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Weniger Steuern, mehr Lügen

■ Steuerschätzer prognostizieren für 1997 Fehlbetrag von 10,3 Milliarden. Für Waigel bleibt alles beim alten

Bonn (taz) – Bund, Länder und Gemeinden werden im nächsten Jahr 10,3 Milliarden Mark weniger Steuern einnehmen, als noch im Mai geschätzt. Davon entfallen auf den Bund 5 Milliarden Mark, auf die Länder 3,9 und auf die Gemeinden eine Milliarde Mark. Für 1996 wurde ein Fehlbetrag von 5 Milliarden Mark festgestellt. Dies ist das Ergebnis der Tagung des Arbeitskreises Steuerschätzung. Finanzminister Theo Waigel (CSU) erweist sich in der Beurteilung dieses Ergebnisses als Zauberkünstler. Die Etatlücke für 1997 betrage wie erwartet drei Milliarden Mark, sagte er. Die seit der Schätzung im Mai erkennbaren Steuermindereinnahmen für 1997 seien durch das Sparpaket der Koalition bereits teilweise aufgefangen worden.

Das Motto für die anstehenden Sparmaßnahmen lautet nun: Hau den Blüm! Der Arbeits- und Sozialminister soll etwa eine Milliarde Mark in seinem Ressort einsparen, das mit einem Budget von 123 Milliarden Mark 28 Prozent des Gesamtetats ausmacht. Betroffen sind die Mittel für Fortbildung und Umschulung. Noch im September hatte Blüm gesagt: „Mehr ist in meinem Ministerium nicht zu holen. Mir fällt nichts mehr ein.“ Nun kommentiert er: „Wir müssen mit dem Geld kreativer umgehen.“ Verteidigungsminister Volker Rühe, der weitere Kürzungen kategorisch ausgeschlossen hatte, muß rund 200 Millionen Mark einsparen. Andere Ministerien seien „stärker betroffen“, sagte Rühe nach der Sondersitzung des Bundeskabinetts, die am Sonntag weitergeht. Waigel zufolge wird kein Ressort von Kürzungen verschont bleiben.

Das Haushaltsloch ist möglicherweise noch erheblich größer, als bisher angenommen. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, erklärte, daß zusätzlich zu dem im Bundesbudget verankerten Zuschuß von 4,3 Milliarden Mark für seine Behörde rund 8,2 Milliarden Mark erforderlich seien. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Schätzung, da der von Bonn zu genehmigende Haushaltsplan für die Bundesanstalt für Arbeit noch nicht aufgestellt ist. Koalitionspolitiker gehen von einem Deckungsbedarf von etwa vier Milliarden aus.

Die Steuerschätzer, die sich aus Experten von Bund, Ländern, Wissenschaftlern und der Bundesbank zusammensetzen und als unabhängiges Gremium gelten, mußten etwa 20 Steuern schätzen, die ein Aufkommen von 800 Milliarden Mark erbringen. Entscheidend sind die Konjunkturdaten, die das Bundeswirtschaftsministerium liefert. Ein Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von einem Prozent führt zu 8 Milliarden Mark mehr Steuereinnahmen.

Bei der neuesten Steuerschätzung haben die Schätzer einen kleinen Trick angewandt. Im Mai 1996 waren sie von einem Steueraufkommen von 841,2 Milliarden Mark ausgegangen. Im November rechnen sie nun mit 822,2 Milliarden Mark, also 19,1 Milliarden weniger. Dennoch gehen sie von einer Schätzabweichung von lediglich 10,3 Milliarden Mark aus. Der Grund: Den geplanten Wegfall der Vermögenssteuer in Höhe von 8,8 Milliarden Mark haben sie einfach herausgerechnet. Markus Franz

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