: Vögel in der Vollzugsanstalt
Das Geheimnis aus dem Country Club: Die Ballsportart Platform-Tennis gibt es in den USA – und neuerdings auch im schwäbischen Gäufelden ■ Von Thomas Volkmann
Gäufelden (taz) – Seit er vor viereinhalb Jahren in den USA war, ist Harald Stern süchtig. Damit der Vorsitzende des Tennisclub Gäufelden, einer kleinen Gemeinde südlich von Stuttgart, nicht unter Entzug leiden muß, hat er sich seinen Stoff nun gleich containerweise anliefern lassen. Stern ist vernarrt in Platform-Tennis. Das ist ein Sport, angesiedelt zwischen Tennis und Squash, der zu 95 Prozent als Doppel gespielt wird. Von Gäufelden aus soll sich die US- amerikanische Sportart über Deutschland, eventuell gar über Europa ausbreiten.
Im Unterschied zum herkömmlichen Tennisspiel läßt sich die alternative Schlägersportart das ganze Jahr über im Freien praktizieren. „Von Bewegungsablauf und Technik her entsprechen sich Platform- und Rotsandtennis“, sagt Stern. Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Ausdauer und allgemeine Fitneß werden gefördert. „Man ist immer in Bewegung, ständig geht es vor und zurück“, beschreibt Harald Stern das Spiel mit den an „Speckbretter“ erinnernden Rackets. Zur Verringerung des Luftwiderstandes ist deren Schlagfläche durchlöchert; gespielt wird je nach Außentemperatur mit zwei unterschiedlich harten Schaumgummifilzbällen.
Entstanden ist das „Paddle- Tennis“, wie es in den USA genannt wird, etwa 1898 als „Street Game“ im Staat Michigan. Einen ersten Boom erlebte das Rückschlagspiel erst dreißig Jahre später. Da zog es um auf die namengebende Platform, die bis vor wenigen Jahren noch aus simplen Holzplanken bestand. Etwa eine halbe Million US-Amerikaner, so die inoffizielle Schätzung, tummeln sich heute auf den etwa 3.500 vornehmlich in betuchten Country Clubs installierten Courts.
Weswegen die amerikanische Herstellerfirma für Platform-Tenniscourts in der Vergangenheit an der Verbreitung des alternativen Schlägersports nicht interessiert war. Der Seniorchef wollte es beim elitären Kreis an Ausübenden belassen. Nun ist der Junior am Ruder. Der hält das „well kept secret“, das gutbehütete Geheimnis nun nicht mehr so geheim. Die Zahl neuer Platform-Tennis- courts steigt langsam. Vor knapp zwei Jahren kam auch ein bekannter Sportartikelhersteller auf den Trichter; er bietet nun eine Auswahl der zwischen 70 und 250 Mark teuren Schläger an.
Daß Platform-Tennis nicht nur eine interessante Sportart, sondern zudem eine Chance für die vermehrt über Mitgliederschwund klagenden Tennisvereine ist, davon ist der Vereinsfunktionär überzeugt. Vor allem Klubs ohne eigenen Hallenplatz hätten für die langen Wintermonate ein interessantes Angebot für ihre Mitglieder parat. „Der Tennissport soll ja nicht verdrängt, sondern ergänzt werden,“ sagt Stern.
Dieser Meinung sind inzwischen auch 70 der 360 Mitglieder des TC Gäufelden. Sie packten in den letzten Tagen kräftig an, um die per Container aus den USA angelieferten Courts zu installieren. Beim Entladen senkte sich eines der Elemente bedrohlich nahe auf Harald Sterns Fuß; um Haaresbreite blieb er von einem Plattfuß verschont.
Daß der Appetit mit dem Essen kommt, bewahrheitete sich bei der Einweihung der ersten beiden Courts am Sonntag: Die Zahl der Interessenten stieg an. Aus den USA eingeflogene Spitzenspieler demonstrierten da die kleinen, aber feinen Unterschiede, die Skeptiker erlebten ihr Aha-Erlebnis: Bumm-Bumm-Spieler haben schlechte Karten, der Lob gehört mit zum wichtigsten Schlag.
Den Pioniergeist des TC Gäufelden begrüßt auch der Württembergische Tennis-Bund (WTB). „Das kommt unserer Idee von Kleinfeldtennis sehr entgegen“, meint WTB-Präsident Dr. Heinz Latendorf, wenngleich er befürchtet, daß die Sportart bei den Baubehörden auf Schwierigkeiten stoßen könnte. „Die Käfige erinnern ja eher an eine Vollzugsanstalt“, sagt er. Wäre der Präsident statt zum Stuttgarter Finale Becker contra Sampras ins Gäu gefahren, er wäre von Bürgermeister Hermann Wolf eines Besseren belehrt worden: „Ich betrachte das eher als eine Vogelvoliere, in der bunte Vögel ständig in Bewegung sind.“
Der TC Gäufelden trägt finanziell im übrigen so gut wie kein Risiko. Die in Zürich ansässige Generalagentur EPT (European Platform-Tennis) stellt die beiden Courts, für die üblicherweise 190.000 Mark zu berappen wären, zum günstigen „Einführungspreis“ hin. Bis Ende kommenden Jahres sollen zehn weitere Vereine oder kommerzielle Sportzentren Platform-Tennis im Angebot haben. „Wenn's einmal eine Zelle gibt“, sagt Harald Stern, „verbreitet sich die Sportart explosionsartig.“
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