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Kulturelle Fehler nicht zu verzeihen

■ Von Dänisch bis Zulu: Sprachenschulen und Volkshochschulen bieten ein immer differenzierteres Sprachangebot an. Trotzdem sind Französisch und Englisch immer noch Klassiker. Heute motiviert der Beruf zu

In Konkurrenz zur französischen Bilderbuchfamilie Leroc, die Baguettes ißt, einen Peugot kauft und in die Ferien an die Cote d'Azur fährt, ist David gekommen. David fliegt im Sprachenlehrbuch nach Tel Aviv und hat dort eine nette Freundin. Sonst ist alles beim alten geblieben. Auch im Multimedia-Zeitalter funktioniert Sprachenlernen nur durch ständiges Wiederholen, Sprechen und Vokabelpauken. Egal ob mit Hilfe einer CD-ROM, autodidaktisch mit einer Kassette oder in einem Sprachkurs.

Immer größer wird jedoch die Sprachenvielfalt. Von Dänisch für kaufmännische Angestellte über Indonesisch für TouristInnen bis Wolof und Zulu reicht mittlerweile das Angebot der Sprachenschulen. Und: Angesichts des in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel reduzierten Fremdsprachenunterrichts in den Schulen wird der außerschulische Spracherwerb immer wichtiger.

So ist Hebräisch momentan der absolute Renner: an der Jüdischen Volkshochschule sind die 15 Kurse immer ausgebucht. Für Leiterin Nicola Galliner ist es der „Exotikbonus“ und das vermehrte Interesse an der jüdischen Kultur, der dieser Sprache einen rasanten Boom beschert. So sei die überwiegende Anzahl der HebräischschülerInnen unter 30 Jahre alt und nichtjüdisch.

Die Motivation, sich einmal in der Woche für 90 Minuten ganz intensiv mit dieser Sprache auseinanderzusetzen, ist tatsächlich sehr differenziert: So lernt die Politologin Almuth Draeger Hebräisch, weil „es eine besondere, persönliche Herausforderung ist“. Sie möchte eine Sprache beherrschen, die „nicht jeder kann“. Und ein schwedischer Reiseleiter drückt jeden Donnerstag in der Volkshochschule die Schulbank, weil er irgendwann zum jüdischen Glauben konvertieren möchte. Seine Seele habe in der hebräischen Sprache endlich ein „Heim“ gefunden, meint er.

Doch die meisten Erwachsenen, die nach langer Abstinenz entweder eine völlig neue Sprache pauken oder verschüttete Sprachbröckchen wieder ins Bewußtsein holen, haben berufliche Gründe. Deshalb seien, so der Sprachwissenschaftler Konrad Schröder, die „klassischen“ Sprachen, also Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprachen, in den Sprachenschulen und Volkshochschulen fester und wichtigster Bestandteil. In diesen spezialisierten Kursen sind so auch nicht die Floskeln von „Peter, Paul und Mary“ angesagt. Dort lernen beispielsweise Hotelangestellte, wie dem Gast sprachlich am geschicktesten das beste Zimmer zu verkaufen ist.

Nach Schröders Erfahrung macht es die rasante Globalisierung und Vernetzung der Wirtschaft immer nötiger, mehrere Sprachen zu lernen. „Das fängt beim Pförtner an, der die Ladungen von polnischen Lkws annehmen muß, und hört in der Chefetage beim Abschluß eines Vetrages auf.“ Doch der Anglist warnt ausdrücklich davor, nur Englisch zu lernen und sonst „fast nichts zu können“. Das sei ignorant und könne zu einer Abschottung Europas, möglicherweise sogar zu „bürgerkriegsähnlichen“ Zuständen führen, glaubt Konrad Schröder. Deswegen hält er es für wichtig, zumindest auch die Sprachen der „Nachbarn“, also Polnisch, eine andere osteuropäische Sprache oder Türkisch zu lernen. Immerhin gibt es 3.000 Sprachen weltweit, und nur elf Amtsprachen werden in der Europäischen Union anerkannt. Einen Weg aus der „Sprachlosigkeit“ sieht der Sprachwissenschaftler nur, wenn nicht nur die Sprache gelernt, sondern auch die kulturellen Besonderheiten miteinbezogen werden: „Grammatikfehler sind verzeihlich, kulturelle Fehler nicht.“

Doch was bringt das Vokabelpauken im Erwachsenenalter tatsächlich für eine neue Sprachfertigkeit? „Es kann immer nur eine Annäherung an eine Sprache geben“, hat Konrad Schröder erfahren. Zwar sei beispielsweise die russische Sprache ein „richtig harter Brocken“ und auch nach einem zweimonatigen Intensivkurs nur „floskelhaft“ zu bewältigen. Jedoch sei es „idiotisch“ zu glauben, eine Sprache entweder perfekt oder gar nicht zu können. „Sprachenlernen ist eben eine lebenslange Angelegenheit.“ Julia Naumann

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