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Wenn nur noch die Waffen sprechen

Der Nahe Osten treibt in den Krieg. Wahrscheinlichster Schauplatz ist der Südlibanon, wo Israel bereits kräftig mit dem Säbel rasselt und gegen „Terroristen“ wettert. Der Westen bleibt stumm, die arabische Welt schaut ohnmächtig zu  ■ Von Robert Fisk

Auf den Nahen Osten kommt eine Explosion zu, die die Region zur Unkenntlichkeit verändern könnte. Wir im Westen haben uns zumeist entschieden, die Vorzeichen des Unheils nicht zu beachten, und tun statt dessen so, als gebe es noch immer Leben im verrottenden Körper des längst toten und zutiefst mangelhaften „Friedensprozesses“, als könnten die korrupten palästinensischen Institutionen doch noch ihre Gesellschaft kontrollieren und ein demokratisches Staatswesen herbeiführen und als meinte Israels Premierminister Frieden, wenn er die Beschlagnahme weiteren arabischen Landes auf der Westbank zum Bau jüdischer Wohnungen befiehlt.

Aber die arabische Welt wappnet sich gegen die Schockwellen fürchterlicher Ereignisse in den nächsten Monaten, wenn Israel sich dem Zorn jener Araber gegenübersieht, die glauben, daß nicht nur Israel und ein bedeutungsloses Friedensabkommen sie verraten haben, sondern auch die Vereinigten Staaten, die als Garant jedes Vertrags und jedes Zusatztexts aufgetreten sind.

Wird die Explosion in Ramallah erfolgen, das seit dem von einer von Damaskus aus operierenden palästinensischen Gruppe reklamierten Mord an einer jüdischen Siedlerin und ihrem Sohn von israelischen Truppen belagert ist? Wird es Hebron treffen, von dem Israel sich entgegen den Bestimmungen des von ihm selbst unterzeichneten Vertrags mit den Palätinensern nicht zurückgezogen hat? Oder wird der Schauplatz Libanon sein? Denn wenn Benjamin Netanjahu die Araber bewußt provoziert, um selbst die Erinnerung an den „Friedensprozeß“ auszulöschen, wie die Präsidenten Mubarak und Assad und König Hussein vermuten, dann mag die Antwort auf einem baumlosen, windzerzausten Berghang namens Jebel Basil zu finden sein.

Als Teil einer Reihe niedriger steiniger Steilhänge im Südlibanon gehört Jebel Basil zur Trennlinie zwischen Israels Besatzungsarmee in Libanon und der nördlich gelegenen UNO-Zone. Am 9. November schickte die israelische Wachmannschaft eines Artilleriestützpunktes auf einem benachbarten Hügel einen ihrer US-fabrizierten M-60 Panzer – in Israel als „Magash“ bekannt – eine kleine in den Hang von Jebel Basil hineingeschnittene Straße hinunter. Die Besatzung hatte keinen Grund zur Angst, denn ihr Fahrzeug war gut gepanzert. Die pro-iranische Hisbollah, die Israels Besatzungstruppen täglich angreift, hatte es nie geschafft, mit ihren russischen Saggar-Raketen israelische Panzer zu beschädigen.

Diesmal aber sah ein nepalesischer Soldat der UNO, wie ein Hisbollah-Mann sich hinter einem Busch darauf vorbereitete, eine neuartige Rakete auf Jebel Basil abzufeuern. Die Rakete raste den Abhang hinunter, traf den Panzer, brannte ihren Weg durch die Panzerung und explodierte drinnen. Ein israelischer Soldat wurde getötet, zwei andere wurden schwer verletzt.

Nur 24 Stunden später schickten die Israelis einen weiteren schwerbewaffneten M-60, um das Wrack des zerstörten Panzers abzuschleppen. Wieder wartete die Hisbollah, und wieder feuerte sie eine Rakete ab, die ihren Weg durch die zentimeterdicke Panzerung bohrte und im Panzer explodierte. Die dreiköpfige Besatzung wurde schwer verletzt. Augenzeugen erkannten die neue Waffe schnell als eine ferngesteuerte neue russische 113-„Koncurs“ – von der Nato „Spandrel“ getauft –, die einen hochexplosiven Sprengkopf trägt, mit dem sie sich durch die Panzerung bohrt.

