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Auftakt für einen harten Kampf

Beim Streit um die Lohnfortzahlung sind die Reihen der IG-Metall fest geschlossen. 24 Stunden Vollstreik bei Opel. Die Arbeitgeber dagegen sind sich uneins, ob sie die Tarifverträge einhalten  ■ Aus dem Revier Walter Jakobs

Einmal an diesem Morgen kommt doch noch Freude auf. Es ist gerade 6 Uhr 30, als IG-Metall- Vertrauensmann Erich Achenbach sich per Mikrophon von seinen rund 4.000 Arbeitskollegen vor dem Bochumer Opel-Werkstor verabschiedet: „Ich wünsche noch einen guten Schlaf und einen schönen Feierabend.“ Jetzt strahlen die eben noch angespannt wirkenden Gesichter. Feierabend nach einer halben Stunde Demonstration.

So schnell und entschlossen ging selten ein Aktion der Belegschaft bei Opel-Bochum zu Ende. Im Werk geht an diesem Dienstag nichts mehr. 24 Stunden stehen alle Bänder still. Auch die Mittags- und Nachtschichtler werden nach einer kurzen Information wieder abziehen. Der eintägige Vollstreik der knapp 15.000 Beschäftigten wird sich bei der Produktion mit einem Minus von 1.000 Autos niederschlagen und zu Umsatzeinbußen von 5 Millionen Mark führen.

Das ist der Preis, den die Opel- Geschäftsleitung für ihre Ankündigung zahlen muß, künftig im Krankheitsfall den Lohn um 20 Prozent kürzen zu wollen. Aber es dürfte noch wesentlich teurer werden. Schon am vergangenen Samstag hatte Opel-Generaldirektor David Herman während der Belegschaftsversammlung wütende Zwischenrufe geerntet. „Dieser Standort wird brennen“, so lautete eine Antwort auf Hermans Bekenntnis zur „Solidarität“ mit dem Arbeitgeberverband und seine Lobgesänge für die Bonner Gesetzesverschärfungen. Der Rest war in einem Pfeifkonzert untergegangen.

An diesem Dienstag morgen dringt von dieser Wut im Bauch nicht viel nach draußen, weil sich von der Unternehmensleitung niemand sehen läßt. Bewegung kommt immer nur dann in die Menge, wenn Funktionäre der Gewerkschaft oder Betriebsräte versichern, daß dieser „Vertragsbruch von uns nicht kampflos hingenommen wird“.

Tatsächlich begründet der Metall-Manteltarifvertrag in NRW eindeutig ein vom Gesetz unabhängiges Recht auf 100prozentige Lohnfortzahlung. Juristisch bewegt sich die IG-Metall in NRW deshalb auf der sicheren Seite. Um so größer ist die Empörung über das Opel-Management. „Es ist einfach eine Schande, wie die sich verhalten“, sagt Heinrich Rademacher, der seit 27 Jahren bei Opel malocht. Letztendlich werde die Kürzung der Lohnfortzahlung dazu führen, „daß Kranke sich gezwungen sehen, sich in den Betrieb zu schleppen. Das dürfen wir nicht akzeptieren.“ Die nächsten Schritte sind vorgezeichnet: Zunächst einmal „werden wir alle Betriebsvereinbarungen überprüfen“, kündigt Betriebsratschef Peter Jaszczyk an. Der Betriebsrat werde „solange keine Sonderschichten mehr genehmigen, solange der Tarifvertragsbruch nicht rückgangig gemacht wird“.

Dabei macht sich Jaszczyk über die Härte der Auseinandersetzung keine Illusionen: „Das wird nicht in kurzer Zeit erledigt sein, sondern auf uns kommt ein harter Kampf zu.“ Für die Metaller in Bochum ist klar, daß Opel zusammen mit Mercedes auf Seiten der Arbeitgeber inzwischen „die Speerspitze bildet“. Um so schwerer wird's. Doch alle Hände rühren sich zum Applaus, als der örtliche IG- Metall-Chef Ludger Hinse wenig später davon spricht, „daß wir das verteidigen werden, was unsere Väter und Mütter in einem langen Streik erstritten haben“.

Auch in Hattingen applaudieren an diesem Morgen rund tausend Gewerkschafter ihrem Ortsbevollmächtigten Otto König, als er mit aufbrausenden Worten verkündet, „was wir erstreikt haben, werden wir mit Streik verteidigen“. Ein paar Kilometer weiter westlich im Revier, im Hans- Sachs-Haus in Gelsenkirchen, sind eine Stunde später ähnliche Töne zu hören. Auch die evangelische Kirche beteiligt sich. „Hier und heute ist Schluß“, ruft der Industrieseelsorger Rainer Schäfer unter stürmischem Beifall in den überfüllten Saal. Weil Arbeitgeber und Regierung sich „offensichtlich nur noch den Lobbyisten und Aktionären verplichtet“ fühlten, sei es jetzt an der Zeit, „daß wir sie zwingen, auch unsere Interessen zu sehen“. Und als der Pfarrer mit überdrehter Stimme ankündigt, „daß wir nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank ziehen“, da erntet er aus dem Saal regelrechte Beifallsstürme.

Zuvor hatte IG-Metall-Bezirkschef Harald Schartau angesichts der „lupenreinen Regelung“ im Tarifvertrag die Arbeitgeber erneut als „Vertragsbrecher“ gescholten, auf die es seitens der Gewerkschaften nur eine Reaktion geben könne. Wenn es bei deren Position bleibe, so Schartau, „fällt der Hammer hin, dann müssen wir auf die Straße gehen, bis die Arbeitgeber wieder zur Vernunft kommen“.

Daß ausgerechnet Kanzler Kohl nun vor Rechtsbrüchen warne, sei eine „Scheinheiligkeit ohne Beispiel“. Der Saal reagiert mit „Heuchler, Heuchler“-Rufen. Von einer geschlossenen Front kann auf Seiten der Arbeitgeber ohnehin nicht die Rede sein.

Schon mehrere Metallbetriebe haben auch in Gelsenkirchen inzwischen per Betriebsvereinbarung zugesichert, daß der Tarifvertrag gilt. Selbst ein KFZ- Handwerksbetrieb, so berichtet der Gelsenkirchener IG-Metallchef Hubert Ulatowski, sei dabeigewesen. „Et bröckelt so'n bißchen“, freut sich der Metaller, auch wenn es ja „eigentlich traurig ist, daß man sich inzwischen schon per betrieblicher Vereinbarung versichern lassen muß, daß Tarifverträge gelten“.

Für Alfred Jurkat ist das nichts Neues. Er und seine rund hundert Kollegen von der Thyssen-Draht in Gelsenkirchen haben drastische Lohneinbußen schon hinter sich. Thyssen hat ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt und mit der Schließung des ganzen Werkes gedroht. Am Ende haben die Beschäftigten in einer Abstimmung 17,3 Prozent weniger Lohn akzeptiert. Alle Proteste hatten nichts genutzt. Jetzt steht der 56jährige Jurkat wieder in der ersten Reihe der Protestierenden und hofft auf einen besseren Ausgang.

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