: Nur Japans Elvis kommt an
Regierungschef Hashimoto hat gute Karten: Mit den Parlamentswahlen am Sonntag dürfte die liberaldemokratische Restauration perfekt werden ■ Aus Tokio Chikako Yamamoto und Georg Blume
Ryutaro Hashimoto lacht nicht. Mit sanften Blick preßt der japanische Premier die Lippen zusammen, als wolle er sagen: „Wenn ihr mich wollt, müßt ihr mich wirklich lieben.“ So schaut der Mann mit der Pomade im Haar derzeit von Abertausenden Wahlplakaten aufs japanische Wählervolk. Es heißt, keiner in Japan habe Elvis Presley je ähnlicher gesehen.
Es gibt jetzt kaum mehr Zweifel, daß der japanische Elvis sein Land auch nach den Parlamentswahlen am Sonntag weiterregieren kann. Letzte Umfragen versprechen dem Regierungschef und der von ihm geführten Liberaldemokratischen Partei (LDP) sogar die absolute Mehrheit. Das hängt stark mit Hashimotos legendärem Narzismus zusammen. Seine Selbstverliebtheit wird in den Medien so offensichtlich zur Schau getragen, daß er zumindest eines nicht sein kann: nur der treue Diener seiner Partei. Die Japaner und Japanerinnen aber würden lieber einen Michael Jackson an ihre Spitze wählen als eine von den vielen grauen Parteigestalten, die in den letzten Jahrzehnten Regierungschef waren.
Schon deshalb gibt es zu Hashimoto, dem in der LDP mißachteten, aber im Volk beliebten Einzelgänger, keine Alternative. Seinem Herausforderer Ichiro Ozawa, Chef der Neuen Fortschrittspartei (NFP), fehlt dagegen jegliches Charisma. Zwar gilt Ozawa als der durchsetzungsfähigste Politiker des Landes. Ihm gelang es vor dreieinhalb Jahren, die LDP vorübergehend zu stürzen, und – nach dem anschließenden Verlust der Macht – aus der neugegründeten NFP innerhalb kürzester Zeit eine stattliche Oppositionspartei zu machen. Doch genützt hat das dem Ehrgeizling nichts. Ozawa bleibt für die Wähler undurchschaubar. Er gilt als Taktiker. Von der Opposition aber verlangt man neben Publikumswirksamkeit auch Prinzipientreue.
So rächt sich heute für die Gegner der LDP, daß sie nach ihrem Sieg bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 1993 dem Ende der 38jährigen LDP-Alleinherrschaft größere Bedeutung zumaßen als den eigenen Grundsätzen. Linke Sozialdemokraten gingen damals mit den liberalen Reformern um Ozawa ein Regierungsbündnis ein. Ein Jahr später aber war den Sozialdemokraten sogar die Koalition mit der LDP lieber als der Reformkurs Ozawas. So entstand die gegenwärtige Konstellation mit einer wiedererstarkten LDP und einer bürgerlich-liberalen Opposition, die ohne die Unterstützung der Linken kraftlos wirkt.
Spannungs- und abwechselungslos verlief deshalb auch der Wahlkampf. Erwartungsvoll hatte man zunächst auf den Wahlkreis Hashimotos geblickt, wo ein ausgebuffter NFP-Kandidat mit dem Premier gleichauf zu liegen schien. Doch das Duell findet am Sonntag nicht statt. Längst hat der Premier seinen Gegner in den Umfragen weit überholt.
Große Erwartungen hatte auch das neue Wahlsystem geschürt, in dem pro Wahlkreis nur noch ein Kandidat gewinnt. Von dem Mehrheitswahlrecht nach englischer Art versprach man sich einen härteren Schlagabtausch zwischen den Kandidaten, deren Verhältnis auf lokaler Ebene oft von gegenseitiger Duldung geprägt war. Doch auch das neue Kalkül brachte keinen Streit: Viel zu sehr ähnelten sich die Programme der großen Parteien. Dieser Umstand wird den Wählern nun zur Qual, weil sie nach dem neuen Wahlrecht – ähnlich wie in Deutschland – eine Zweitstimme für eine Partei abgeben müssen. Umfragen zufolge hat bislang nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigen das neue System verstanden, in dem nur 300 von 500 Abgeordneten aus Wahlkreisen gewählt werden und weitere 200 über Parteilisten ins Paralament kommen.
Das Parteilistenverfahren garantiert das Überleben der kleineren Parteien. Der Rede wert ist die Ende September neugegründete Demokratische Partei Japans (DPJ). In der DPJ findet sich heute der Großteil der bisherigen sozialdemokratischen Abgeordneten wieder, und die Partei verspricht ihren Wählern einen bürgernahen Stil, der von privaten Initiativen wie Greenpeace abgeguckt sein will. Ihr Aushängeschild ist der populäre Gesundheitsminister Naoto Kan, ein japanischer Alt-68er Marke Joschka Fischer, der in Tokio den Aids-Blutkonservenskandal ins Rollen brachte.
Die DPJ übernimmt einige alte Themen der Linken: So haben sich ihre Führer deutlich von dem japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag abgesetzt. Praktisch muß das nicht viel bedeuten: Falls es zur absoluten Mehrheit der LDP nicht reicht, gilt die DPJ als aussichtsreichster Koalitionspartner. Von linker Programmtik wird dann nichts mehr übrigbleiben.
Ohnehin läßt sich das große Reformthema dieser Wahl beliebig auslegen: gyoseikaikaku – Bürokratiereform – lautet das Stichwort, unter dem die LDP Sozialkürzungen, die NFP Marktöffnung und die DPJ Dezentralisierung versteht. Dabei ist der Denkansatz nicht falsch: Ohne mehr Selbständigkeit und Eigeninitiative des Parlaments gegenüber den mächtigen Ministerialbürokratien muß in Japan jede ernstgemeinte Reform im Ansatz steckenbleiben. Daß die auf der Basis konfuzianistischer Selbstgenügsamkeit agierende Staatsbürokratie zunehmend als Problem empfunden wird, könnte sich sogar später als ein historischer Bewußteinswandel erweisen. Doch noch ist es nicht soweit. Die Reformversprechen der LDP sind nicht mehr als billige Lippenbekenntnisse vor der Wahl. Ohnehin zwingt die verbesserte wirtschaftliche Lage derzeit nicht zu harten Eingriffen.
So lassen große politische Veränderungen auch nach dem Einschnitt von 1993 noch auf sich warten. „In Japans politischem Entscheidungsprozeß wurden bisher immer Bürger den Bürokraten, Frauen den Männern und Provinzen der Zentralregierung unterstellt“, mahnt die Soziologin Keiko Higuchi. „Deshalb ist es so wichtig, daß sich bei dieser Wahl die Benachteiligten behaupten.“ Welche der Parteien heute für Bürger, Frauen und Provinzen eintritt, weiß auch Higuchi nicht zu sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen