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Bonn gönnt Prag keinen Schlußstrich

■ Die endlich unterschriftsreife deutsch-tschechische Erklärung löst manches ein, aber der wichtigste Streitpunkt bleibt: Die Bundesregierung weigert sich, auf die Entschädigung für Sudetendeutsche endgültig zu verzichten

Berlin (taz) – Die tschechische Regierung bedauert das „Unrecht der Vertreibung“. Aber zur Frage der Entschädigung nach 1945 vertriebener Sudetendeutscher wird keine Übereinkunft erzielt. Ein Verzicht der deutschen Regierung auf diese Ansprüche unterbleibt. Das sind Kernpunkte der „Gemeinsamen Erklärung“ Tschechiens und der Bundesrepublik, die nach einer Unterredung Bundeskanzler Kohls mit der Führung der Sudetendeutschen Landsmannschaft am Donnerstag durch eine Indiskretion bekannt wurden. Vorläufiges Fazit: Die deutsche Seite bekam, was sie wollte, die tschechische ist weiter mit einem schwerwiegenden Problem, dem der Entschädigungen, belastet.

Heftige Auseinandersetzungen hatten die mehrjährigen Verhandlungen über die „Erklärung“ begleitet. In der tschechischen Öffentlichkeit stieß der Begriff der „Vertreibung“, der erstmals und in allgemeiner Weise im tschechisch-deutschen Vertrag von 1992 auftauchte, auf scharfe Kritik. Dort spricht man von „odsun“, was mit „Abschub“ übersetzt werden kann. Als noch schwieriger erwies sich das Problem der sudetendeutschen Ansprüche auf das „Heimatrecht“ und auf Entschädigung für das nach dem Zweiten Weltkrieg konfiszierte sudetendeutsche Eigentum. Im Vertrag von 1992 war in einem angefügten Brief der Außenminister erklärt worden, daß der Vertrag keine vermögensrechtlichen Fragen regle.

Auf der deutschen Regierungsseite wurden die Verhandlungen durch die Positionen der Sudetendeutschen Landsmannschaft geprägt. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) bestand auf klaren Worten der tschechischen Regierung zur Vertreibung, meinte aber andererseits, die deutsche Seite könne schon deshalb nicht auf Entschädigungsansprüche verzichten, weil sie sich sonst Schadenersatzforderungen der Vertriebenen ausgesetzt sähe. Hinzu trat noch, daß die Bundesregierung bis heute über das Projekt einer Stiftung zur Entschädigung tschechischer KZ-Opfer nicht hinausgekommen ist. Es sah so aus, als bestehe zwischen beiden Entschädigungsforderungen ein Junktim. Die jetzt bekannten Kernsätze der „Gemeinsamen Erklärung“ drücken das „Bedauern“ der tschechischen Regierung über die „Vertreibung“ der Sudetendeutschen nach 1945 aus. Dieses Bedauern gilt dem ganzen Prozeß der Vertreibung, nicht nur den sogenannten wilden Vertreibungen, die vor dem Potsdamer Abkommen im August 1945 stattfanden und denen Zehntausende Sudetendeutscher zum Opfer fielen. „Bedauert“ wird auch das 1945 erlassene Amnestiegesetz. Durch dieses Gesetz wurden in erster Linie Aktionen der tschechischen Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung amnestiert. Es fand aber auch auf Verbrechen Anwendung, die im Rahmen der sogenannten wilden Vertreibung begangen worden waren.

In der „Gemeinsamen Erklärung“ findet sich wiederum keine Regelung der Entschädigungsansprüche. Es heißt dort: „Beide Seiten respektieren die Rechtsauffassung der jeweils anderen Seite.“ Für Tschechien wirft dieses Ergebnis schwerwiegende Probleme auf. Denn mit den Ansprüchen der Sudetendeutschen dauert auch die Rechtsunsicherheit an. Die Bevölkerung bleibt beunruhigt, nationalistische Demagogie findet offene Ohren.

Nach der „Gemeinsamen Erklärung“ soll Sudetendeutschen, die das wollen, die Rückkehr in ihre alte Heimat „erleichtert werden“. Solche Erleichterungen, die das „Recht auf Heimat“ konkretisieren könnten, waren von der tschechischen Seite bereits zu Beginn der 90er Jahre in Aussicht gestellt worden.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft zeigte sich nach dem Gespräch mit Kohl rundherum unzufrieden. Sie fühlt sich übergangen, schlecht informiert, hält die „Erklärung“ für überflüssig und meint, mit den Worten ihres Vorsitzenden Neubauer, daß Versöhnung nicht durch ein „Stückchen Papier verordnet werden kann“. Ob allerdings die Konfrontationspolitik der Landsmannschaft diesem Ziel mehr dient, steht dahin. Christian Semler

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