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Ein Pakt mit dem Teufel für den Frieden

Die kambodschanische Regierung hat Ieng Sary amnestiert. Nun werden Forderungen nach einem internationalen Tribunal gegen die Führer der Roten Khmer laut  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Chheng Phong, in den achtziger Jahren Kulturminister der von Vietnam eingesetzten Regierung und Mitglied der Kommunistischen Partei, ist die Gelassenheit in Person, wenn er auf die Roten Khmer zu sprechen kommt.

Vor fünf Jahren hat der Herr mit dem eleganten Schnauzbart ein buddhistisches Meditationszentrum nahe der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh eröffnet. Das von üppigem Grün bewachsene Anwesen ist gut besucht. StudentInnen und Polizisten, Bauern und Gefängniswärter, Premierminister und Abgeordnete aller Fraktionen und sogar Königin Monique kommen zu seinen Vorträgen über Gewaltlosigkeit und Versöhnung.

Auch wenn Ieng Sary, der ehemalige Vizepremier und Außenminister der Roten Khmer, eines Tages vor seiner Tür stünde, würde er ihn nicht abweisen, sagt Chheng Phong: „Ich bäte ihn hinein und würde hören, was er zu sagen hat.“

So abwegig ist der Gedanke nicht mehr. Das Unvorstellbare ist möglich geworden: Die Rückkehr des verbrecherischen Ieng Sary nach Phnom Penh – nicht in Ketten, sondern als freier Mann, mit dem Segen der Regierung.

Nachdem der 67jährige Anfang August verkündete, er habe mit Pol Pot gebrochen, überschüttete die Regierung den ehemaligen Erzfeind mit wohlwollenden Worten und Geschenken, um ihn und seine Anhänger zum Ende des Guerillakrieges zu überreden.

Am vergangenen Wochenende gewährte ihm König Sihanouk sogar eine Amnestie für das Todesurteil von 1979, das ein Gericht der von den Vietnamesen eingesetzten Regierung gegen ihn und den Bruder Nummer eins der Roten Khmer Pol Pot wegen Völkermordes verhängt hatte.

Seither ist der lange im Dschungel untergetauchte Ieng Sary wieder eine politische Größe. In Zeitungen und im Fernsehen erscheinen Bilder von seinen ersten Auftritten im „befreiten“ Rote- Khmer-Gebiet an der thailändischen Grenze, wo er, umgeben von schwerbewaffneten Leibwächtern, seine Umschuld beteuert.

Alle Entscheidungen habe nicht er, sondern Pol Pot mit einer kleinen Gruppe von Vertrauten gefällt. „Der Kriegsverbrecher ist kein anderer als Pol Pot“, behauptet Sary mit breitem Lächeln.

Hinrichtungsbefehle? Das waren die anderen. Massenmorde? Was hätte er dagegen tun können? Das Verschwinden von Intellektuellen und Diplomaten, die er zurückgerufen hatte? Fragen Sie nicht mich, ich habe Leuten das Leben gerettet.

Bestürzt hören die Kambodschaner, daß sie es eigentlich mit einem Menschenfreund und Patrioten zu tun haben, der schon auf der Universität in Frankreich mit der Demokratie liebäugelte.

Nur aus Vaterlandsliebe und Sorge für die Einheit Kambodschas sei er über dreißig Jahre lang an der Spitze der Organisation geblieben, sagt der Mitbegründer der Roten Khmer ungerührt – und ohne ein Wort der Reue.

