piwik no script img

Was soll das?

■ Die Live-Übertragung einer Hinrichtung als Kunstaktion?

Die Woche der bildenden Kunst mit ihrer Ausstellung un-frieden, die heute eröffnet wird, erhält eine uneingeladene Gastaktion von höchst zweifelhaftem Wert: Im Rahmen einer Performance der us-amerikanischen Künstlerin Rita Mae Thompson sei die Live-Übertragung der Hinrichtung einer Frau aus einer amerikanischen Todeszelle zu sehen, behauptet ein anonymes Fax, das am Donnerstag Hamburger Redaktionen zuging. Die Künstlerin kämpfe angeblich seit Jahren gegen die Todesstrafe und sei mit der Delinquentin persönlich bekannt. Ein bis 1985 benutzter elektrischer Stuhl und dokumentarische Fotos der Angehörigen würden die Veranstaltung ergänzen, in der Rita Mae Thompson zu den Live-Hinrichtung aus den Briefen der Verurteilten lese.

Findet diese Aktion so wirklich statt, dann ist sie ein Beispiel jener sozial engagierten Kunst, die politisch bis zur Peinlichkeit korrekt ist und dabei im Streben nach Authentizität die Grenzen zur Inhumanität wieder überschreitet.

Da es aber das erklärte Ziel von un-frieden ist, in deren Rahmen sich die Aktion stellt, Alltagsrealität künstlerisch zu sabotieren, scheint die hochprofessionell gemachte Presseerklärung eher ein bestens plazierter Kunst-Schwindel zu sein. Niemand kann den weltweiten Kunstbetrieb so gut kennen, daß er mit Sicherheit sagen kann, Rita Mae Thompson, Dr. Germaine Myers aus Cambridge, Mass., die zur Einführung sprechen soll, oder die Gruppe „Art says NO: Female Artists against Execution“ gäbe es nicht.

Deswegen deutet alles darauf hin, daß hier überhaupt nicht die Praxis der Todesstrafe kritisiert werden soll, sondern die hier sabotierte Realität das interne Funktionieren des Kunstbetriebs und der Medien ist, von denen man wohl hofft, daß sie sich auf dieses Sensationsaktion stürzen werden.

Bei genauer Analyse sind die Hamburger Namen und Orte dieser vermutlich situationistischen Fälschung doch recht metaphorisch: die Veranstaltergruppe „Schlußstein“ ist in Hamburg gänzlich unbekannt und der Veranstaltungsort, Bei den Kirchhöfen 3, ist die Adresse der LKW-Einfahrt des Untersuchungsgefängnisses.

Hajo Schiff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen