■ Schöner Leben: Das Schweigen beim Bäcker
Normalerweise hat jedes Ding seinen Namen und natürlich auch jedes Nahrungsmittel. Je komplexer die Zeiten, desto genauer wird beschrieben, was gemeint ist. Besonders deutlich wird dies beim Bäckerhandwerk, das dem Wunsch der Käuferschaft nach Vielfalt in den vergangenen Jahren eindrucksvoll nachgekommen ist. Erst gab es neben dem Urbrötchen auf Weizengrundlage das Roggenbrötchen, später kamen das robuste Mehrkorn-, das stahlharte Vollkorn-, das raffinierte Käse-, das herzhafte Zwiebel-, ja auch das süße Schoko- oder das freizeitmäßige Feierabend-Brötchen hinzu. Allerdings ist bei dieser Vielfalt eines verbal auf der Strecke geblieben: das ganz normale Brötchen.
„Drei Croissants, zwei Roggen und ein Brötchen“, so bestellt vor mir die einkaufstaschenbehangene Hanseatin. Ja, ist das Roggenbrötchen etwas Besseres, das es für sich steht, während unser Urväterchen aus Weizen nur ein „Brötchen“ geschimpft wird? Andererseits reicht es nicht, daß ich lässig „drei Brötchen“ bestelle, obwohl nichts für ein Bäckereifachverkäuferhirn einfacher sein sollte, als zu akzeptieren, daß ich einfach nur mein täglich Weizenmehl möchte. Doch die Verkäuferin stellt sich stur „Und was für welche?“ Brötchen alleine gibt's nicht. Daher die hilflose Angewohnheit des Verfassers „zwei Roggen und ein Normales“ zu bestellen. Leider klingt das, als wären alle anderen Brötchen kirre und man erntet regelmäßig fragende Blicke, wer denn hier nicht normal ist. Natürlich bleibt, vor allem in Gebieten wie Schwachhausen, die Möglichkeit, ein paar „Krosse“ zu bestellen. Doch schon in Bremen-Nord ist der Berlin-Blick - grummeliges, stechendes Taxieren, das in seiner deutlichsten Ausprägung aus dem mit Verballhornungen wie „Schrippen“ geplagten Bundeshauptstadt zu finden ist - weit verbreitet. „Was wollen Sie? Sind die anderen etwa nicht kross?“ sagt dieser Blick. Und vor allem: „Aha - da weiß wieder einer nicht, wie er das Urväterchen nennen soll.“ Und deshalb liegt es so nah, statt zu plauschen stumm mit dem Finger auf die Vollkörner und die Käseknuste zu zeigen, um schließlich, ebenso gewitzt wie notwendigerweise maulfaul, auf die Unaussprechlichen zu deuten und locker mit einem „und zwei von denen“ zu schließen. Lars Repesgaard
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