: Geständnis eines Folterers
Wer soll vor Gericht: der Ausführende oder der, der den Befehl gegeben hat? Gerrie Hugo, ehemals südafrikanischer Sicherheitsoffizier, über seine „antiterroristischen“ Aktivitäten, seine Zweifel an der Arbeit und der Effizienz der Wahrheitskommission und über seine Verantwortung. Aufgezeichnet ■ von James Brittain
Gerrie Hugo trat 1974 als Sicherheitsoffizier in die South African Defence Force (SADF) ein. In einem Interview mit dem Journalisten James Brittain für den britischen Fernsehsender ITN beschrieb er im Mai 1996 seine Rolle in einer der typischen antiterroristischen Aktionen von 1986.
Ich möchte vor der Wahrheitskommission als Zeuge für die Operation Orpheus auftreten; sie begann 1986, kurz nachdem Ende 1985 der Ausnahmezustand erklärt worden war. Man muß wissen, daß zu diesem Zeitpunkt das Militär politisch sehr viel stärker war als die Polizei. Genaugenommen herrschte im Land eine Militärdiktatur, das kann man nicht anders sagen. Das Arrangement war eine Art kooperatives Management, in dem das Militär der stärkere Partner war; es gab ein Kabinett, das aber vom Militär kontrolliert wurde. Selbst Politiker würden das heute nicht mehr ernsthaft bestreiten.
Man rief mich also ins Büro meines direkten Vorgesetzten. Er zeigte mir ein Dokument, in dem davon die Rede war, daß die demokratische Massenbewegung der United Democratic Front (UDF), eine sich als Alternative zur Regierung anbietende Kraft, zu einer ernsten Gefahr für die Sicherheit Südafrikas geworden sei und daß wir – SADF und Polizei – deshalb gemeinsam vorgehen müßten, um die Führung dieser Massenbewegung zu neutralisieren.
Würgen, Psychodruck – das war die Norm
Die Operation selbst wurde zum größten Teil nachts ausgeführt. Unsere Leute trugen dabei Overalls – die „Uniform“ der Arbeiter der städtischen Werke von Port Elizabeth –, damit sie nicht mit den Sicherheitskräften in Verbindung gebracht werden konnten. Außerdem trugen sie Strumpfmasken, damit man bei Gegenüberstellungen nicht erkannt werden konnte, etc. Wir gingen dann nachts in die Townships der Region, entführten die Leute und verhörten sie, bis zum dritten Grad: Wir hielten sie unter Wasser, bis sie fast ertranken, oder „schlauchten“ sie; das heißt, wir nahmen den Innenschlauch eines Autoreifens und legten ihn so fest um den Kopf, bis das Opfer fast erstickte, gaben ihm dann eine Sekunde zum Luftholen und legten den Schlauch wieder um. Wir verabreichten ihnen Elektroschocks und setzten die Leute auf verschiedene Arten psychologisch unter Druck, mit Aberglauben und ähnlichem Zeug. Das war die Norm. Das kann man nicht anders bezeichnen als massive Menschenrechtsverletzung, aber so war es.
Ich war als Koordinator dieser Operation für die Organisation der verschiedenen Einheiten zuständig, aber nicht direkt beteiligt. Ich hatte meine Polizeigruppen und meine militärischen Gruppen. Ich ging raus und besuchte sie oft, das wurde von mir erwartet. Ich sah bestimmte Sachen, ich wußte, wie sie operierten. Ich ließ sie machen, schließlich kriegten wir Resultate. Am Ende war ich sehr effektiv in der Erreichung des Ziels, das mir mein Befehl gesetzt hatte.
Zunächst hatte ich keine Angst, bezogen auf diese Operation – bis zur ersten Woche der Anhörungen vor der Wahrheitskommission. Ich behaupte nicht, daß da keine gravierende Menschenrechtsverletzung stattgefunden hätte; das war der Fall. Aber für uns war das normal. Ich kriegte erst Angst, als ich im Fernsehen einen früheren Polizisten sah, der beschrieb, was er einmal getan hatte: Er hatte einen Mann mit einer Eisenstange totgeprügelt. Da fiel bei mir endlich der Groschen. Ich sagte mir, du lieber Himmel, dieser Typ hat sechs Monate danach bei mir angefangen zu arbeiten. Ich hatte sie alle machen lassen, was ihnen in den Kopf kam; aber was war noch passiert, wovon ich nichts wußte? Da habe ich es mit der Angst gekriegt.