Die Israelis reagierten genauso schnell. Heimlich zogen sie all ihre M-60-Panzer aus Südlibanon ab und ersetzten sie durch die besser gepanzerten israelischen Merkavas. Genauso heimlich gaben sie in der Nacht einen ihrer stärksten Stützpunkte auf: Alman über dem Litani-Fluß, Ziel täglicher Raketenangriffe. Die israelischen Truppen erhielten vertrauliche Befehle, die Hisbollah habe die israelische Marionettenmiliz „Südlibanesische Armee“ (SLA) so tief infiltriert, daß man mit den Milizionären nicht mehr gemeinsam auf Streife gehen noch Artilleriestützpunkte mit ihnen teilen sollte.

Mit anderen Worten: Im Südlibanon ist Israel auf der Flucht. Die Straßen sind so anfällig für Guerilla- Angriffe, daß mindestens ein israelischer Stützpunkt nun vom Meer aus mit von Kanonenbooten herabgelassenen Schlauchbooten beliefert wird. Der Kommandeur der SLA-Miliz, Antoine Lahad, ist von einem libanesischen Militärgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden, während ein libanesischer Kollaborateur Israels, verurteilt wegen eines Bombenanschlags, der den Bruder eines Hisbollah- Sympathisanten und zwei Zivilisten tötete, in einem Beiruter Gefängnis an die Wand gestellt und erschossen wurde. Die einzige öffentliche Reaktion auf dieses Fiasko war eine Ankündigung Israels, es habe in ihrer libanesischen Besatzungszone eine Eliteschwadron namens „Egoz“ gebildet – das hebräische Wort für „Walnuß“.

Ganz unelitär ist „Egoz“ verantwortlich gewesen für das Legen versteckter Bomben in der UN- Zone während des Israel-Hisbollah-Krieges im April – eine Vermimungsoperation, die von der Hisbollah nahe dem UN-Hauptquartier in Qana aus dem Hinterhalt angegriffen wurde; Israels Antwort auf diesen Überfall bestand darin, zurückzuschießen und mehr als 100 Zivilisten zu töten. „Wir wissen, wie man Walnüsse knackt“, hieß es daraufhin im Hisbollah-Radio. „Außen sind sie hart, aber innen weich.“

Was aber UN-Beamte in Libanon beunruhigt, ist der journalistische und politische Umgang mit diesen zumeist nicht berichteten Vorgängen. Zuerst begannen die israelische Presse und dann US- amerikanische Journalisten, in auffallend gleichlautenden Worten eine neuen „terroristische“ Bedrohung in Libanon zu melden. Kaum hatte die Jerusalem Post die neue Gefahr ausgerufen, berichtete die Washington Post aus der libanesischen Stadt Baalbek, daß in libanesischen „Terrorcamps“ Bahrainis, Saudis, Algerier, Kuwaitis, Kurden, Sudanesen, Bosnier und sogar Basken ausgebildet würden. Der Bericht zitierte ungenannte „Sicherheitsbeamte“ – einige davon waren wohl Israelis –, gestand aber schamhaft ein: „Wer genau für welche Mission ausgebildet wird, gehört zu den vielen Rätseln.“

Am 24. November schrieb der Boston Globe: „Neuer Terror im Nahen Osten“ und fügte hinzu, daß „der Nahe Osten in seine alten Gewohnheiten zurückzufallen scheint“ – was auch immer das heißen mag. Eine andere amerikanische Zeitung spekulierte über die Möglichkeit eines Hisbollah-Raketenangriffs auf Haifa – eine Stadt, die außerhalb der Reichweite jeder Hisbollah-Rakete liegt – und, ohne Quellenangabe, über eine syrische „Entscheidung“, „Terrorgruppen“ stärker zu unterstützen. Am 10. Dezember sagte Israels Generalstabschef General Matan Vilnai, Israel werde „sehr kräftig“ zuschlagen, sollte Syrien in den Krieg ziehen.

Syrien ermutigt natürlich die Hisbollah, erlaubt den Transit von Waffen durch Damaskus und ist wenig bestrebt, die Guerillagruppe zurückzuhalten, wenn die Israelis zugleich öffentlich ihre Hände vom US-vermittelten Vertragsprinzip „Land gegen Frieden“ reinwaschen, das im Gegenzug für einen Friedensvertrag die Golanhöhen an Syrien zurückgegeben hätte.

