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Ein Tag reichte aus, um das Dilemma der FDP ans Licht zu bringen. Nachdem ihr Profil als Steuersenkungspartei gründlich ramponiert ist, sucht die CDU-Partnerin neue Themen, mit denen man Wahlen gewinnt. Doch fast überall hat sie verspielt.

Ein Tag reichte aus, um das Dilemma der FDP ans Licht zu bringen. Nachdem ihr Profil als Steuersenkungspartei gründlich ramponiert ist, sucht die CDU-Partnerin neue Themen, mit denen man Wahlen gewinnt. Doch fast überall hat sie verspielt.

Wer sich selbst eine Grube gräbt...

Kurz war der Rausch. Jetzt fängt das Zittern wieder an. Acht Monate nachdem die FDP bei drei Landtagswahlen überraschend Erfolge erringen konnte, steht sie fast wieder da, wo sie noch im Februar gestanden hat: im Ruf, eine Umfallerpartei zu sein, überflüssig, lediglich dafür gut, Mehrheiten im Bundestag zu beschaffen. Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht von einer „existentiellen Gefährdungssituation“.

Ein Tag reichte aus, um das Dilemma der FDP ans Licht zu bringen: Freitag, der 18., an dem sich die Parteispitze von der CDU und insbesondere von Finanzminister Theo Waigel (CSU) über den Tisch ziehen ließ. Es rächt sich nun, daß die FDP sich auf ihren vermeintlichen Lorbeeren ausgeruht, sich auf das Profil als Steuersenkungspartei verengt hat, „monatelang im Blindflug das Desaster herausgefordert hat“, wie ein FDP- Abgeordneter sagt.

Jetzt, wo die Blamage da ist, wo klar ist, daß die FDP ihr Versprechen nicht einhalten konnte, den Solidaritätszuschlag um ein Prozent zu senken, ist der Ruf von der Steuersenkungspartei ramponiert. Und sich verwundert die Augen reibend, stellen die FDP-Mitglieder fest: Auf anderen Feldern hat die FDP fast überhaupt nichts zu bestellen.

Bis zum 18. Oktober lief für die FDP eigentlich alles rund. Sie kabbelte sich mit der CSU ein bißchen um die Videoüberwachung, die sie ablehnt, um die deutsch-tschechische Erklärung, die sie befürwortet, den Ehrenschutz für Soldaten, den sie erst abgelehnt hat und jetzt doch will, und war ansonsten eifrig bemüht, an dem Mythos „Steuerland ist abgebrannt“ zu basteln. Leute wie Leutheusser-Schnarrenberger, die der FDP ein liberales Gesicht verliehen, sich aber mit der CSU erbitterte Kämpfe um Themen wie den Großen Lauschangriff lieferten, konnten da nur stören. Stromlinienförmig stürzte sich die FDP fast ausschließlich auf ein Thema, das nun wirklich jeder Bundesbürger gutheißt: Steuersenkung. Cleverer geht's scheinbar nimmer. Und war die FDP nicht tatsächlich diejenige Partei, die gegen den erbitterten Widerstand der CSU die Senkung des Soli- Zuschlages durchgesetzt hatte? Bestand sie nicht darauf, die Steuerreform schon 1998 durchzusetzen? Hatte sie nicht immer Mehrwertsteuererhöhung und Mineralölsteuererhöhung Absagen erteilt? Und gab es irgendein Thema, daß die Bürger mehr beschäftigt hätte? Selbst die Grünen äußern sich ja fast nur noch zu Wirtschaftsthemen.

Das Gewitter kam wie aus heiterem Himmel. Nun gut, die SPD hatte gerade durch ihren Widerstand im Bundesrat dafür gesorgt, daß die Erhöhung des Kindergeldes um 20 Mark nicht um ein Jahr verschoben wird. Es fehlten 3,5 Milliarden Mark in der Kasse. Aber schon vor einem halben Jahr war abzusehen, daß sich die SPD durchsetzen würde. Dann der Freitag vor dem CDU-Parteitag: Angeblich stand die Koalition auf Messers Schneide, mußte die FDP als vernünftiger, verantwortungsbewußter Partner ein Zugeständnis machen, um die Koalition nicht zu sprengen. Doch warum eigentlich? Welcher Partner kann von einem anderen ernsthaft verlangen, ein erfolgreiches, sinnstiftendes Konzept innerhalb weniger Stunden über den Haufen zu werfen? Weshalb hätte die CDU vor ihrem Parteitag riskieren sollen, daß alle nur über den Bruch der Koalition reden, statt den Kanzler zu feiern? Weshalb sollte Eile geboten sein, wo über den Haushalt doch erst Ende November abgestimmt werden soll und die Zahlen der neuesten Steuerschätzung erst am 8. November vorliegen werden?

