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Einsam in der Fremde

Arabische Intellektuelle sind in Deutschland im Vergleich zu Frankreich oder England rar. Schreiben auf deutsch schafft neue Identität  ■ Von Mona Naggar

In Hassouna Mosbahis Kurzgeschichte „Der richtige Ort“ beschreibt der Erzähler die Reise des Protagonisten von München nach Köln, wo er einige Schriftstellerkollegen treffen will. Seine Vorfreude ist riesig. Endlich trifft er Freunde, mit denen er Erinnerungen austauschen und, vor allem, mit denen er in seiner Muttersprache sprechen kann. In München durchstreift er nächtelang billige Kneipen auf der Suche nach Landsleuten, er ertappt sich sogar dabei, Selbstgespräche zu führen – aus Angst, seine Sprache zu vergessen.

Der tunesische Verfasser dieser Geschichte lebt seit 1986 in München. Er erlebte die Einsamkeit eines arabischen Intellektuellen in einer deutschen Großstadt am eigenen Leib. Immer wieder tauchen diese Erfahrungen in seinen Erzählungen auf. Trotzdem spricht er nicht von der Provinz Deutschland. Für Intellektuelle, so Mosbahi, gebe es keine Provinz; schließlich ginge die Erneuerung der modernen arabischen Literatur anfang dieses Jahrhunderts von Dichtern aus, die nach Nord- und Südamerika ausgewandert seien. Was ist da die Distanz von München nach Beirut oder Tunis im Vergleich zu New York – Beirut oder Buenos Aires vor 70 Jahren. Ähnliche Erfahrungen, wie sie Hassouna Mosbahi in der süddeutschen Metropole macht, haben auch arabische Intellektuelle in anderen deutschen Städten gemacht.

Beliebtes Exil: England und Frankreich

Neidisch könnte der eine oder andere nach Paris oder London schauen, wo namhafte arabische Gelehrte, Dichter, Schriftsteller, zudem arabischsprachige Verlage und Zeitungen sich niedergelassen haben. Insbesondere nach 1975, nach Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs, mußten viele arabische Intellektuelle ihre frühere liberale Zuflucht Beirut verlassen. Sie gingen nach Frankreich oder England. Die koloniale Vergangenheit dieser beiden Länder im arabischen Raum diente als Brücke zwischen der arabischen und der frankophonen beziehungsweise der angelsächsischen Kultur. Die Kenntnis der beiden Sprachen diente als Träger und Vermittler. Ab dem 19. Jahrhundert ist zwar ein starker Einfluß deutscher Kultur, insbesondere der Philosophie, zu beobachten. Angefangen vom Marxismus über die Philosophie von Nietzsche und Heidegger bis zur Frankfurter Schule, Adorno und Habermas. Die Vermittlung geschah jedoch über das Französische oder Englische. „Der Einfluß der deutschen Kultur und Literatur in der arabischen Welt ist nicht zu leugnen, sie ist jedoch nicht in dem Maße verbreitet, wie sie es verdient“, sagt Asad Khairallah, Dozent für moderne arabische Literatur an der Universität Freiburg. Sich selber bezeichnet er als Idealisten, der als junger Mann von der deutschen Literatur und Kunst geträumt hat und den es deswegen nach Deutschland zog. Als weiteres Beispiel für einen Idealisten nennt er den libanesischen Dichter und Hölderlin-Übersetzer Fuad Rifka, der immer wieder nach Deutschland komme, obwohl er lukrativere Angebote aus den USA erhalten habe. Die überwiegende Mehrheit kommt jedoch, weil sie in England oder Frankreich gescheitert oder keiner westlichen Sprache mächtig ist. Das mag hart klingen, sagt Asad Khairallah, aber so sei es nun mal.

