: Freispruch für einen Angeklagten, der sonst auf der Verteidigerbank sitzt
■ Gestern stand der Anwalt eines Kriegsdienstverweigerers wegen Beihilfe zur Fahnenflucht in Berlin vor Gericht
Berlin (taz) – Für die Berliner Justiz hätte es zum Pilotverfahren gegen unbequeme Anwälte werden können, doch es endete mit einer Schlappe für die Staatsanwaltschaft: Freispruch für einen Angeklagten, der normalerweise auf der Verteidigerbank sitzt.
Wohl zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte hatte die Staatsanwaltschaft einen Rechtsanwalt wegen Beihilfe zur Fahnenflucht vor den Kadi gezogen. Kajo Frings, seit Jahren als Wehrrechtsexperte bekannt und dem Berliner Kreiswehrersatzamt ein Dorn im Auge, soll einem fahnenflüchtigen Mandanten geraten haben, sich bis zum Ende seiner regulären Dienstzeit vor den Feldjägern zu verstecken.
So jedenfalls hatte es Mandant Kai M. behauptet, als er selbst wegen Fernbleibens von der Truppe vor Gericht stand. Obwohl es für diese Beschuldigung außer Kai M.s Aussage keinen Zeugen gab, hatte die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. In ihrem Plädoyer forderte sie gestern sogar eine viermonatige Freiheitsstrafe. Kajo Frings hatte die Aussage seines Ex-Mandanten stets bestritten: Er habe den Wehrflüchtling nur gemäß seiner Berufsvorschriften „umfassend informiert“ und ihm dabei die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten samt rechtlicher Konsequenzen aufgezeigt. Dazu habe selbstverständlich auch der Hinweis gehört, daß die Feldjäger einen Wehrpflichtigen nach Ablauf der Dienstzeit nicht mehr behelligen können. Allerdings habe er sicher auch nicht gesagt: „Geh zur Bundeswehr, das ist eine geile Truppe, da lernst du Hemden bügeln und durch den Schlamm robben.“
Für den angeklagten Anwalt hätte ein Schuldspruch gravierende berufliche Konsequenzen gehabt. Eine Verurteilung hätte ein Ehrengerichtsverfahren vor der Anwaltskammer und ein Berufsverbot für Wehrrechtssachen zur Folge haben können. Für die Anwaltschaft selbst stellten sich mit dem Prozeß grundsätzliche Fragen: Wie weit darf und muß ein Anwalt einen Mandanten beraten, und wo ist die Grenze zur Aufforderung zu rechtswidrigem Handeln? Wenn eine solche Anklage Schule mache, warnte Frings Verteidiger vor Gericht, könne sich in Zukunft kein Anwalt gegen Mandanten schützen, die aus Ärger über eine Verurteilung behaupten: „Mein Anwalt hat mir aber zum Einbruch geraten.“ Denn unbeteiligte Zeugen gibt es bei den anwaltlichen Gesprächen nicht.
Im Fall Kajo Frings wies der einzige Belastungszeuge, Ex-Mandant Kai M., gestern ein äußerst löchriges und selektives Erinnerungsvermögen auf. Das Gericht sah es deshalb als zweifelsfrei erwiesen an, daß er aus den verschiedenen Hinweisen seines Anwaltes nur den einen, ihm genehmen Punkt als Rat herausgehört hatte: vor den Feldjägern abzutauchen. Vera Gaserow
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