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Major hat keine Angst vor dem Gipfel

■ Die britische Regierung rasselt ein bißchen mit dem Säbel – und ist ansonsten froh, daß vieles erst 1997 besprochen wird

Dublin (taz) – John Major ist ein Stein vom Herzen gefallen, als der Entwurf der irischen Präsidentschaft für den EU-Gipfel an diesem Wochenende auf seinem Schreibtisch landete. Von dem befürchteten Themenkatalog, den EU-Präsident Jacques Santer noch vorige Woche an die Wand malte, ist nur die britische Nichtanerkennung der Sozialcharta übriggeblieben, bei der Großbritannien auf deutlichem Konfliktkurs mit dem Rest der EU ist.

Sicher, es gibt zahlreiche andere Streitpunkte, aber sie sind diesmal noch so windelweich formuliert, daß die britischen Unterhändler nicht direkt Stellung beziehen müssen und jede Nichtentscheidung ihren eurofeindlichen Hinterbänklern als Sieg verkaufen können. Für Major geht es darum, möglichst ungeschoren über den Gipfel zu kommen – es wird vermutlich sein letzter sein.

So ist Außenminister Malcolm Rifkinds Säbelrasseln gegen die Erweiterung des Schengener Abkommens – wenn auch in verwässerter Form – bis 2001 auf die ganze EU eher eine Show für die daheimgebliebenen Hinterbänkler. „Nicht einen Zentimeter“ werde man nachgeben, wenn es um die Lockerung der Grenzkontrollen innerhalb der EU gehe, sagte Rifkind. Allerdings ist die Übertragung der Asylpolitik und der Zollkontrollen auf die EU nicht nur für die Tories ein rotes Tuch, sondern auch für die Labour Party. Im irischen Entwurf ist eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit vorgesehen, um Terrorismus und Drogenhandel in den Griff zu bekommen. Deshalb sollen Polizei und Zollämter unter EU-Kontrolle gebracht werden. Gegen eine verstärkte Zusammenarbeit hat die britische Regierung nichts einzuwenden, aber eine Art europäisches FBI kommt für sie nicht in Frage, sagte Rifkind. Mit den Vorschlägen zur Außen- und Sicherheitspolitik kann man jedoch leben. Mehr als eine Einigung auf einen hochrangigen Politiker, der die EU in diesen Bereichen nach außen vertritt, wird es nicht geben. Und was die Aufgabe der Westeuropäischen Union (WEU) und der Nato angeht, so sind wiederum die Iren überaus vorsichtig. Schließlich sind sie offiziell neutral, und jede Änderung dieses Status würde in Irland eine heftige Debatte auslösen. Ein Weisungsrecht der Europäischen Union gegenüber der WEU steht deshalb für die irische Präsidentschaft nicht zur Debatte.

Major kann das nur recht sein. Seine innenpolitischen Probleme werden von Tag zu Tag drückender. Am Mittwoch ist schon wieder ein Staatssekretär zurückgetreten, und bei der Nachwahl in Barnsley gewann vorgestern erwartungsgemäß die Labour Party den Unterhaussitz, so daß die Tories nun eine Minderheitsregierung stellen. Mit Hilfe der nordirischen Unionisten will Major bis Mai über die Runden kommen. So ist er froh, daß die irische Regierung die umstrittenen Entscheidungen vertagt hat. Die Macht des Europaparlaments, die Größe der Kommission, die Stimmverteilung im Ministerrat – das alles kommt erst im nächsten Jahr auf den Tisch.

Im Grunde genommen wird in Dublin gar nichts endgültig entschieden. Kohl und Konsorten haben der irischen Präsidentschaft nahegelegt, britische Reizthemen möglichst klein zu fahren. Die eigentliche Schlacht um „MaastrichtII“ wird erst kurz vor dem niederländischen EU-Gipfel im Juni in Amsterdam geschlagen. Bis dahin, so hoffen 14 EU-Regierungen, ist Major aus dem Rennen. Von Tony Blair erwarten sie sich mehr Kooperation. Der Labour- Chef ist zum ersten Mal auf einem EU-Gipfel und verhandelt seit Donnerstag fleißig hinter den Kulissen. Ralf Sotscheck

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