: Sie wollten nicht mehr auf die Befreiung warten
■ Ab September 1943 formierte sich der intalienische Widerstand gegen den Faschismus. Tausende von Männern und Frauen kämpften als Partisanen - sie wurden in der Nachkriegszeit als Helden...
Cesarino Catellani schrieb einen Brief, als er von der Verhaftung seiner Brüder erfuhr: „Sollten die beiden Catellani zu Tode kommen, bringe ich Dich und Deine ganze Familie um. Gezeichnet Cesarino Catellani.“ Klare Worte, adressiert an den faschistischen Bürgermeister der Gemeinde Correggio. Der wußte, daß mit Cesarino nicht zu spaßen war. Er machte all seinen Einfluß geltend und brachte die beiden Jungen schließlich nach Hause, höchstpersönlich in seinem stattlichen Dienstwagen.
Der alte Mann lächelte in Erinnerung an diesen Triumph und läßt ein paar Minuten lang beiseite, was wenige Wochen später geschah: Die Deutschen holten Mariano, einen der Brüder, wieder ab und fragten ihn, wo der als Partisan bekannte Cesarino sei. Als der Junge keine genauen Angaben machte, banden sie ihn auf einen Tisch, schlugen ihn und jagten ihm Stromstöße in die Hoden. Die Folter dauerte lange, denn Mariano wußte nicht, wo sich sein Bruder aufhielt.
All das ist lange her. Damals war Cesarino 24, heute ist er 76 Jahre alt und hat einen Herzinfarkt hinter sich. Still sitzt er in dem viel zu großen Beifahrersitz im Auto und blickt auf die Felder und Wiesen. Hier hat er als Partisan Konvois überfallen, Telefonleitungen gekappt und Brücken gesprengt. Nur selten gibt er einen kurzen Kommentar ab: „In diesem Bauernhof hier haben wir oft Unterschlupf gefunden.“ – „Hier ist ein enger Freund aus meiner Abteilung gestorben, wir hatten eine Gruppe Faschisten in Zivil für Partisanen gehalten.“
Mit dabei auf dieser Fahrt durch die blutige Vergangenheit sind auch Cesarinos Kameraden Avio Pinotti und Amerope Forneciari. Avio sitzt am Steuer des Wagens und nimmt die Kurven der schmalen Sträßchen, als hätte er gerade seinen 18. Geburtstag gefeiert und müßte übermütig erst einmal ausprobieren, was so eine Blechkiste hergibt.
Seit 40 Jahren leitet er den Verband der ehemaligen Partisanen des Städtchens Correggio, das in der Weite der Poebene liegt, zwischen Reggio 'nell Emilia und Mantua. Eine Hochburg der Kommunisten, die etwa die Hälfte der italienischen Widerstandsbrigaden dominierten. Katholiken, Sozialisten und Radikalliberale waren in anderen Regionen stärker.
Zwischen alten Weinstöcken und hohem Mais taucht ein Dorf auf. Fabbrico. Hier entführte Cesarino zusammen mit zwei Kameraden sieben Deutsche, die gerade eine Menge Käse und Fahrräder beschlagnahmt hatten. Die Deutschen saßen in der Gaststätte und aßen zu Mittag, als plötzlich die Tür aufflog und drei kleine Männer mit Tüchern vorm Gesicht hereinstürzten. Gegenwehr war zwecklos, die Waffen lehnten an der Mauer.
Cesarino und seine Freunde fesselten sie, verbanden ihnen die Augen und brachten sie mit dem Lastwagen der Deutschen in ein Versteck. Dort befahlen sie den einfachen Landsern, ihren Offizieren die Schulterklappen abzuschneiden. „Wir wollten sie demütigen, aber sie weigerten sich.“ Schließlich griffen zwei Soldaten doch zum Messer und schworen, sie wollten ab jetzt für die Partisanen kämpfen. „Diese beiden haben wir gerettet, aber die anderen fünf ... die mußten wir um die Ecke bringen.“ Cesarino kneift die Lippen zusammen, seine hellen Augen werden starr.
Die zwei Deutschen, die rechtzeitig zum Gegner wechselten, hießen ab sofort „Jupp“ und „Findelkind“ und kämpften tatsächlich bis zum Kriegsende als Partisanen gegen ihre Landsleute. Einer von ihnen ging nach der Befreiung nach Bologna, der andere heiratete eine Frau aus der Gegend und lebte mit ihr in Carpi, der nächstgrößeren Stadt.
Den Kampf gegen den Faschismus hat in dieser Gegend kaum jemand vergessen. Die Stimme des Partisanenverbandes hat noch immer Gewicht. Und so mischen sich die alten Kämpfer denn auch aktiv in Wahlkämpfe ein, organisieren Kongresse und geben eine monatliche Zeitschrift für Politik, Kultur und Geschichte heraus. Ein Blatt, an dem auch viele junge Leute mitarbeiten.
Manchmal gehen sie in die Schulen, um den Kindern zu erzählen, wie es damals war. Mit einigem Erfolg: Die Teenager stellen oft eine Frage nach der anderen und lassen ihre Mütter schon mal mit dem Mittagessen warten.
„Die ,Resistenza‘ hat ihre Waffen niemals gestreckt. Der Geist lebt fort.“ Avio zieht sich seine Schirmmütze zackig in die Stirn und läßt den Satz erst einmal wirken. Für ihn und seine beiden Freunde steht fest, daß sie die heutige Demokratie geprägt haben. Um so schlimmer war es, als sich 1994 die Ex-Faschisten unter dem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi an der Regierung beteiligen durften und einige Minister stellten. „Da dachten wir, unsere Jugend hätten wir umsonst geopfert, alles umsonst.“ Es erschien einfach unfaßbar, daß so viele Wähler den Terror der Faschisten schon vergessen hatten.
