszeitmodelle läßt und dennoch Stundenlöhne, Urlaubsdauer und Eingruppierung der einzelnen Beschäftigten zentral regeln soll. Mit am Tisch sitzen Driemel und als Verhandlungsführer der Arbeitgeber BLG-Chef Hans Pöhl.

Im Grunde sind sich alle einig: Das Containerterminal in Bremerhaven mit Betrieb an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr braucht andere Arbeitszeitmodelle als der Hafen in Emden, wo manchmal tagelang kein Schiff festmacht.

Der Druck für die Tarifpartner ist groß. Viele Umschlagbetriebe schreiben rote Zahlen: Die niedersächsischen Hafenbetriebe in Brake, Nordenham und Emden haben nach Verbandsangaben vorsorglich zum Ende des Jahres ihre tarifgebundene Mitgliedschaft im Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe gekündigt, um dem Tarifkartell zu entkommen. Auch der Unternehmensverband Hafen Hamburg räumt Austritte von Firmen ein.

Sowohl bei den Verbänden als auch bei der ÖTV will man das Thema nicht an die große Glocke hängen. ÖTV-Funktionäre fürchten, daß ihre Zugeständnisse für mehr Flexibilisierung in der Öffentlichkeit als Beispiele für andere Branchen mißbraucht werden könnten.

Letztlich gehe es darum, vor Ort längst getroffene Regelungen in einem neuen Rahmentarifvertrag zu sanktionieren, sagt BLG-Betriebsrat Driemel. Er betont die Zugeständnisse in der Vergangenheit. Die 1000 Mitarbeiter am BLG-Containerterminal in Bremerhaven werden ab Oktober ein Drittel der Überstunden auf einem Überstundenkonto sammeln und abbummeln. Der Rest der Mehrarbeit wird weiterhin bezahlt. Anfang des Jahres war die zentrale Mittagspause weggefallen. Innerhalb von 10 Wochen sind acht Nacht- und fünf Wochenend-Schichten vorgesehen. Die Arbeitszeit pro Schicht darf von 7,5 auf 10 Stunden ausgeweitet werden.

Für die 600 BLG-Beschäftigten in Bremen haben Unternehmen und Betriebsrat vor kurzem einen eigenen „Versuchstarifvertrag“ (gültig bis Juli –97) abgeschlossen, um sich auf den sinkenden Umschlag einzustellen. Die BLG erhofft sich so einen Produktivitätsgewinn von 20 Prozent und verzichtet im Gegenzug auf Kündigungen. Vereinbart wurde die 35-Stundenwoche, Monats- statt Tageslohn und die Vier-Tage-Woche, die bei Bedarf auch auf fünf Tage verlängert oder auf drei Tage verkürzt werden kann.

„Wenn kein Schiff erwartet wird, kann dann das Unternehmen sagen, Kollege, morgen machst Du frei“, so der Bremer BLG-Betriebsrat Hartmut Meckelburg. Nach Angaben der BLG haben die Arbeitszeitflexibiliserungen bereits Früchte getragen: Wie es hieß, ist die negative Entwicklung des Betriebsergebnisses (9 Mio. Verluste im ersten Quartal) stark abgeflacht. jof

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