Ich muß jetzt bezeugen, daß wir diese Operation gemacht haben. Ich muß auch Namen nennen. Und ich kann auch nicht so tun, als wäre ich nicht verantwortlich, nur weil ich nicht weiß, was sie alles gemacht haben. Das heißt aber auch, daß die Verantwortungskette bei mir nicht aufhört. Ich habe den Befehl bekommen, und man überließ mir die Ausführung. Das ist also ziemlich knifflig: Wer soll vor Gericht: der Ausführende oder der, der den Befehl gegeben hat?
Wo endet denn die Verantwortungskette?
Natürlich hat man seine Zweifel. Ich meine, ich hatte meine Zweifel, als ich von Namibia zurückkam, wo der Feind klar definiert war. Und dann kommst du zurück nach Südafrika, und plötzlich ist jeder ein Feind: Die Bevölkerung ist der Feind, und das Militär verwechselt soziale Reformen mit revolutionären Aktionen. Da hat man so seine Momente von Selbstzweifel – aber gleichzeitig tut man seinen Job. Man tut ihn effektiv, indem man Informationen, die man aus den Leuten rausholt, dem System zur Verfügung stellt.
Was soll man machen? Da gibt es nicht viele Zweifel. Später, ja, da fängt eine Art Distanzierung von der Operation an. Ich hätte auch eine aktivere Rolle spielen können. Ich kann nicht sicher sagen, ob ich dann eingegriffen hätte. Nein. Man hätte mich rausgeschmissen oder ausgelacht oder vielleicht einfach nur ersetzt, und dann hätte ich mit einem Fragezeichen leben müssen, was meine Verläßlichkeit angeht, wieso ich wage, das alles in Frage zu stellen. Ich hätte wahrscheinlich nicht eingegriffen und jemanden, der das versucht hätte, wahrscheinlich genauso behandelt, wie ich dachte, daß man mich behandeln würde. Das war normal. Aber ich habe mich distanziert. Was nicht heißt, daß ich nicht verantwortlich bin.
Ich glaube, daß die damaligen Machthaber die Situation im Land völlig falsch interpretiert haben. Sie haben die massiven sozialen Reformen, die sich auf unterster Ebene vollzogen, als einen großen kommunistischen Angriff verstanden, der von einem harten Kern von Rädelsführern, Agitatoren und Revolutionären organisiert wurde – und das war nicht der Fall. Die Menschen hatten einfach genug von der Unterdrückung. Und wenn wir auf den Kern der Sache zurückgehen, dann war die Apartheid einfach von Anfang an falsch. Ich meine, das erklärt alles.
Der Kommission fehlt es an Kompetenz
Mir ist eine Überzeugung geblieben, nämlich daß die Verteidiger der Apartheid strikter verurteilt werden müssen als die, die versucht haben, den Status quo zu verändern. Denn die Apartheid war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber das sagt man so, hinterher. Viele Leute in diesem Land sind anderer Meinung, sie glauben, daß wir uns von Anfang an in einem Kriegszustand befunden hätten. Warum kapieren sie nicht, daß sie diesen Krieg verloren haben und daß sie jetzt dran sind?
Ich habe, was die Wahrheitskommission betrifft, gemischte Gefühle. Es mußte sie geben, das war lange klar. Das ist ein Heilungsprozeß. Und es sind die richtigen Leute, die da oben sitzen. Eine gute Mischung aus Fachwissen, Betroffenheit und Kompetenz. Aber eigentlich bin ich mir über die Kompetenz nicht so sicher. Meine Befürchtung ist, daß man sich zu sehr mit den individuellen Fällen beschäftigt und das Gesamtbild zuwenig zur Kenntnis nimmt. Der Wahrheitskommission fehlt einiges. Haben sie einen Militärexperten, der weiß, wie der Apparat von innen funktioniert hat? Oder jemanden, der fließend Afrikaans spricht oder den militärischen Jargon versteht und zwischen den Zeilen lesen kann, der das System kennt? Wer kann sich eine Abteilung der Sicherheitskräfte vornehmen und gleich sehen, daß da Dokumente fehlen? Ich glaube, da herrscht ein gravierender Mangel an Experten.
Ich denke, daß die Haltung meiner Vorgesetzten darin bestehen wird, solange wie möglich zu schweigen, bis kurz vor dem letzten Antragstermin für eine Amnestie. Wenn ich mit alten Kollegen rede, kommt immer dasselbe: Halt den Mund, rede noch nicht, guck erst mal, wie effektiv die Wahrheitskommission überhaupt ist! Pack erst aus, wenn's heiß wird!