Bei Gesprächen mit einigen arabischen Intellektuellen stellt man fest, daß Asad Khairallah gar nicht so im Unrecht ist: Bei Hassouna Mosbahi beispielsweise war es der pure Zufall, der ihn nach München verschlug. Die in München ansässige Orientalistin Erdmute Heller schlug ihm vor, an der Zeitschrift Fikr wa Finn mitzuarbeiten. Der Tunesier ahnte damals schon, was ihn in der deutschen Großstadt erwarten würde. Doch er hatte dieses Alleinsein, weit weg von arabischen Intellektuellenkreisen, geradezu gesucht. In Paris oder London, so meint er, gebe es zwar Hunderte von arabischen Intellektuellen, aber es könne auch leicht vorkommen, daß man an ihren internen Streitigkeiten und Kämpfen erstickt. In seiner engen Münchener Wohnung wolle er, wie er sagt, zu sich selbst finden.

Der irakische Dichter Khalid Al-Maaly hatte Frankreich als Ziel vor Augen, als er vor 16 Jahren seine Heimat verlassen mußte. Es hat ihn dann nach Deutschland verschlagen. Zu Beginn seines Aufenthalts hat er seine Entscheidung, ins Nachbarland auszuweichen, mehrmals bereut. Heute, sagt er, befällt ihn dieses Gefühl der Reue nicht mehr. Er hat ein Stückchen Erde gefunden, wo er seine, vielleicht provisorischen, Wurzeln geschlagen hat.

Wesentlich dafür war der Kontakt mit der Sprache, die einen Austausch ermöglichte, „ein Geben und Nehmen“, wie Al-Maaly es nennt. Geben und Nehmen heißt für ihn, seine eigenen Gedichte ins Deutsche zu übersetzen und umgekehrt deutsche Lyrik ins Arabische. Direkten Kontakt hat er jedoch nur zum deutschen Publikum. Der Austausch mit der deutschen Sprache ist heute bei Khalid Al-Maaly so intensiv gediehen, daß er sagt, er kann manchmal nicht mehr unterscheiden zwischen der arabischen Originalfassung seines Gedichts und der deutschen Version.

Die deutsche Sprache als neue Identität

Ein weiteres Beispiel für den Weg eines arabischen Intellektuellen in die Provinz Deutschland und sein Umgang mit ihr ist der in Aachen ansässige syrische Dichter und Übersetzer arabischer Literatur, Suleiman Taufiq. Er wollte nur in Deutschland studieren und anschließend zurückkehren, dann ist er geblieben. Heute nennt er die deutsche Sprache seine intellektuelle Sprache. Er bewegt sich in einer internationalen Kulturszene, die durch die italienischen, türkischen und Einwanderer aus anderen Ländern in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Die Araber stellen darunter nur eine verschwindende Minderheit dar.

Suleiman Taufiq gesteht, daß er sich seiner Heimat und seiner Muttersprache entfremdet hat. Bei ihm gebe es diese doppelte Fremdheit, die geographische und die intellektuelle. Die erste kann gefährlich werden, wenn man es nicht schafft, eine neue Identität aufzubauen. Und diese Identität besteht für ihn in der deutschen Sprache. Er bewegt sich ganz frei in ihr. Sie ist für ihn zu einem Medium geworden, seine Gefühlswelt auszudrücken. Fremdheit bleibt trotzdem, sowohl im Arabischen als auch im Deutschen. Sie ist jedoch unerläßlich geworden. Sie vermag das Schöpferische in ihm freizusetzen. Sie läßt ihn wagen, Neues auszuprobieren. Eine gewisse Angst, die deutsche Sprache nicht beherrschen zu können, bleibt trotzdem. Er ist aber überzeugt, dieser Gesellschaft und ihrer Sprache etwas geben zu können.

Suleiman Taufiq drückt sich bewußt provozierend aus, wenn er sagt, daß er und andere intellektuelle Immigranten hier Entwicklungshilfe leisten. Damit meint er neue Bilder, Erzählweisen und Themen, die in die deutsche Literatur eindringen. Als Beispiel fügt Taufiq die Erfahrung der Liebe an. Ein deutscher Autor schreibt über die Liebe anders als er, obwohl beide die gleiche Sprache benutzen. Aber das Gedächtnis, aus dem jeder der beiden schöpft, sei nicht nur gefüllt mit persönlichen Erfahrungen, sondern mit mehreren hundert Jahren Kultur, die nicht die deutsche sei.

