: Die Polizei – dein Räuber und Schläger
■ Ordnungshüter seien so kriminell wie die Normalbevölkerung, sagt Kriminal- direktorin a.D. Ellen Karau im Körperverletzungsprozeß gegen acht Polizisten
Ein Drehbuchautor hätte das Stück kaum packender schreiben können, das seit sechs Verhandlungstagen vor dem Berliner Landgericht uraufgeführt wird. Auf der Anklagebank sitzen sieben Polizisten und eine Polizistin des Zuges einer Kreuzberger Direktionshundertschaft wegen Körperverletzung im Amt, Strafvereitelung und unbefugten Waffenbesitzes.
Solche Vorwürfe werden öfters gegen Beamte erhoben und sind deshalb nichts Besonderes. Das Pikante an dem Verfahren ist der Hintergrund. Daß es in der 30.000 Mitarbeiter zählenden Polizeibehörde keineswegs nur ein paar einzelne schwarze Schafe gibt, ist in der taz nachzulesen. Aber daß dies eine hohe Polizeibeamtin wie die Leitende Kriminaldirektorin a.D. Ellen Karau am Dienstag als Zeugin vor Gericht in aller Öffentlichkeit ungeschminkt zugab, ist neu.
Die Vernehmung von Karau dauerte fast fünf Stunden. Ruhig und gelassen schilderte die 51jährige Kriminaldirektorin, die vor wenigen Tagen aus Krankheitsgründen vorzeitig in den Ruhestand getreten ist, wie es zu den Ermittlungen gegen den Zug der Direktionshundertschaft gekommen war. In ihrer früheren Eigenschaft als Abteilungsleiterin beim Landeskriminalamt war Karau im Februar 1994 von Polizeivizepräsident Dieter Schenk beauftragt worden, den Gerüchten über kriminelle Machenschaften in der Kreuzberger Direktionshundertschaft auf den Grund zu gehen. „Ich sollte Licht ins Dunkel bringen“, so Karau.
Eines der Gerüchte besagte, daß Angehörige der Einsatzbereitschaft einen bewaffneten Banküberfall planten. Obwohl es zunächst nur Gerüchte waren, nahm die Beamtin die Sache ernst. „Ich habe in meiner 35jährigen Dienstzeit schon alles erlebt und halte nichts für unmöglich“, sagte sie vor Gericht. So habe sie zum Bespiel erlebt, daß eine Gruppe von Polizisten bei Villeneinbrüchen immer als erste am Tatort waren. Später stellte sich heraus, daß die Beamten die Einbrüche alle selbst verübt hatten. „Mein bester Wachleiter sitzt wegen vierfachen Bankraubes“, führte die Zeugin die Liste der Beispiele fort. Auch wegen Sexualstraftaten mußte die für Beamtendelikte zuständige Dienststelle der Kripo in Karaus Amtszeit immer wieder ermitteln. Ein leitender Beamter einer geschlossenen Einheit habe junge Leute unter Alkohol gesetzt und die Widerstandsunfähigen sexuell mißbraucht. In einer so großen Behörde wie der Polizei gebe es im Durchschnitt ebenso viele Straftaten wie in der Bevölkerung, stellte die Beamtin fest. Überhöhte Geschwindigkeit bei Fahrten zum Dienst kämen oft vor. Außerdem seien gegen „eine Menge Polizisten“ Disziplinarverfahren wegen Trunkenheit am Steuer anhängig. „Unsere Schwächen machen uns so menschlich“, sagte Karau lakonisch.
Nicht entschuldigen mochte sie allerdings, daß Polizeizeugen bei Straftaten von Kollegen plötzlich unter „unheimlichen Gedächtnislücken“ litten. Aus der Praxis weiß Karau auch, daß sich wegen Körperverletzung im Amt beschuldigte Beamte nicht selten mit angeblichen Widerstandshandlungen des Festgenommenen „herauszureden“ suchten. Mancher Beamter würde nach dem Einsatz kein Protokoll schreiben, damit die Beschuldigten bei etwaigen Beschwerden später nichts gegen ihn in der Hand hätten.
Als weiteres Gerücht über die geschlossene Einheit in Kreuzberg war Karau seinerzeit zu Ohren gekommen, im Besitz der Truppe befänden sich unerlaubte Waffen. Einige Beamte waren bereits wegen Drogendelikten vom Dienst suspendiert, unterhielten aber noch engen Kontakt zu den Kollegen des 1. Zuges. Als sie dies erfuhr, nahm Karau die Einheit genauer unter die Lupe. Unter einem Vorwand ließ sie sich sämtliche „Vordrucke 900“ geben. Dabei handelt es sich um den Erstnachweis der Bearbeitung eines Falles. Nicht einmal der damalige Direktionsleiter erfuhr etwas davon. „Von dem Vorgesetzten konnte man sich keine Informationen erhoffen“, sagte Karau vieldeutig. Aus den Vordrucken habe sich eine „auffällige Häufung merkwürdiger Verhaltensweisen“ des Zuges ergeben. So sei die Truppe besonders aktiv bei Einsätzen gegen illegale Zigarettenhändler gewesen.
Von früheren Kollegen der Einheit erfuhr Karau auch, daß es bei den Einsätzen häufig zu Übergriffen gekommen war. Die Beamten hätten sich dabei immer Personen ausgesucht, von denen sie nichts zu befürchten gehabt hätten, weil diese „bei der Polizei keine große Glaubwürdigkeit“ genossen.
Nach Rücksprache mit Vizepräsident Schenk und Landespolizeidirektor Gernot Piestert – „ich habe meine Vorgesetzten über alle Schritte unterrichtet“ – sorgte die Kriminaldirektorin dafür, daß der Beamte R. in den 1. Zug eingeschleust wurde. R. hatte laut Karau den Auftrag, seinen früheren Vorgesetzten beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) über strafrechtlich relevante Vorgänge in dem Zug zu berichten – allerdings nur in mündlicher Form. Der eingeschmuggelte Beamte schrieb R. jedoch mehrere Berichte. Auf die Frage der Verteidigung nach deren Verbleib erklärte Karau, sie habe die Schriftstücke nach Rücksprache mit Schenk vernichtet. Als Grund führte sie an: R. habe nur gruppendynamische Prozesse in dem Zug beschrieben und wäre auf immer und ewig in der Behörde ein verbrannter Mann gewesen, wenn die Papiere in die falschen Hände gelangt wären.
Zu den im Prozeß erhobenen konkreten Vorwürfen konnte die Kriminaldirektorin a.D. keine Aussage machen. Sie verwies auf R.s Ansprechpartner beim MEK und auf die ermittelnden Beamten. Sie machte aber keinen Hehl daraus, daß sie damals mit noch schlimmeren Taten des Zuges als „nur“ Körperverletzung und Waffenbesitz gerechnet habe.
Die Verteidiger der Angeklagten sind nicht gewillt, die Tatsache zu schlucken, daß Karau die Berichte von R. vernichtete. In einem Beweisantrag forderten sie deshalb, Polizeivizepräsident Schenk und Schutzpolizeidirektor Piestert zu laden. Zur Begründung heißt es, Karau habe die Papiere ohne Wissen ihrer Vorgesetzten vernichtet. Die Kriminaldirektorin sei bei ihren Ermittlungen von einem „übersteigerten Ehrgeiz beseelt gewesen“ und habe unbedingt einen persönlichen Erfolg vorweisen wollen, sagte Verteidiger Johann Schmidt-Drachmann. Ob das Gericht dem Antrag stattgibt, erscheint fraglich, denn wegen der anstehenden Auslandsreise eines Richters stehen nur noch zwei Verhandlungstage zur Verfügung. Der Prozeß wird am 28. Oktober fortgesetzt. Plutonia Plarre
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