Bisher nur Vergebung, keine Entschuldigung
Aber wenn ich dazu beitragen kann, daß es eher heute als morgen heiß wird, dann will ich das gern tun. Ich werde Namen nennen, garantiert. Weil ich wissen will, wo die Verantwortlichkeit aufhört. Wer hat die Befehle gegeben, und wer ist jetzt dran? Ab wann ist man politisch ersetzbar? Irgendwo muß es die Grenze geben, an der sie sagen: Nein, das ist zu schrecklich, wir können diesen General oder jenen Politiker nicht über die Klinge springen lassen. Das wird ein heilsamer Prozeß, aber bisher gab es nur Vergebung, keine öffentliche Entschuldigung. Keine verdammte Reue. Wie soll das gehen, das Heilen, wenn einer zu mir kommt und sagt: „Ich vergebe dir; ich weiß zwar nicht, was du getan hast, aber ich vergebe dir.“? Was soll das für eine Scheißbeziehung sein, die darauf aufbaut?
Das ist eine Farce. Reue bedeutet, daß einer von uns etwas verbrochen hat, wir entschuldigen uns und helfen der Wahrheitskommission, die Täter zu finden. Warum hat die Armee das nicht getan? Die Polizei hat jetzt gesagt, okay, wir werden Leute für die Untersuchungen bereitstellen. Das Militär stellt sich tot, dabei ist es weiß Gott nicht der unschuldige Partner im damaligen Konflikt gewesen.
Sobald ich mich öffentlich geäußert hatte, wurde ich zum Feind. Man behauptete, ich sei unheilbar krank, ich hätte Aids und läge im Sterben. Der Büroleiter einer militärischen Abwehreinheit erzählte mir, daß sie fast ein Jahr lang nichts anderes gemacht hätten, als mir zu folgen und Berichte über mich zu schreiben. Ich wurde Opfer einer Schmierenkampagne: Ich hätte Syphilis im Gehirn, würde langsam verrückt, deshalb würde ich all diese Sachen zusammenfaseln.
Als ich anfing zu reden, sagte mein Vater, der auch beim Militär war: Du hältst besser den Mund, der und der hat gesagt, sie würden dich umbringen. Auch Leute von der Polizei, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sagten, deine alten Kollegen und Freunde werden dir Feuer unterm Arsch machen. Das war eine ziemlich heftige Kampagne, am Ende begann auch die neue Regierung dieses Propagandazeug zu glauben.
De Klerk hat die Wahl
Ich will versuchen, das mit der Verantwortlichkeit zu erklären. Im Februar 1990 hob Frederik Willem de Klerk das Verbot mehrerer Organisationen auf: Der ANC war nicht mehr der Feind. Er sagte, wir sind jetzt am Verhandeln. Das Militär aber ließ sich auf diese Verhandlungen nicht ein, es intensivierte seine Aktionen gegen den ANC sogar noch. Die Dokumente werden das beweisen. Die Wahrheitskommission sollte sich die „Low- intensity“-Konflikte vor Februar 1990 angucken und mit den Operationen danach vergleichen – das waren illegale Operationen.
Die Polizei wurde als Teil des Sicherheitsapparats sofort an den CODESA-Gesprächen beteiligt (Convention for a Democratic South Africa), das Militär bis Ende 1992 aber nicht. Zehn Jahre lang oder sogar länger hatten sich die Militärs, Brigadiers und Generäle an den Gedanken gewöhnt, daß sie die Politik machen. Plötzlich kommt der Februar 1990, und sie sitzen nicht mehr an den Hebeln der Macht. Es wird verhandelt. Sie intensivieren die Operationen, bis sie Ende 1992 in die Verhandlungen einbezogen werden.
De Klerk hat die Wahl. Entweder sagt er: „Ich wußte Bescheid. Zwar habe ich Verhandlungen und Reformen beschlossen, aber in der Zwischenzeit wollte ich, daß meine Militärs den Feind schwächen.“ Oder er sagt: „Ich erklärte, daß wir verhandeln, und meine Generäle wollten nicht mitmachen. Sie ließen sich nicht kontrollieren, und ich konnte nichts gegen sie tun, weil ich damit meine eigene Machtbasis zerstört hätte.“ Was für andere Möglichkeiten soll es geben? Aber genau da beginnt Verantwortung.
Dann muß man zu den Generälen gehen und fragen: Auf welcher Seite stehst du? Und so weiter fragen, bis ganz nach unten. Natürlich werden sie sich damit verteidigen, daß „er mißverstanden“ hat, oder „sie die Befehle mißverstanden“ haben. Unter dem gemeinsamen Regime waren Entführungen okay, war Folter dritten Grades okay. Sie wußten ebenso gut Bescheid wie ich. Verantwortlichkeit macht nicht einfach irgendwo halt.
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