Freies Schreiben, fern von politischem Druck

Hassouna Mosbahis Heimat ist die arabische Sprache geblieben, sie ist seine engste Gefährtin. Ehrgeiz, das Deutsche zu beherrschen, hat er keinen. Er fühlt sich nicht als Teil des deutschen Kulturbetriebs, obwohl er bereits zwei Erzählbände auf deutsch veröffentlicht hat und diese auf gute Resonanz bei der Kritik und dem Publikum gestoßen sind. Allerdings ist Deutschland in seinen Erzählungen präsent. Sein Schreiben ist nicht unberührt geblieben von seinem jetzigen Wohn- und Schreibort. Die Erzählungen, die er in den letzten zehn Jahren geschrieben hat, werden von einem Thema beherrscht: der Araber, der im Westen herumirrt. Dieser Mensch, der außerhalb seiner Heimat, außerhalb seiner Sprache, außerhalb seiner Traditionen lebt, wie geht er mit seiner Umgebung um? Hassouna Mosbahi sagt, daß auch ein Araber, der sich seiner Sprache, seiner Persönlichkeit und seiner Geschichte bewußt ist, im Westen, nach langen Jahren der Fremde, wenn er eine andere Musik und Sprache hört, sich grundsätzlich verändert. Er bleibt braun im Gesicht, aber er wird ein anderer. Er verliert seine Identität. Sogar sein Name wird anders ausgesprochen.

Die Araber sind natürlich nicht die ersten, die diese Erfahrung machen. Vor ihnen haben sogar Italiener, Spanier und Portugiesen als Gastarbeiter den Verlust des Selbst in Europa erlebt, „in einer Umwelt, die ihrer Heimat kulturell, politisch und religiös viel näher ist“, so Mosbahi. Aber andererseits vermag es die Distanz am besten, den Schriftsteller frei schreiben zu lassen, fernab des sozialen, politischen oder religiösen Drucks. Als Beispiel führt Hassouna Mosbahi die Entstehung seines Romans „Halwasat Tarschisch“ an. Er beschreibt darin das Bordell von Tunis. Eine einzigartige Welt, wie er sagt. Eine Welt, die Europäer fasziniert. Aber die Tunesier selber scheuen sich, darüber zu schreiben. Sie hätten ihn sicherlich gefragt, warum er das beschrieben habe, vielleicht sogar vor Gericht gestellt, sagt Mosbahi. Aber in seiner Münchener Wohnung hatte er die völlige Freiheit, sich an den Sprachgebrauch der Prostituierten Wort für Wort zu erinnern.

Der Roman erschien letztes Jahr im marokkanischen Tobkal Verlag, ohne die Beschreibung des Bordells von Tunis. Der Zensor hatte seine Bedenken angemeldet. Hassouna Mosbahi war einverstanden, die entsprechende Stelle zu streichen. Er wollte nicht, daß sein Buch unveröffentlicht bleibt. Aber trotz allem bleibt, daß er es in völliger Freiheit geschrieben hat, und dies sei sehr wichtig, meint Mosbahi.

Die Zensur und Selbstzensur verfolgen die arabischen Autoren, wo sie auch hingehen mögen. Sie sind darauf angewiesen, daß ihre Bücher in den arabischen Ländern verkauft werden. Bei der in Europa ansässigen arabischsprachigen Presse verhindern die vom arabischen Golf stammenden Geldgeber eine freie Meinung. Der syrische Schriftsteller Abdalsalam Al-Ujaili berichtet, wie die in London erscheinende Tageszeitung As-Sharq Al-Awsat eine Kurzgeschichte von ihm zurückschickte, mit der Bemerkung, doch den Schlußsatz umzuschreiben. Dabei ging es nur um ein Wort. Al- Ujaili hat die islamisch-historische Gestalt Abu Huraira auf einem Esel reiten und sagen lassen: „Macht den Weg frei für den Emir.“ Der Einwand der Zeitung war, ein saudischer Emir könne sich daran stören, daß ein Emir auf einen Esel reitet.