Der Kardinalfehler war, so sagen viele FDPler, daß die FDP ohne eigene Sparkonzepte in die Verhandlung am Freitag ging. Völlig überrascht und ohne eigene Alternativangebote sei man Finanzminister Waigel ausgeliefert gewesen. Dazu paßt, daß ein „liberales Forum Steuersenkung“ zwar vor drei Monaten eingesetzt wurde, aber bis heute noch kein einziges Mal zusammengekommen ist. Doch Parteichef Wolfgang Gerhardt erhört diese Kritik von der Basis nicht. Am Montag betonte er vor der Presse, daß von seiner Partei vorerst keine Sparvorschläge zu erwarten seien. Man wolle ein Gesamtkonzept vorlegen – und das frühestens dann, wenn das Ergebnis der Steuerschätzung bekannt sei.

So versucht die FDP weiterhin mit Worten statt mit Taten zu retten, was zu retten ist. Sie beharrt auf einer Senkung des Soli-Zuschlages um gleich zwei Prozent im Jahr 1998. Sie protzt, wie Generalsekretär Guido Westerwelle, damit, daß eine „Brandmauer“ gegen Steuererhöhungen errichtet worden sei und verengt sich damit noch mehr als schon zuvor auf die Steuersenkungsrolle, die doch ersichtlich in die Hose gegangen ist. Noch einen Umfaller kann sich die FDP nicht erlauben, aber auch keinen Koalitionsaustritt. Die Courage dazu hatte sie zwar 1966 im Streit um Steuererhöhungen gehabt. Aber damals konnte sie einigermaßen sicher sein, schon wenig später ein warmes Bett bei der SPD zu finden. Was drei Jahre später ja auch klappte. Heute dagegen sind die Differenzen zwischen SPD und FDP nach allgemeiner Einschätzung zu groß.

Neue Themen sind jetzt gefragt. Ein Aufbruch ist nötig. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Max Stadler, spricht gar von der „Chance, die in der Krise liegt“. Die Ereignisse vom Freitag hätten allen die Augen geöffnet, daß das Thema Steuersenkung allein nicht ausreicht. Es sei lediglich notwendig gewesen, um die FDP aus ihrem Tief herauszuholen.

Doch was sollen das für neue Themen sein? Der Bereich Soziales ist durch das Image der „Partei für die Besserverdienenden“ verspielt. Er ist aber wohl auch nicht als Feld für Profilierungsversuche gewollt, wie Fraktionschef Hermann Otto Solms zeigt, der neuerdings beim Erziehungsgeld sparen will. Umweltpolitik und Reform des öffentlichen Dienstrechts nennt da einer und räumt ein: „Da haben wir überhaupt keine glaubwürdige Kompetenz.“ Bildungspolitik sagen andere, wie etwa die Landesvorsitzende von Sachsen- Anhalt, Cornelia Piper; sie meinen die Forderung nach zwölf Schuljahren sowie Elitenförderung.

Doch kann man damit Wahlen gewinnen? Von der Innen- und Rechtspolitik hat sich die FDP nach dem Sturz ihrer Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zugunsten des blassen, angepaßt wirkenden Edzard Schmidt-Jortzig praktisch verabschiedet. Beim Thema Großer Lauschangriff klammert man sich immerhin noch an das Verbot der Videoüberwachung. Aber wer in der FDP steht heute wirklich für die konsequente Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten? Immerhin ist da noch das Thema Staatsangehörigkeitsrecht. Die FDP will sich für die Einbürgerung von in Deutschland geborenen Kindern von Ausländern einsetzen. Doch das haben die jüngeren Abgeordneten der CDU schon längst viel vehementer vertreten. Die ausländerpolitische Sprecherin, Cornelia Schmalz-Jacobsen, ist zwar bemüht, aber wenig durchsetzungsfähig. So kommt etwa das von ihr schon lange propagierte Zuwanderungsgesetz einfach nicht voran.

„Wenn wir glaubwürdig sein wollen, können wir nicht von einem Thema zum anderen springen“, sagt Sabine Leutheusser- Schnarrenberger. „Wir müssen dabei immer das Profil der Partei berücksichtigen.“ Schön gesagt. Nur, was ist das Profil? Markus Franz, Bonn

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