Die ehemalige Lehrerin Nop Vanna glaubt kein Wort der Unschuldsbeteuerungen Ieng Sarys. Trotzdem sagt sie: „Als wir hörten, daß Ieng Sary auf die Seite der Regierung kommen will, waren wir froh. Dann wird es endlich Frieden geben.“ Ihre vierzigjährige Kollegin Touch Ninna, deren Mann und Kind während der Herrschaft Pol Pots starben und die bald darauf ein zweites Kind verlor, weil sie zu arm war, es ins Krankenhaus zu bringen, bestätigt: „Das Wichtigste ist, daß Krieg und Rache ein Ende nehmen.“

Einen Pakt mit dem Teufel für den Frieden, ein Schweigen der Waffen um den Preis von Gerechtigkeit und Moral. So empfinden viele Kambodschaner in diesen Tagen den Handel, den die Regierung mit Ieng Sary abschloß.

Dennoch scheinen viele mit der Entscheidung des Königs einverstanden. „Rache nützt nichts. Wir lieben die Toleranz und das Verzeihen. Das ist die Philosophie der Kambodschaner“, sagt der Meister Chheng Phong.

Für die Kambodschaner war die „Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique“ in den vergangenen Jahren Inbegriff für die Macht des Bösen, die das Land ins Unglück gestürzt hat – und es bis heute mit Krieg überzieht, denn die Kämpfer der Roten Khmer kontrollieren immer noch ein Fünftel des Landes.

So scheint die Vergangenheit eine immer gleiche Erinnerung an das unsägliche Leid, von dem fast alle Familien betroffen sind. Die Erzählungen wiederholen sich, doch sie münden bisher nicht in eine Debatte, wie es dazu kommen konnte, daß Kambodschaner versuchten, sich gegenseitig auszurotten.

Thun Saray von der Menschenrechtsorganisation Adhoc, der unter den Roten Khmer neun Monate im Gefängnis verhört und gefoltert wurde, glaubt: „Der bis heute andauernde Krieg und die Armut haben den Menschen keinen Raum zum Nachdenken gelassen.“

Doch wirtschaftliche Not ist es nicht allein. Eine ganze Generation von Intellektuellen wurde ausgerottet oder ins Exil getrieben. Nach 1979, unter der neuen kommunistischen Regierung, gab es keine Künstlerzirkel, die eine „Vergangenheitsbewältigung“ versuchen konnten, keine unabhängigen Schriftsteller und Theaterautoren, deren Werke eine Debatte über Schuld und Sühne in der kambodschanischen Gesellschaft ausgelöst hätten.

Am „Tag des Hasses“ sprechen die Lehrer in den Schulen Kambodschas statt dessen von den Verbrechen der Roten Khmer. Sie zeigen Fotos von Kerkern und Massengräbern, sie beschreiben die Grausamkeiten der Soldaten Pol Pots – wie sie Säuglinge lebendig begruben oder Gefangenen die Finger abhackten und sie den Krokodilen zum Fraß vorwarfen.

„Die Kinder sollen nicht vergessen“, sagt die 42jährige Nop Vanna, deren Mann die Roten Khmer umbrachten und die seither fünf Töchter und Söhne allein aufzieht. Aber wenn sie wieder davon spricht, wie die Roten Khmer das Geld abschafften und das Land in ein großes Zwangsarbeitslager verwandelten, „wie sehr ich geblutet und gehungert habe, dann sagen sie: ,Hör bloß auf! So kann es gar nicht gewesen sein.‘“

In der kambodschanischen Hauptstadt ist – außer dem ehemaligen Gefängnis und Folterzentrum Tuol Sleng und einer mit Schädeln und Knochen gefüllten Pagode – kein offizielles Mahnmal für die Zeit des Terrors zu finden. Und kein Gedenkstein erinnert an den 17. April 1975, als die jungen Bauernsoldaten der Roten Khmer Phnom Penh eroberten.

Binnen weniger Stunden vertrieben damals die neuen Herren erbarmungslos die gesamte „dekadente Stadtbevölkerung“, sie warfen selbst Frischoperierte und Todkranke aus den Hospitälern und erschossen jeden, der sich nicht schnell genug fügte.

