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Studieren nach Feierabend

Der Run auf Fernlehrinstitute und Fernuniversitäten hält unvermindert an. Die Absolventen haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt  ■ Von Kathi Seefeld

„Die halbe Bundesliga studiert bei uns“, gibt Volker Schmidtchen, Sprecher der Fernuniversität in Hagen, zum besten. Während Lars Ricken von Borussia Dortmund gerade erst angefangen habe, bewiesen Oliver Bierhoff, aber auch die Skiläuferin Katja Seitzinger schon länger, daß sie nicht nur im Sport Asse sind. „Unsere Studierenden sind in jeder Hinsicht etwas anders als normale Studenten“, konstatiert Schmidtchen. Meist haben sie keine Zeit für ein Studium, bei dem Präsenz gefragt ist. „Vor allem sind sie hochmotiviert. Sie wissen, was sie wollen.“

Wer wie die meisten der mittlerweile 55.500 FernstudentInnen in Hagen zusätzlich zum Beruf 20 bis 30 Stunden in der Woche investiere, um sich zu Hause oder im Ausland durch den Lehrstoff zu arbeiten, beweise, daß ihm nicht die „typisch deutsche Laufbahn im öffentlichen Dienst“ vorschwebe. „Probleme am Arbeitsmarkt“, ist sich der Uni-Sprecher sicher, „werden unsere Absolventen am wenigsten haben.“

Mit zirka 30.000 StudentInnen ist die Wirtschaftsfakultät der Fernuniversität Hagen mittlerweile die größte der Welt. „Der Run auf die Fernuniversität“, so Schmidtchen, „ist besonders unter den 24- bis 32jährigen unvermindert groß.“ Ein Kurs ist für immerhin nur 15 Mark zu haben. Die Abschlüsse haben Gewicht, und das Niveau ist hoch, was Schmidtchen darauf zurückführt, daß einerseits –anders als zum Beispiel bei den „open universities“ in Großbritannien, die ohne jegliche Voraussetzung besucht werden können– an der Fernuniversität Hagen nach wie vor das Abitur Bedingung ist, ein Studium aufzunehmen. Andererseits haben 60 Prozent der TeilnehmerInnen bereits akademische Abschlüsse, und noch mehr besitzen Praxiserfahrungen. Auch die Tatsache, daß Fernunterricht überwiegend schriftlich erfolge, sei Garant für eine sehr gute Qualität der Lehre. Fakten zu schaffen, die jederzeit nachprüfbar sind, wurde für viele Dozenten, die aus Vorlesungen gewohnt waren, daß ohnehin nur ein Teil der Studenten zuhört, geschweige denn mitschreibt, zur Herausforderung, meint Volker Schmidtchen. Die große Transparenz führte dazu, daß die Fernuni die wohl einzige Einrichtung sei, die sich regelmäßig selbst evaluiere. „Jeder unfähige Professor fällt schwarz auf weiß sofort auf.“

Neben sportlicher Prominenz oder der Sekretärin des deutschen Generalkonsuls in Australien studieren – wie bei Fernunterrichtsangeboten generell – auch in Hagen überdurchschnittlich viele Frauen mit Kleinkindern. „500 Strafgefangene nutzen bei uns die Chance zur Resozialisierung“, ergänzt Schmidtchen. „Wir haben Bundeswehrsoldaten oder Zivildienstleistende, die zwei, drei Semester während ihrer Dienstzeit bei uns absolvieren und danach in Köln direkt weiterstudieren.“ Besonders groß ist darüber hinaus die Gruppe behinderter StudentInnen.

Seitdem sich zum ersten Semester 1975/76 in Hagen 13.000 TeilnehmerInnen anmeldeten, wächst die Zahl derjenigen, die auf dem Postweg oder zunehmend über Multimedia mit ihren Professoren kommunizieren und Aufgaben bewältigen wollen, unaufhörlich. Nicht wenige nordrhein-westfälische SteuerzahlerInnen mosern mittlerweile. Denn 60 Prozent der StudentInnen in Hagen kommen nicht aus NRW.

Anders als beispielsweise die Stadt Köln, die laut einer Studie von den 500 Millionen Mark profitiert, welche Studenten in der Stadt jährlich nicht zuletzt für Kino oder Straßenbahn ausgeben, lebe Hagen lediglich vom Image seiner Fernhochschule. Eine finanzielle Beteiligung der anderen Bundesländer ist nicht in Sicht. Bleibt nur der Trost, daß zumindest mehr als 30 Druckereien der Region damit beschäftigt sind, alle 14 Tage 55.000 Studienmaterialien zu produzieren.

Der zunehmende Wunsch nach Unabhängigkeit beim Lernen, mit dem man jederzeit beginnen kann, bescherte in den vergangenen Jahren auch privaten Fernlehrinstituten enorme Zuwächse. Mit der Wiedervereinigung, erläutert Bernd Schachtsiek vom Deutschen Fernschulverband, sei die Zahl der TeilnehmerInnen auf zunächst 170.000 gestiegen. „Derzeit unterrichten die etwa 200 Anbieter, von denen 60 dem Verband angehören, etwa 150.000 Fernschüler.“ 1.400 Lehrgänge, so Schachtsiek, seien am Markt. Besonders kaufmännische Ausbildungen stünden hoch im Kurs. Das Institut für Lernsysteme GmbH in Hamburg, eines der größten Fernlehrinstitute in der Bundesrepublik, bietet darüber hinaus Schulabschlüsse, Sprachausbildungen und nicht zuletzt auch allgemeinbildende Kurse an.

„Das Spektrum der Fernschulen, deren Zulassung seit 1977 grundsätzlich über die staatliche Zentralstelle für Fernunterricht erfolgt, reicht vom Hauptschulniveau bis zur akademischen Weiterbildung.“ Wer das Abitur nachmachen will, muß dafür allerdings bis zu 200 Mark auf den Tisch legen.

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