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Zwischen Silicon Wedding und virtueller Realität

■ Wirtschaftssenator Pieroth fahndet nach Unternehmernachwuchs als Ausweg aus der Krise: Selbständigkeit als Lösung für die strukturelle Massen-Arbeitslosigkeit?

„Schnell Geld verdienen“ mit Zweiteinkommen verspricht ein Abrißzettel am Laternenpfahl direkt vor dem Gebäude der Wirtschaftsverwaltung. Als Senator Elmar Pieroth genau von hier seine Visite dreier Berliner Gründerzentren startet, will er jedoch nicht dubiosen Glücksrittern die Ehre erweisen. Er ist auf der Suche nach dem so dringend gebrauchten Unternehmernachwuchs. Der sei die einzige Chance, daß Berlin aus seiner Strukturkrise herauskommt. „Nur mehr junge Unternehmer bringen Arbeitsplätze“, ist der Wirtschaftssenator überzeugt. Berlin gehe es auch deshalb so schlecht, weil hier viel weniger Selbständige als im Bundesdurchschnitt ihrer ersten Million entgegenwerkeln. Nämlich nur acht Prozent der Bevölkerung (bundesweit zehn) sind ihre eigenen Chefs – bei 13 Prozent, so Pieroths Kalkül, wäre das Problem Massenarbeitslosigkeit vom Tisch.

Also machte sich der Politiker auf den Weg, um sich von den Praktikern etwas auf die Sprünge helfen zu lassen. Schließlich sei er ein „induktiver Typ“, der gern Anregungen aufnehme. Erste Station ist „Silicon Wedding“, wie das Berliner Innovations- und Gründerzentrum in der Gustav-Meyer-Allee auch genannt wird. Es war das erste Gründerzentrum Deutschlands und wurde just von Elmar Pieroth 1983 ersonnen, nachdem die AEG ihr Werk auf dem Gelände geschlossen hatte. Auf dem mit einem Innovationspark verbundenen Areal sind heute 65 Firmen mit 2.000 Mitarbeitern ansässig. Die halten oft auch regen Kontakt zu den umliegenden TU- Instituten, was ganz der ursprünglichen Absicht Pieroths entsprach. Seit der „glücklichen Fügung“, als ihn einige Professoren auf die Idee des Gründerzentrums gebracht hätten, laufe die „Berliner Erfolgsgeschichte“, erzählt Pieroth.

Inzwischen gebe es 13 Gründerzentren und Innovationsparks, mit 700 jungen Unternehmen und 8.400 Beschäftigten, meldet Pieroth. Für den stolzen Ideenvater ist das noch nicht genug: Pieroth möchte, daß in jedem Bezirk zwei solcher Stützpunkte entstehen, wo die vier Kernbereiche Verkehr, Umwelt und Energie, Medizin und Biologie sowie Medien und Kommunikation einen Technologieschub bekommen sollen.

Wie etwa bei der Firma „Cybermind“. Ihr Geschäftsfeld ist die virtuelle Realität, die Entwicklung von Software für virtuelle Spaziergänge im Internet oder fürs Entertainment. Firmensitz ist im Phönix- Gründerzentrum am Borsigturm in Reinickendorf, das von der Herlitz Falkenhöh AG privat betrieben wird, worüber sich der Senator besonders freut. Denn damit seine Visionen von den Geburtsstätten der neuen Unternehmerschicht nicht selbst zur virtuellen Realität werden, setzt er auf private Investoren. Herlitz erhält öffentliche Unterstützung, um günstige Mieten anbieten zu können, und stellt selbst Betreuer für die Kleinfirmen in Fragen Vertrieb oder Personal zur Verfügung. Der Betrieb hofft durch die Nachwuchsförderung auch selbst von neuen Ideen zu profitieren.

Der Senator bekommt aber auch Gelegenheit, mal für die Jungunternehmer ein gutes Wort bei den Banken einzulegen. Das können selbst Aufsteigerfirmen gebrauchen, wie Pieroth in Wedding erfahren mußte, als ihm ein expansionswilliger Unternehmer das Leid mit den risikoscheuen Banken klagte. Für Selfmade-Fan Pieroth sogleich Anlaß, mit einem konkreten Hilfsangebot zu glänzen. Zufällig kennt er Leute, die auf der Suche nach Kapitalbeteiligungen sind.

Beim letzten Tourstopp in Steglitz konnte Pieroth dann schon wieder „danke schön sagen an einen Unternehmer, der Unternehmer kreiert“. Das von einem Badener initiierte Technologiezentrum Focus Mediport liegt direkt neben dem Klinikum Benjamin Franklin und bietet so Jungunternehmern außer Räumen auch direkte Nähe zu potentiellen Abnehmern medizintechnischer Innovationen. Die Freude des Senators war besonders groß, als er hörte, daß ein Designer eigens aus Köln in die „Chancenstadt Berlin“ umsiedelte. Hätte der Existenzgründer noch seine Standesherkunft verraten, wäre Pieroth auch einen Schritt weiter bei seiner Frage, aus welcher Sozialschicht die meisten Unternehmer kommen. Weil dies für die Werbung wichtig sei, soll das nun eine Studie erforschen. Gunnar Leue

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