■ Berlin: Die Große Koalition verdrängt die Sparzwänge: Ende der Politikgestaltung
Vier Tage schlugen sich vergangene Woche die Berliner Senatoren wie die Kesselflicker über den Haushalt 1997, bei dem ein Loch von sieben Milliarden Mark gestopft werden muß. Ergebnis: Null. Das Zauberwort für die zweite Runde heißt „Globalhaushalt“ – jedes Ressort der Landesregierung soll eigenverantwortlich das ihr zugemessene Geld ausgeben. Was für die untergeordneten Berliner Bezirksverwaltungen ein Fortschritt ist, illustriert auf grelle Weise das Scheitern der im Januar erneuerten Großen Koalition. Mit der Begründung angetreten, große Aufgaben bräuchten große Koalitionen, hat das Bündnis es nun offenkundig aufgegeben, Politik gestalten zu wollen. Den Senat halten keine gemeinsamen politischen Ziele mehr zusammen, sondern nur noch die gegenseitige Schwäche.
Das Debakel ist dabei nicht beiden Partnern gleichermaßen anzulasten. Zumindest die aus Hessen herbeigeholte sozialdemokratische Finanzsenatorin Fugmann-Heesing macht der Stadt unablässig klar, wie sehr Berlin in der Vergangenheit über seine Verhältnisse lebte. Selbst wenn der strikte Sparkurs der Finanzsenatorin umgesetzt wird, muß Berlin 1999 trotzdem vierzig Prozent aller Steuereinnahmen allein für Zinszahlungen ausgeben. Die Chronologie des Scheiterns ist deshalb auch ein Lehrstück über die Realitätsverweigerung in der Bundeshauptstadt. Schließlich hat die Große Koalition die Verabschiebung des Haushalts 1997 bereits bis in den Februar nächsten Jahres verschoben – um sie solider vorzubreiten, wie der Senat stets betonte. In Arbeitsgruppen sollten Senatoren Prioritäten und Nachrangigkeiten in der hochverschuldeten Kommune festlegen, die in Leitlinien für ein solides Sparpaket münden sollten. Danach sollten in Chefgesprächen zwischen Finanzsenatorin und Ressortchefs alle Haushaltsposten für die abschließende Sparklausur festgezurrt werden.
Nichts davon wurde realisiert. Der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) hat es vielmehr zugelassen, daß seine Partei einzig darauf abzielt, die populäre Finanzsenatorin zu demontieren. Einigkeit besteht nicht einmal darin, den Zielpunkt 1999 für die Sanierung des Haushalts anzusteuern oder lieber weiter Schulden zu machen und dafür die Vermögenswerte der Stadt zu verkaufen. Zerbrechen wird diese Koalition dennoch nicht. Beide Partner wissen, daß sie bei Neuwahlen nur verlieren können. Keine gute Perspektive für die Stadt. Gerd Nowakowski
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