■ Kinder- und Jugendpsychiatrie im Wandel: Therapeutische Pädagogik
In den 60er Jahren entstanden in Deutschland die ersten Abteilungen für Kinder- und Jugend-psychiatrie, inzwischen sind es bundesweit 120. Zunächst waren sie als Anhängsel der Landeskrankenhäuser konzipiert, später wurden einige eigenständige Einrichtungen. „Wir entstehen immer noch“, sagt dazu Achim Beutling, der Pädagogik-Leiter der Kinder- und Jugend-psychiatrie im Bremer Zentralkrankenhaus (ZKH) Ost und spielt mit diesem Satz auf die aktuelle Diskussion über den Sinn stationärer psychiatrischer Einrichtungen an.
252 junge psychisch kranke Menschen wurden letztes Jahr im ZKH Ost aufgenommen. 39 Betten stehen ihnen in zwei Häusern zur Verfügung, hinzu kommen acht Behandlungsplätze in der vor einem Jahr eröffneten Tagesklinik. Hier wurden Behandlungspläne entwickelt, die sich die MitarbeiterInnen des Pflege- und Erziehungsdienstes auf den Stationen nun zum Vorbild nehmen möchten.
Neu an dem Therapieplan ist, daß Therapie und Betreuung eine annähernd gleichbedeutende „therapeutische“ Bedeutung bekommen. (Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Dortmund etwa hat inzwischen bereits mehr PädagogInnen als Pflegekräfte.) Das Stichwort heißt „Teamarbeit“ von medizinischem, pflegerischem und pädagogischem Personal. Es gibt eine klare Tagesstruktur (jedes Kind weiß, was wann passiert), gleichzeitig aber soll viel Freiraum für spontane Ideen und Freizeit zur selbständigen Gestaltung bleiben. Jedes Kind hat also eine/n TherapeutIn und eine/n BezugspflegerIn.
Zentraler Punkt ist dabei die verstärkte Zusammenarbeit mit den Eltern. Die „Eltern“ der behandelten Kinder sind meist alleinerziehende Mütter, oft neu zusammengesetzte Familien, aber auch mal eine Oma oder eine Lehrerin. Gerade die MitarbeiterInnen des Pflege- und Erziehungsdienstes müssen die Eltern auch einmal zu Hause besuchen. Der Blick ins „Lebensumfeld“ eines Kindes ist wichtig, dazu gehört zum Beispiel auch das Kennenlernen des Stadtteils oder die Teilnahme an Besprechungen in Schulen, Kindertagesstätten und Ämtern.
Für die MitarbeiterInnen der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie ist das Kennenlernen der Lebensumstände ihrer PatientInnen auch deshalb dringend nötig, weil rund 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen – die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen – nach ihrem Aufenthalt „fremdplaziert“ werden, das heißt, in Heime, Pflegefamilien oder betreute Wohngemeinschaften gehen. Das Psychiatrie-Personal spricht hier oft Empfehlungen aus oder bahnt entsprechende Verhandlungen an. „Da geht im Moment noch sehr oft viel Zeit verloren“, weiß Achim Beutling. 550 Mark kostet ein Aufenthalt auf der Station pro Tag. Und die Krankenkassen werden jetzt noch schneller ungeduldig, drängen auf ein fixes „Behandlungsende“. Ist dies von der Klinik dann festgelegt, geht die Entscheidung über den Verbleib der Kinder und Jugendlichen oft wieder ans Jugendamt über und stagniert dort: Wohin mit den PatientInnen? sip
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