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Der schmale Grad zwischen Sühne und Rache

■ Heute wird im Prozeß gegen die frühere „Landshut“-Entführerin Souhaila Andrawes das Urteil gesprochen. Die Bundesanwaltschaft fordert zwölf Jahre

Hamburg (taz) – Wenn der Dritte Strafsenat des Hamburgischen Oberlandesgerichtes heute das Urteil über Souhaila Andrawes spricht, schließt er damit nicht nur die Geschichte des „deutschen Herbstes 1977“ juristisch ab, sondern entscheidet auch über den Grad zwischen Sühne und Rache.

Rund 20 Jahre nach der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ forderte die Bundesanwaltschaft eine zwölfjährige Freiheitsstrafe für die einzige Überlebende des damaligen palästinensischen Kidnapper-Kommandos „Martyr Halimeh“. Andrawes Verteidigung hatte auf eine Strafe plädiert, die bereits als verbüßt betrachtet, notfalls zumindest in der Nähe ihrer Familie in Norwegen abgesessen werden könnte.

Andrawes selber ließ im Prozeß keinen Zweifel daran, daß sie mit ihrer politischen Geschichte längst abgeschlossen hat. Ebensowenig, wie sie einen Hehl aus ihrem „politischen Fanatismus“ für den „palästinensischen Befreiungskampf“ im Jahr 1977 machte, verbarg sie nun ihr zweites Gesicht: Defensiv, nahezu demütig trat sie vor dem OLG auf. Von den damals davongetragenen Schußverletzungen und der Last des späten Prozesses gezeichnet, sagte sie in ihrem Schlußwort, sie sei mit ihrem Gewissen bestraft, „und das dauert lebenslänglich“. Wiederholt entschuldigte sie sich bei den Passagieren, denen sie solche Qualen zugefügt habe.

So sind sich sich alle Prozeßbeteiligten darin einig, daß es jeglichen Strafzweck verfehlen würde, müßte Andrawes lange hinter Gitter – trotz des schweren Tatvorwurfes der Flugzeugentführung und Geiselnahme und, so die Behauptung der Bundesanwaltschaft, ihrer Mitverantwortung am Tod des Piloten Jürgen Schumann. Die Anwaltschaft sprach bei ihrem Plädoyer vor zwei Wochen davon, daß die Tat dennoch gesühnt werden müsse. Andrawes' Anwalt Hajo Wandschneider jedoch unterstellte den Wunsch nach später Rache: All die Qualen der damaligen Passagiere und Besatzungsmitglieder würden nun auf Andrawes als einzig Überlebender des Entführungskommandos fokussiert. Erst im abschließenden Plädoyer versuchte der Strafverteidiger, das Verfahren in seinen politischen Kontext zurückzustellen. Allein zum Zweck der Überführung der parallel in Frankfurt/Main angeklagten Monika Haas sei Andrawes 1994 in Untersuchungshaft genommen und von Norwegen an Deutschland ausgeliefert worden, hielt er der Bundesanwaltschaft vor.

1977 habe die deutsche Regierung davon abgesehen, die Auslieferung der Palästinenserin zu verlangen. Damals sei sie in Somalia verurteilt und dort für einige Zeit ins Gefängnis gekommen. Zwanzig Jahre später sei die Notwendigkeit für erneute Ermittlungen allein dadurch entstanden, daß die Anklage gegen das ehemalige RAF-Mitglied Haas zu platzen drohte. Die stützte sich seinerzeit allein auf Stasi-Akten.

Als der Bundesgerichtshof entschied, daß diese keine ausreichende Beweisgrundlage darstellen könnten, „entdeckte“ die Bundesanwaltschaft plötzlich Andrawes, die seit drei Jahren mit ihrer Familie in Oslo lebte. Nach mehrtägigen Verhören sagte sie schließlich aus, Haas habe seinerzeit die Pistolen, den Sprengstoff und die Handgranaten nach Mallorca geliefert. Ihre Auslieferung und die Eröffnung des Prozesses konnte Andrawes dadurch nicht verhindern. Zudem stellte sie sich vor ihren ehemaligen GenossInnen als „Verräterin“ dar. „Ich verachte die Kronzeugenregelung“, erklärte sie deshalb und weigerte sich schließlich, ihre belastenden Aussagen vor Gericht zu wiederholen.

Nur, daß sie 1994 Haas beschuldigt habe, bestätigte sie – und bot damit der Bundesanwaltschaft erneut einen Rettungsanker. Sie habe „in weitem Umfang Wissen offenbart, das die Ermittlungen gegen Haas gefördert habe“, wollte ihr Bundesanwalt Volker Homann zugute halten und erklärte Andrawes zur Kronzeugin. Nicht auf lebenslänglich, sondern auf eine begrenzte Freiheitsstrafe plädierte die Bundesanwaltschaft folglich. Heute nun hat das OLG die absurde Situation aufzulösen, daß eine Angeklagte sich gegen den Status der Kronzeugin verwehrt, die Bundesanwaltschaft die Strafmilderungsregelung dennoch zu ihren Gunsten anwenden will.

Andrawes Anwalt Wandschneider hatte den Konflikt in seinem Plädoyer umschifft, indem er schlicht erklärte, es sei „nicht Aufgabe der Verteidigung, den Darlegungen der Anwaltschaft zur Kronzeugenregelung zu widersprechen“. Dafür sekundierte Andrawes norwegische Anwältin Bache-Wiig ihrer Mandantin. Sie mahnte, daß man nicht die Kronzeugenregelung anwenden müsse, um zu einer gerechten Strafe zu kommen. Das sei auch ohne Beleidigung möglich, indem man Andrawes anrechne, daß sie resozialisiert sei, eine Familie habe und sich schon nach ihrer Haftentlassung in Somalia vor 17 Jahren vom „palästinensischen Befreiungskampf“ zurückgezogen habe. Elke Spanner

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