■ Acht Wege, vom Linken zum Rechten zu werden: It's all right?
An einem der letzten schönen Sommertage kam Peter Sichrovsky, der liberale jüdische Autor, der eigentlich in Chicago lebt, in die Meierei im Prater, wo sich am Wochenende üblicherweise die Klugen und Sprachgewandten der Wiener Szene einfinden. „Der kommt ja gerade rechtzeitig“, witzelte einer seiner ehemaligen Journalistenkollegen, „um sich morgen die Pressekonferenz vom Jörg Haider anzuhören.“
Der Mann lag knapp daneben. Sichrovsky sollte anderntags an der Seite Jörg Haiders Platz nehmen, um sich als dessen Kandidat für die Europawahlen am 13. Oktober präsentieren zu lassen. Seither wird dem Autor Sichrovsky die Ehre zuteil, mit ganz Großen verglichen zu werden.
Hat nicht auch Arnolt Bronnen, der Expressionist und Brecht- Freund, in den zwanziger Jahren den Weg von links nach rechts eingeschlagen? Gab's nicht auch deutschtümelnde Juden? War nicht selbst der vielgefeierte Victor Klemperer so einer, der noch 1943 über das schwülstige Deutschland- Gedicht eines Stefan-George-Epigonen notierte, er stimme „hier ergriffen überein“?
Dem Blender Sichrovsky sind diese Schuhe mit Sicherheit zu groß, doch das Phänomen gibt es – den linken Drall nach rechts. Was ist das? Verrat? Oder gibt es Voraussetzungen innerhalb der linken Kultur, die für solches empfänglich machen?
1. Die Linke revoltierte gegen den bürgerlichen Staat und träumte vom Ende des Nationalstaates. Sie wollte die bürgerlichen Eliten – die „Charaktermasken“ – entmachten, aber sie wollte nicht, daß diese vom globalisierten Kapital entmachtet werden. Jetzt, wo der Staat im Zeichen der Globalisierung verschwindet, steckt die Linke im Dilemma. Versucht sie diesem Prozeß etwas Positives abzugewinnen, macht sie sich zum Mitschreiber des Fälligen. Will sie sich gegen diesen Prozeß stemmen, sieht sie sich an der Seite der Rechten als Verteidiger des Nationalstaates.
2. Eine Spielart der ehemaligen ökologischen Linken freut sich darüber, daß der Nationalstaat zu klein für die großen und zu groß für die kleinen Aufgaben wird, und reformuliert die alte Idee von der Zivilgesellschaft: Der Sozialstaat ist tot, es lebe die Familie, die Nachbarschaftshilfe – kurz: die Nächstenliebe. Und sieht sich Seite an Seite mit den Christdemokraten. Aber wo beginnt der Zynismus? In letzter Konsequenz läuft eine solche Sicht darauf hinaus, dem Sozialdumping zu applaudieren. Das Wort von der Zivilgesellschaft ist dann keine Widerstandsvokabel mehr gegen Anmaßungen von oben, sondern richtet sich gegen den armen Schlucker von nebenan.
3. Die Linke verfügte immer über einen doppelten illusionären Rückhalt. Einerseits baute sie auf die Idee eines infinitiven Fortschritts, andererseits auf die des voluntaristischen Eingriffs ins Weltgeschehen. Bei Marx, nach dessen Vorstellung die Revolutionen die Lokomotive der Geschichte waren, waren diese beiden Momente noch verbunden – später vertraute die Sozialdemokratie mehr auf das erste, die radikale Linke verstärkt auf das zweite Motiv. Doch heute, wo der Begriff des Fortschritts zur Chiffre des beschleunigten Kapitalverkehrs geworden ist, hat die Linke ein Problem. Die Rechte nicht: Den Fortschritt „aufhalten“ war immer eines ihrer Leitmotive. Dies macht sie heute attraktiv.
4. Die Idee der Revolution, dieses zweite Moment des Rückhalts der Linken, wird aus einer solchen Perspektive zum Eingriff, der den Fortschritt aufhält. Vielleicht, heißt es ja schon bei Walter Benjamin, sind die Revolutionen nicht Lokomotive der Geschichte, sondern „der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“. Elmar Altvater betonte in einem Gespräch mit der taz vor ein paar Wochen die Notwendigkeit der „Entschleunigung“. Das ist nicht rechts. Aber: Rechte hätten damit keine Probleme.
5. „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“, heißt ein berühmter Satz in Carl Schmitts Essay „Der Begriff des Politischen“. Er meint damit, daß der Staat den Begriff des Politischen in Abgrenzung zum Begriff des Ökonomischen voraussetzt. Weil aber das gesamte Denken Carl Schmitts um den Staat kreiste, läßt sich auch umgekehrt sagen: Der Begriff des Politischen setzt den Begriff des Staates voraus. Das wird heute, wo ein sich globalisierender Ökonomismus die Politik an die Wand spielt und uns glauben machen will, alles, was es noch braucht, sei, sich den „Geboten wirtschaftlicher Vernunft“ zu beugen, auch der Linken schmerzhaft deutlich. Also: Der Schmitt-Satz ist nicht links. Aber er ist auch für Linke überzeugend.
6. Weil die ökonomisch-technischen Neutralisierungen einer bloß noch verwalteten Welt die Unmöglichkeit von politischer Entscheidung postulieren, wird offenkundiger: Linke und Rechte haben sich dagegen immer aufgelehnt. Was bei den Rechten „Entscheidung“ (Schmitt) oder das „Schicksalhafte“ (Ernst Jünger), war bei den Linken die Revolution. Die Bindung an diese Vorstellung war eine durchaus libidinöse. Viele linke – und auch liberale – westeuropäische Intellektuelle haben Stalin ja nicht verehrt, obwohl er ein Massenmörder war, sondern weil ihm für das, was sie den Fortschritt nannten, der höchste Preis nicht zu teuer war. Weil ihm Menschenleben nichts galten, war er gottähnlich.
7. Ähnliches klingt heute an, wenn Klaus Theweleit, ohne sich darauf einen Reim bilden zu können, „dieses Wiederauftauchen einer Kriegszugeneigtheit in meiner Generation, die bis 1990 überwiegend pazifistisch war“, konstatiert. Das Sakrileg der 68er-Generation, schreibt Régis Debray, der frühere Berater François Mitterrands und noch frühere Mitstreiter Ché Guevaras, bestünde „im Fehlen von Menschenopfern“. Über die „helvetisierten Europäer“ macht er sich verächtlich, denn: „Ich gebe nicht viel auf eine politische Kultur, die nicht zugleich auch eine Kultur des Krieges ist.“ Knapp gesagt: Für viele Linke war die bürgerliche Gesellschaft einfach fad, die Revolution aufregend. Die bellizistische Rhetorik markiert auch den Versuch der Flucht aus der Langeweile der verwalteten kapitalistischen Welt. In der Langeweile liegt „eine entsetzliche Vernichtungskraft“, wie der Wiener Schriftsteller Michael Köhlmeier meint, „nur um diesen Zustand zu überwinden“.
8. Solange der Fortschrittsglaube hielt, meint der Pariser Soziologe Alain Touraine, konnte man noch der Auffassung sein, „progressive und reaktionäre Kräfte lägen ewig im Kampf miteinander“. Perdu – meint Touraine, der die „Erfindung einer anderen Linken“ propagiert. Les extrêmes se touchent – Die Extreme berühren sich. Robert Misik
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