Tugendterror etc.: Schönes Spiel Verstellung
■ Warum die Frauen Bill Clinton wiederwählten
An den Leuten im Hintergrund erkennt man das politische Lager. Die Frau im roten Kleid, die neben Gewinner Newt Gingrich steht: ihr Blick ist auf den Sprecher geheftet, der Mund offen, ein Mutterblick mit inzestuösem Einschlag. Frauen, die Männern allzeit ihre Schuppen von den Schultern klopfen, und die Männer merken es nicht. Sie machen Politik, und diese Politik ist rechts.
Was sich dagegen in einem öden Nest namens Little Rock, mitten in Amerika, Dienstag nacht eingefunden hatte, war ganz klar eine linke Szene, Jüngere und Ältere, Weiße und Schwarze, Gospel und Jazz: die beautiful people des Jahrzehnts, stolz darauf, von Ressentiments frei zu sein, so gut es geht.
Klar hat Bill Clinton die Linke von Anfang an enttäuscht – das Pragma der Politik. Aber wenn man die Bilder sieht von vor 20 Jahren, die Rolling-Stones-Frisur, die ins Weiche gleitenden Gesten: Dann weiß man, wo Clinton herkommt.
Er hat sich mächtig verleugnet. Er spricht, als wenn er aus dem Kuhstall käme. Nie – das hat er schon vor der letzten Wahl behauptet – habe er eine Tüte geraucht. Treu ist er seiner Frau wie der Papst der Kirche. Nie hat er irgend etwas gewußt von zwielichtigen Immobiliengeschäften seiner Kumpels in Arkansas. Eigentlich, ja, eigentlich sei auch er in Vietnam gewesen ...
Bill Clinton lügt, und jeder weiß es. Das ist bemerkenswert, wenn man den Ausgang der Wahl bedenkt. Gerade im Vergleich mit dem sicheren Stand der Konservativen in den Abgeordnetenhäusern haben die Wähler zu dem Lebensmodell, das Clinton repräsentiert, ja gesagt. Sie haben akzeptiert, auf welche Weise er sich dem Tugendterror entzieht. Der Präsident, ist ihnen aufgegangen, lügt, aber er ist nicht verlogen. Wer jenseits der Regenbogenkoalition eine Mehrheit braucht, wird ein Linker im Gewand des Biedermanns, auch wenn das Gewand so gut wie durchsichtig ist.
Ein zweiter Blick verrät, daß die weisen Wähler keine Wähler sind, sondern Wählerinnen. Es sind die Frauen Amerikas, die Clinton, den lügenden Libertin, im Amt bestätigt haben. Denn Frauen sind selbst Reisende zwischen Rollen, von denen sie wissen. Selbst den Reporterinnen des NBC-Netzwerks sieht man an, daß sie mehr zu denken wagen, als sie es im Moment auszusprechen für opportun halten. Die Linke, in ihrer Sehnsucht nach Bekenntnis, sollte das zur Kenntnis nehmen: Verstellung ist ein schönes Spiel, besonders, wenn es funktioniert. Ulf Erdmann Ziegler
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