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Übung macht die Kämpferin

Judo-Lehrer Dieter Schittkowski über Selbstverteidigung für Frauen

Selbstverteidigungskurse boomen. Das Angebot für Frauen reicht vom zehnstündigen „Intensiv-Kurs“ bis zum jahrelangem Training im Verein. Aber haben Frauen im Ernstfall wirklich eine Chance gegen männliche Angreifer? Wir sprachen mit Dieter Schittkowski (61). Der zweifache deutsche Vize-Meister eröffnete 1958 eine der ersten Judo-Schulen Deutschlands in Bremen. Seither hat der Dan-Träger (7. Dan im Judo, 6. Dan im Jiu-Jitsu) eigenen Angaben zufolge etwa 600.000 Männer und Frauen ausgebildet.

Herr Schittkowski, für Frauen, die sich selbst verteidigen wollen, gibt es ein breites Angebot: Judo, Karate, Jiu-Jitsu. Was würden Sie empfehlen?

Von allem etwas. Jiu-Jutsu bietet sich an, weil das eine selbstverteidigende Sportart ist, in der alles steckt: Die Elemente des Werfens aus dem Judo, die Schlagtechniken aus dem Karate, Hebelwirkungen, Selbstverteidigung.

In vielen Sportschulen werden Zehn-Stunden-Kurse zur Selbstverteidigung angeboten. Kann man diese Techniken in solchen Kursen lernen?

Ich halte von solchen Kursen überhaupt nichts. Diese Kurse eignen sich höchstens als Schnupperkurse. In zehn Stunden kann man den Teilnehmerinnen nur zeigen, was sie alles lernen können. Es wird zwar eine Menge gezeigt, aber nach zehn Stunden beherrschen die Teilnehmerinnen die Bewegungen aus der ersten Stunde nicht mehr. Um sich wirkungsvoll zu verteidigen, müssen die Reflexbewegungen aber immer wieder und wieder eingeübt werden.

Wie lange dauert es, bis eine Frau sich zur Wehr setzen kann?

Das ist eine schwierige Frage. Mädchen werden dazu erzogen, sich nicht zu prügeln. Im Ernstfall blockiert diese Hemmschwelle die Frauen natürlich. Das muß erstmal abgebaut werden. Und wie lange das dauert, ist individuell verschieden.

Und wenn die Hemmschwelle überwunden ist?

Selbst wenn die innere Einstellung zur Verteidigung vorhanden ist, braucht man mindestens ein Jahr Training, um reinzukommen. Nach einem Jahr fängt man langsam an, die Reflexbewegungen zu verinnerlichen. Man muß eins bedenken: Im Ernstfall weiß der Angreifer ganz genau was er vorhat, das Opfer weiß nichts.

Das hört sich ja niederschmetternd an. Ein Jahr Training, und danach ist es immer noch fraglich, ob eine Frau sich im Ernstfall verteidigen kann.

Ganz so ist es nicht. Etwas Selbstverteidigung ist besser, als gar nichts. Und manche Schlagtechniken, die man am Anfang lernt, sind sehr wirkungsvoll: Stichbewegungen in die Augen, Schläge an den Kehlkopf und in den Unterleib. Außerdem lernt man, wie man sich im Ernstfall verhalten kann, und das verlernt man nie.

Und die Frauen werden selbstbewußter, und das dauert kein Jahr.

Ja, aber darin liegt auch die Gefahr, sich zu überschätzen. Wenn man auf der Matte steht, ist alles viel leichter, weil der Gegner nachgibt. Im Ernstfall gibt der Gegner aber nicht nach. Man muß sich ganz kurz und gezielt verteidigen. Man hat nur eine Möglichkeit. Der Überraschungseffekt ist kurz und den muß man ausnutzen, und das ist nicht so einfach.

Haben Frauen im Kampf gegen Männer, die ihnen körperlich überlegen sind, eigentlich überhaupt eine Chance?

Nach intensivem Training, auf jeden Fall. Und auch am Anfang werden Wurftechniken gelehrt, bei denen es auf die Hebelwirkung ankommt. Diese Hebelwirkung bringt den Gegner zu Fall. Sein Gewicht spielt dabei keine Rolle.

Was halten Sie davon, wenn Frauen ausschließlich mit Frauen trainieren?

Frauen sollten ruhig mal mit Männern trainieren, um ein Gefühl dafür bekommen, wieviel Kraft Männer haben. Denn die sind im Ernstfall meistens ihre Gegner.

Fragen: Kerstin Schneider

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