Die drei alten Männer haben nichts vergessen: Der Waffenstillstand mit den Alliierten, ihre Flucht aus den Kasernen und die Besetzung des Landes durch die Deutschen – das war nicht September 1943, es war gestern. Und die riesigen Soldatenscharen, die die Nazis bald nach Deutschland ins Arbeitslager deportierten, die steigen noch immer in all die dreckigen Waggons.
Die Deutschen demütigten ihre abtrünnigen Verbündeten nach der Besetzung, wo es ging, und ihre faschistischen Vasallen machten mit, ohne große Widerworte. Da wurde die Wut bei vielen jungen Leuten stärker als die Angst. „Wir hätten natürlich auch auf die Befreiung durch die Amerikaner warten können, aber es ging einfach nicht mehr“, sagt Amerope. Er hatte zunächst noch einige Zeit gezögert. Doch als es immer schlimmer wurde und ein Altersgenosse nach dem nächsten mutig genug für den Widerstand wurde, da konnte er unmöglich weiter die Hände in den Schoß legen.
Ähnlich wie Amerope kamen im Laufe der Monate stets neue Partisanen hinzu. Im Winter 1943 hatten sich erst 9.000 Männer und Frauen den Kampfverbänden angeschlossen. Im Sommer 1944 waren es schon 80.000, in den Wochen vor der Befreiung sogar rund 130.000. Im Widerstand ließen 45.000 Italiener ihr Leben.
„So Kinder, jetzt müssen wir aber wirklich weiter.“ Avio hat es eilig. Zu viele wichtige historische Orte wollen noch besichtigt sein. Und so braust er von einem Gedenkstein zum anderen, hält alle paar hundert Meter kurz an und kurbelt oft nur das Fenster runter. Kein Toter, kein Gefecht darf in Vergessenheit geraten.
Doch vor einem der vielen Denkmäler, die mit Hammer, Sichel und Bildern der Gefallenen geschmückt sind, steigt er aus. „Die Schlacht von Fosdondo!“ Zehn Tage vor der Befreiung riskierten hier 180 Partisanen eines der größten Gefechte mit 300 Faschisten, als diese die ganze Gegend nach Widerständlern durchkämmten. Immer neue Kämpfer aus unterschiedlichen Brigaden und Bataillonen kamen hinzu.
Doch die Niederlage war unvermeidlich. „Unsere Abteilung hatten sie dort hinter der Straße fast eingekesselt.“ Avio und seine Kameraden entkamen nur, weil ihnen der kleine Pippo mit seinem MG beim Rückzug Feuerschutz gab. Pippo blieb in Position und schoß. Dann hatte er keine Patronen mehr. Zehn Tage vor der Befreiung.
Nach solchen Gefechten durchstöberten die Faschisten und Deutschen meistens die umliegenden Häuser und erschossen wahllos Zivilisten. Die Partisanen konnten dabei oft nur ohnmächtig zusehen.
Am schlimmsten war die SS. Avio sah einmal aus einem Versteck in einiger Entfernung, wie SS-Männer eine Frau an einen Pfahl banden, ihr Kind erschossen und sie dann vergewaltigten. Der alte Mann erzählt das wie ein Historiker, dem allein an einer vollständigen Bestandsaufnahme liegt. Kein Hauch von Bitterkeit, kein Wunsch, den Deutschen ihre Greuel vorzuhalten.
„Warum sollten wir euch Deutsche hassen?“ fragt auch Cesarino. „Wir haben doch gerade gegen Haß und Grausamkeit gekämpft. Wir würden uns ja um unseren Lohn bringen.“ Sätze wie aus einer Morallehre, doch Cesarino ist keiner, der in fremden Worten spricht.
Ihm erzählt in Correggio jede Straßenecke ihre eigene Geschichte. Auch die alte, krumme Frau, die gerade auf dem Fahrrad vorüberzockelt, war Partisanin. Sie überbrachte Befehle von einer Einheit zur nächsten, immer zu Fuß, denn auf Radfahren stand in der Stadt die Todesstrafe. Zu oft hatten die Deutschen sehen müssen, wie sich ein Attentäter aufs Rad schwang und entwischte.
In den Straßen von Correggio feierten die Partisanen der Region auch die Befreiung, die ihnen kurz vor dem Eintreffen der Alliierten gelang. Das war ein wunderbarer Tag, der 25. April 1945. Doch danach wurde es hart.
Die 730 Partisanen des Städtchens mußten zusehen, wie die Engländer und Amerikaner ihnen nach drei Tagen die Kontrolle über die Stadt entzogen. Und sie griffen auch nicht sonderlich hart gegen die Faschisten durch. Viele blieben in Verwaltung und Justiz im Satten und übten jetzt Druck auf ihre Gegner von gestern aus. „Manche von uns verheimlichten sogar, daß sie Partisanen waren. Sie wollten wieder Arbeit haben“, sagt Cesarino und schüttelt leise den Kopf.
Er kehrte nach dem Krieg nicht wieder in seinen Beruf als Bauer zurück. Statt dessen gründete er mit Freunden eine Genossenschaft für Tiefbauarbeiten. Amerope wurde Grundschullehrer, Avio zuerst Landwirt, dann Parteifunktionär und schließlich Vertreter einer Werbefirma.
Doch darüber, womit sie heute ihr Geld verdienen, verlieren die drei Männer kaum ein Wort. Und ein paar Kilometer entfernt liegt Pippo begraben.
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