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Tödliche Schatten über Ellen

■ Bremerin dokumentierte den brutalen Alltag in der Nervenklinik zwischen 1933 und 1945

Psychisch kranke Patienten und Behinderte sind auch in Bremen Opfer der Nationalsozialisten geworden. Wie in den anderen Nervenkliniken im Dritten Reich gehörte hier der bewußt einkalkulierte Tod zum Anstaltsalltag. Das ist zwar seit Mitte der 80er Jahre bekannt. Doch das eben erschienene Buch „Der tödliche Schatten der Psychiatrie. Die Bremer Nervenklinik 1933 – 1945“ belegt erstmals das Ausmaß der Verbrechen an Bremer Psychiatriepatienten.

Von Ellen, dem heutigen Zentralkrankenhaus Bremen-Ost, wurden demnach exakt 988 „Lebensunwerte“ in Tötungsanstalten wie Hadamar, Meseritz und Uchtspringe verlegt, 701 Frauen und Männer starben. Selbst in der Bremer Anstalt wurden nachweislich Patienten durch den Entzug von Nahrung und Medikamenten getötet.

Knapp sechs Jahre lang hat die Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht recherchiert, Angehörige und ehemaliges Klinikpersonal wurden zum Krankenmord befragt. Herausgekommen ist ein 205 Seiten starkes Nachschlagewerk, in dem Behandlungsmethoden und Ärzte der Bremer Klinik porträtiert, Vernichtungsstrategien des Dritten Reichs beschrieben und Krankentötungen eindringlich festgehalten werden. Die Arbeit unterscheidet sich zudem dadurch von der Flut von Publikationen zur NS-Zeit, daß die Autorin Einzelschicksale in Foto und Text aufrollt. Lebensläufe, die auch dann noch im Gedächtnis bleiben, wenn man das Buch längst beiseite gelegt hat. Die taz sprach mit der Autorin.

taz: Seit Anfang der 80er Jahre wurde in den alten Bundesländern die Geschichte der Nervenheilanstalten im Dritten Reich erforscht. Nur Bremen hinkte hoffnungslos hinterher. Woran lag das?

Gerda Engelbracht: Bremen galt immer als Anstalt mit einer weißen Weste. Bis vor kurzem ist die große Zahl der Opfer durch die menschenverachtende Gesundheitspolitik auch in Bremen vollständig verleugnet worden. Noch 1978 wurde im Bremer Ärzteblatt behauptet: Hier ist ja eigentlich nichts passiert. Angeblich waren die Patienten nur wegen der Bombeneinschläge auf Ellen in andere Kliniken verlegt worden.

Die Verlegungen in Tötungsanstalten liegen mehr als 50 Jahre zurück. Trotzdem gab es Widerstand gegen Ihr Buch...

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß es ganz viele Leute gibt, die gar nicht wollen, daß das Thema wieder hochkocht. Doch nur selten haben sich die Leute offen gegen mein Projekt ausgesprochen. Die meisten haben gesagt, die Arbeit sei notwendig und müsse unbedingt gemacht werden. Das ehemalige Klinikpersonal hat mit mir ganz offen über den Alltag in der Nazizeit gesprochen. Doch sobald die Verlegung von Patienten in Tötungsanstalten zur Sprache kam, gab es nur noch stereotype Antworten. Einmal haben mir Angehörige des Klinikpersonals sogar mit dem Anwalt gedroht, falls ich weiter recherchieren würde...

Selbst von seiten der Politiker gab es Widerstand?

Die FDP forderte 1992, meine von der Gesundheitsbehörde vorgesehene wissenschaftliche Untersuchung zurückzustellen. Das Geld dafür sollte lieber für die Betreuung geistig behinderter Kinder zur Verfügung gestellt werden, hieß es.

Seit zwei Jahren gibt es im Krankenhaus-Museum der Klinik Bremen-Ost einen Gesprächskreis für Angehörige der Ermordeten. Zu einigen Betroffenen haben Sie Kontakt. War das ein Motor, um weiterzuforschen?

Die gemeinsamen Gespräche über das Schicksal der Mutter, des Onkels, des Bruders oder der Großeltern haben mich tief berührt. In allen Fällen war es bisher ein Tabu, darüber zu reden. Deshalb ist es mir wichtig, an die ermordeten Menschen zu erinnern und sie aus dem Vergessen herauszulösen. Und ich bin sicher, daß durch das Buch wieder etliche Leute animiert werden, sich im Museum nach ihrer verschollenen Oma zu erkundigen.

Interview: Sabine Komm

„Der tödliche Schatten der Psychiatrie“, Donat Verlag, 29.80 Mark.

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