Hassouna Mosbahi sagt, daß es ihn schmerze, nicht das in den arabischen Zeitungen veröffentlichen zu können, was er in den deutschen veröffentlichen kann. Für Khalid Al-Maaly fördert schon die arabisch-islamische Erziehung die Selbstzensur. Über Eros und Religion zu schreiben oder zu sprechen ist nicht möglich. Viel freier verhielten sich dagegen die Muslime des Mittelalters. Die klassischen arabischen Wörterbücher zeugen davon, zum Beispiel bei der Fülle der Ausdrücke für das Geschlecht.

Gegen die direkte und indirekte Zensur hat sich Khalid Al-Maaly mit der Gründung seines eigenen Verlags gewehrt. Der seit 1983 in Köln bestehende Al-Kamel Verlag gibt avantgardistische arabische Literatur heraus. Manche Buchtitel wie die mehrbändige Anthologie „Das Eros bei den Arabern“ dürfen in einigen arabischen Ländern nur unter dem Ladentisch verkauft werden. Al- Maaly hatte sogar den Mut, den Roman des algerischen Autors Wasini Al-Araj zu veröffentlichen, der zuvor von mehreren arabischen Verlegern wegen des brisanten Themas abgelehnt wurde. Es handelt sich dabei um eine Auseinandersetzung mit dem Islamismus in Algerien.

Probleme mit der arabischen Sprache

Eine weitere Problematik sieht Al- Maaly in der arabischen Sprache selbst. Der heutige Stil strotze vor Wiederholungen und sei verfettet, es würden keine echten Texte produziert, so Al-Maaly. Dies sei ihm erst richtig bewußt geworden über den Umweg der deutschen Sprache. Die Übersetzung ins Deutsche hat für ihn einen Lernprozeß in Gang gesetzt und die Rolle eines Kontrollmechanismus gewonnen.

Suleiman Taufiq dagegen nimmt die Herausforderung, in der mit Tabus besetzten arabischen Sprache zu schreiben, nicht an und greift zur unbelasteten fremden Sprache. Er gibt zu, einem Konflikt auszuweichen. Aber als Christ fühlt er sich nicht in der Lage, sich mit dem Arabischen, das eng mit dem Koran verbunden ist, auseinanderzusetzen. Dies sei die Aufgabe von Muslimen, sagt Taufiq. In erster Linie schreibt er für deutsche Leser. Er freut sich zwar, wenn seine Arbeiten auf arabisch erscheinen, aber es bleibt dennoch Nebensache.

Asad Khairallah beschreibt den Umgang der deutschen Gesellschaft mit der Kreativität hier ansässiger Araber, aber auch anderer Nationalitäten, wie den Umgang mit einer schönen Pflanze. Sie wird in ihrem Topf gelassen, und ihr wird nicht erlaubt, den richtigen Boden zu berühren, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen. Asad Khairallah führt die Beispiele von frankophonen Arabern wie Amin Maalouf, George Chahade oder Tahar Ben Jelloun an, die die höchsten literarischen Preise in Frankreich bekamen. Natürlich liege es an der fehlenden gemeinsamen Vergangenheit, aber auch an der mangelnden Bereitschaft der deutschen Kultur, sich zu öffnen. Asad Khairallah bleibt dennoch optimistisch. Er glaubt, daß im Zeitalter der Verkabelung die Grenzen obsolet geworden sind. Aber wann der erste Ausländer den ranghöchsten deutschen Literaturpreis bekommen wird, das vermag er nicht zu sagen.

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