Niemand weiß bislang, wie viele Menschen zwischen April 1975 und Januar 1979 ermordet wurden und wie viele nach ihrer Vertreibung aus den Städten verhungerten oder an Erschöpfung starben. Ein Forschungsteam der US-amerikanischen Yale-Universität, das gegenwärtig Dokumente, Verhörprotokolle und Todeslisten untersucht, glaubt, es könnten zwei Millionen gewesen sein, fast ein Viertel der Bevölkerung.

Während kaum offizielle Gedenkstätten existieren, finden sich doch überall im Lande Zeugnisse der „Massenmordindustrie“ der Roten Khmer (Yale-Forscher Craig Etcheson), die zum Beispiel Krankenhäuser und Schulen in Gefängnisse und Folterzentren umwandelten.

Die Bewohner Phnom Penhs, die am Wochenende an den lieblichen, rund dreißig Kilometer entfernten Bati-See fahren, ahnen nicht, daß sich auf der anderen Uferseite ein solche Leidensstätte befindet. Es gibt weder Hinweisschild noch Tafel, nichts.

Nur die Bewohner der Umgebung kennen den vom Monsunregen aufgeweichten Feldweg, an dem plötzlich, mitten zwischen Feldern und Gestrüpp, eine Ruine auftaucht. Dach und Außenwände der ehemaligen Schule sind fast völlig zerstört.

An ihrer Stirnseite liegen, zu einem Hügel aufgeschichtet, weiße Totenköpfe und Glieder von Eisenketten. „Die Gräber sind hier ganz in der Nähe“, sagt ein Bauer – und ruft nach ein paar kleinen Jungen, die den Weg dorthin weisen. Dreihundert Meter weiter, vorbei an Reisfeldern und hohen Büschen, bleiben sie plötzlich stehen und zeigen auf den Boden: Nicht vom Wetter gebleichte Aststücke liegen dort, sondern Menschenknochen, Zähne. Die Krater und Hügel sind Massengräber, die vom Regen ausgewaschene Erde gibt Hosen, Schals, Tücher frei. Tausende sind hier umgekommen, sie wurden erschlagen, erschossen oder zu Tode gequält.

Mit der Amnestie von Ieng Sary, so fürchten viele Menschenrechtler und Intellektuelle, werde jetzt die Vergangenheit noch weiter unter den Teppich gekehrt. Sie fordern dringend einen Prozeß: „Wenn Ieng Sary unschuldig ist, wie er behauptet, dann kann er sich doch vor einem internationalen Gericht verantworten“, sagt der kambodschanische Journalist Pin Samkhong.

Ein Verfahren gegen die Roten- Khmer-Führer vor einem kambodschanischen Gericht hält allerdings niemand für möglich – das Mißtrauen gegenüber der Justiz des Landes ist tief verwurzelt. „Die Richter tun genau das, was die Regierung ihnen befiehlt“, heißt es in Phnom Penh.

Auch Menschenrechtler Thun Saray spricht von einem internationalen Tribunal oder einer Wahrheitskommission wie in Südafrika, die das Geschehen ans Licht holen und „den Menschen das verlorene Vertrauen in Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung wiederbringen soll“. Doch genau vermag niemand zu sagen, wer eine solche Untersuchung heute durchsetzen könnte. Die 1993 unter UNO- Schirmherrschaft gewählte kambodschanische Regierung hat daran bislang kein Interesse gezeigt. Im Gegenteil, sagt Oppositionspolitiker Sam Rainsy bitter: Beide Premierminister wollten die Vergangenheit lieber ruhen lassen, weil sie früher selbst eng mit Ieng Sary und Pol Pot zusammengearbeitet haben.

So suchen viele Kambodschaner Trost im Glauben an den Lauf des Schicksals: „Ieng Sary wird der Gerechtigkeit nicht entgehen können, auch wenn es nicht in diesem Leben ist“, versichert der Buddhist Chheng Phong lächelnd und vertreibt mit dem Fächer die Moskitos, die am Abend aus dem sumpfigen Boden aufsteigen.

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