: „Ein Staat, besetzt von Mördern und Dieben“
■ Ein Verkehrsunfall in der Türkei bringt die engen Verstrickungen zwischen Politik, Polizei und Mafia ans Tageslicht. Auch Tansu Çiller gerät ins Zwielicht
Istanbul (taz) – Der angesehene türkische Kolumnist Cetin Altan hatte in einem Artikel ausgesprochen, was viele Türken ohnehin denken. Der türkische Staat sei auf dem besten Weg, eine kriminelle Bande zu werden. Ein Verkehrsunfall vom vergangenen Sonntag hat Altans Aussage vollends Recht gegeben.
Drei Tote und einen Schwerverletzten kostete der Unfall nahe der nordägäischen Stadt Susurluk. Die Insassen des schwarzen Mercedes-600, der auf einen Lastkraftwagen prallte, symbolisieren geradezu die Verflechtung von Politik, Polizei und Mafia. Sedat Bucak, der als einziger Überlebender im Krankenhaus Izmir behandelt wird, ist Abgeordneter von Tansu Çillers „Partei des rechten Weges“. Der kurdische Stammesführer Bucak, der in seinem Heimatort Siverek eine Art Privatarmee gegen die kurdische Guerilla PKK unterhält, wird verdächtigt, im Heroinhandel tätig zu sein und politische Morde zu organisieren. Neben dem Abgeordneten saß Abdullah Catli, die wohl schillerndste Figur in dem Mercedes. Catli, Ende der 70er Jahre im faschistischen „Idealistenverband“ aktiv, war ein professioneller Killer, der seit 17 Jahren polizeilich gesucht wurde. Auch Interpol fahndete nach Catli. Die Ermordung sieben linksgerichteter Studenten, des Redakteurs der Tageszeitung Milliyet, Beihilfe zum Papstattentat von Mehmet Ali Agca sowie diverse andere Morde werden Catli vorgeworfen. Neben Catli befand sich Hüseyin Kocadag in der Limousine. Kocadag war allmächtiger Chef der Abteilung Terrorismusbekämpfung der Istanbuler Polizei.
Nach dem Verkehrsunfall hüllte sich die Regierung in Schweigen. Die Frage, warum ein von Interpol gesuchter und des mehrfachen Mordes Verdächtiger mit einem Abgeordneten und einem Polizeichef reist, wurde nicht beantwortet. Hinzu kommt, daß in dem Mercedes sieben Schußwaffen, darunter mehrere typische Attentats-Waffen mit Schalldämpfern, gefunden wurden. Außerdem stellte sich heraus, daß Catli im Besitz eines gültigen Polizeiausweises und eines Diplomatenpasses war.
Der türkische Innenminister Mehmet Agar, dessen Rücktritt die Opposition fordert, steht nach dem Verkehrsunfall im Mittelpunkt des Kreuzfeuers. Nicht nur die politische Verantwortung ist dabei Gegenstand der Kritik. Es gibt Hinweise dafür, daß der ehemalige Polizeipräsident und jetzige Innenminister Agar in kriminelle Delikte verwickelt ist. Agar habe vor dem Unfall Bucak, Catli und Kocadag in einem Hotel im Touristenort Kusadasi getroffen, heißt es in türkischen Zeitungsberichten. Der Innenminister erklärte zuerst, daß der Verkehrsunfall keine Bedeutung habe. Schließlich flüchtete er sich in die Aussage, sein Parteifreund Bucak und Polizeifunktionär Kocadag hätten Catli der Polizei ausliefern wollen.
Die Aufklärung des Verkehrsunfalls könnte auch die Verwicklung der Außenministerin Tansu Çiller in kriminelle Machenschaften aufdecken. Catli war offensichtlich im Auftrag des türkischen Staates tätig, um einen Putschversuch gegen den aserbaidschanischen Präsidenten Haidar Alijew zu inszenieren. Türkische Zeitungen berichten, daß die Finanzierung aus dem Geheimfonds der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller erfolgt sei.
Das Dreieck Mafia, Politik und Polizei ist genauestens in einem Bericht des türkischen Geheimdienstes MIT, der vor wenigen Monaten in der linken Zeitschrift Aydinlik publiziert wurde, dargelegt. Zwar dementierte der Geheimdienst die Echtheit, doch geradezu empirisch sind in dem Bericht die Beziehungen des Abgeordneten Bucak zu dem Attentäter Catli dargelegt. Verschiedene politische Morde – fast alle im Zusammenhang mit Anteilskämpfen um das Heroingeschäft – werden der Bande angelastet. Der türkische Staat – so Oppositionsführer Mesut Yilmaz – sei von Mördern und Dieben besetzt. Ömer Erzeren
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