: Licht ins sozialpolitische Chaos
Bündnisgrüne Konferenz sucht Alternativen in der Sozialpolitik und fordert bedarfsorientierte Sozialplanung und neue Steuerungselemente ■ von Julia Naumann
Michael Haberkorn, sozialpolitischer Sprecher der Partei, war sauer. „Es herrscht Planungschaos in der Sozialpolitik“, und gleichzeitig werde vom Senat sorgfältig vermieden, eine qualitative Diskussion über notwendige Versorgungsangebote zu inszenieren. Es blieb aber nicht nur bei der Kritik auf der bündnisgrünen sozialpolitischen Konferenz am Wochenende. Haberkorn: Aufgrund der Finanzkrise und struktureller Veränderungen der sozialpolitischen Landschaft müßten dringend neue Konzepte gesucht werden.
Dieses „Planungschaos“ kritisch zu beleuchten und mögliche Alternativen aufzuzeigen hatte sich die Konferenz der Bündnisgrünen zum Ziel gesetzt. Unter dem Motto „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ sollten in drei Foren – Initiativen gegen Wohnungsnot, neue Wege in der Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik – neue Politikkonzepte für soziale Gerechtigkeit diskutiert werden zusammen mit Gewerkschaften, Selbsthilfegruppen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Beschäftigungsinitiativen.
Denn nur die Politikressorts würden sich zukünftig durchsetzen, prophezeite Haberkorn, der „konkrete“ Konzepte zugrunde liegen. In der großen Koalition ist davon jedoch nichts zu merken, monierte der Sprecher. So delegiere der Senat die Verantwortung für die soziale Versorgung an die Liga der Wohlfahrtsverbände und die finanzgeschüttelten Bezirke, die zudem wenig politischen Spielraum hätten, um eigenverantwortlich zu handeln. Auch die „Kernaufgaben“, die beim Senat blieben, seien nicht wirklich definiert und transparent. So herrsche in den Bezirken durch die Einsparungen eine „Trägerkonkurrenz“, bei der es nicht um die Analyse des wirklichen Bedarfs gehe, sondern nur noch um die Absicherung des eigenen Trägers.
Daß sich die Wohlfahrtsverbände immer mehr zu einer verwaltenden und nicht zu einer gestaltenden Kraft entwickeln, wurde an den Ausführungen von Reinald Purmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband deutlich. Purmann ist Ansprechpartner für die Sozialprojekte im Rahmen des im Juli mit der Liga der Wohlfahrtsverbände abgeschlossenen treuhänderischen Vertrag. Die Liga muß bis 1999 Projekte im Gesundheits- und Sozialbereich mit einem Gesamtvolumen von rund 50 Millionen Mark verwalten. So ging Purmann nicht wirklich auf die Kritikpunkte ein, als „Kürzungsvollstrecker des Senats“ zu fungieren und sich dabei aber nicht mit den Projektinhalten und Zielsetzungen auseinanderzusetzen. Er schob die Planungskompetenz dem Senat zu, und reklamierte für die Liga lediglich eine „Mitwirkung“, die er aber nicht genauer definierte.
Daß Sozialpolitik dennoch repolitisiert und effektiver gestaltet werden kann, stellte Monika Alisch von der Hamburger Sozialentwicklungsbehörde vor, die das „Armutbekämpfungsprogramm“ leitet. In dem auf vier Jahre angelegten Modellprojekt werde nicht primär zielgruppenspezifisch, sondern „quartierbezogen“ gearbeitet. Sogenannte „Projektentwickler“ versuchen die Bewohner eines Quartiers zu aktivieren, selbständiger zu handeln und im Verwaltungsdschungel „Pfade“ zu schlagen.
Sozialpolitik heißt für dieses Programm, „ganzheitlich“ zu denken, also auch ökonomische und ökologische Faktoren miteinzubeziehen. Ein ganz wichtiger Bestandteil sei, so Alisch, einen Überblick über die Förderlandschaft zu bekommen. Es gehe nicht darum, „mehr von demselben“ zu entwickeln, sondern die wirklichen Bedürfnisse der BewohnerInnen zu analysieren und umzusetzen.
Damit Sozialpolitik künftig innovativer und gerechter werde, müsse, so der Tenor des sozialpolitischen Forums, zuerst das bestehende Angebot analysiert werden. Die Bündnisgrünen forderten ein wirksames „Steuerungsinstrument“, daß in der Lage sei, eine „bedarfsorientierte“ Sozialplanung zu erstellen und einen wirkungsvollen Abstimmungsprozeß zwischen Hauptverwaltung, den Bezirksämtern und den Trägern zu koordinieren. Die Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer plädierte dafür, daß auch soziale Dienste sich einer Qualitätssicherung künftig nicht mehr entziehen könnten.
Doch welcher konkreten Bereiche sich die Sozialpolitik nach Ansicht der Bündnisgrünen künftig annehmen soll, auf welchen Platz in der „Hitliste“ die Jugend- und Sozialpolitik im Gesamthaushalt gesetzt werden solle, ist nicht ausreichend diskutiert worden. So hätten stärker „eigenständige“ Impulse für eine neue Sozialpolitik gesetzt werden müssen.
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