„Die Israelis bereiten den Boden vor“, sagt ein westlicher Militäroffizier. „Sie schlagen vielleicht nicht zu, aber sie bereiten die öffentliche Meinung auf größere militärische Aktionen in Libanon vor – gegen die Hisbollah, gegen die Syrer. Sie wollen den Syrern klarmachen, wer der Boß ist – und sie wollen, daß die Syrer an den Verhandlungstisch zurückkommen, ohne den Golan zurückzukriegen. Wo sind alle diese Terroristen? Was ist das mit baskischen ETA- Guerilleros für ein Quatsch? Es ist derselbe Unsinn, den die Israelis in die Presse lancierten, bevor sie 1982 einmarschierten. Nur waren es damals palästinensische Terrorlager.“

Die Amerikaner waren von all diesen Berichten – die meisten natürlich von Israel angeregt – so überzeugt, daß sie eine Militärdelegation nach Israel schickten, um herauszufinden, ob es wirklich eine militärische Bedrohung von massenhaftem „Terrorismus“ oder von der syrischen Armee gebe. Einer vorzüglichen Quelle zufolge entdeckten sie, daß die israelischen Berichte sich zumeist auf ein veraltetes Papier der Logistikabteilung in der israelischen Armee stützten. In Beirut trommelten US-Botschaftsmitarbeiter UN-Personal zusammen in der Hoffnung herauszufinden, ob Hisbollah tatsächlich mit einem massiven „Terrorschlag“ drohe. US-Geheimdienstler kamen schließlich zu dem Schluß, die Berichte seien Unsinn und Israels Hauptsorge sei keineswegs „Terrorismus“, sondern daß die Hisbollah-Guerilla der israelischen Besatzungsmacht in Südlibanon tatsächlich das Leben schwermacht.

Die Vereinten Nationen und hinter vorgehaltener Hand auch die USA haben schon längst die Tatsache anerkannt, daß diese Besatzung nur andauert, weil Israel in zukünftigen israelisch-libanesischen Friedensgesprächen gute Karten haben will. Die Besatzungszone, zehn Prozent von Libanon, schützt Israel nicht, wie im April klar deutlich wurde, als die Hisbollah in Reaktion auf den Tod eines libanesischen Jungen durch eine vermutlich von Egoz gelegte versteckte Bombe Hunderte von Katjuscha-Raketen über die Grenze feuerte. Seit April sind 24 libanesische Zivilisten durch israelischen Beschuß ums Leben gekommen – in derselben Zeit ist kein einziger israelischer Zivilist von der Hisbollah auch nur verwundet worden. Israel hat seit April 18 Besatzungssoldaten verloren, die Hisbollah 20 Kämpfer. Mit anderen Worten: Es ist ein Krieg niedriger Intensität, aber nichts, was das kriegerische Gerede rechtfertigt, das die Libanesen zu hören bekommen.

Aber in Libanon wächst die Angst, nicht zuletzt weil das von der Präsidentschaftswahl befreite Washington allen israelischen Wünschen so genügsam begegnet wie schon immer. Als Netanjahu die Ausdehnung der jüdischen Besiedlung Ost-Jerusalems ankündigte – was jede Hoffnung auf das Zustandekommen der abschließenden Gesprächsrunde des „Friedensprozesses“ zerstörte –, gab es vom US-Außenministerium nicht einmal eine Verurteilung, sondern man nannte es einen „komplizierenden Faktor“.

Es ist unwahrscheinlich, daß ein Angriff auf Libanon Washington zu mutigeren Tönen veranlaßt. Die Berufung der stramm proisraelischen Madeleine Albright ins US-Außenministerium bewog Libanons Präsident Elias Hrawi zu nur einer Bemerkung: „Gott schütze uns“, sagte er.

In der gesamten arabischen Welt werden ähnliche Dinge gesagt. Präsidenten und Könige warnen den Westen vor dem kommenden Flächenbrand. Mubarak soll in tiefe Verzweiflung gefallen sein. König Hussein soll sogar überlegt haben, alle Beziehungen zu Israel abzubrechen.

Präsident Assad, der immer noch höflich die Amerikaner um ein Eingreifen bittet, hat keine Illusionen. „Werden die Israelis sich weiterhin gegen den Willen der gesamten Welt stellen, während die internationale Gemeinschaft untätig bleibt?“ fragte eine syrische Zeitung letzte Woche. Wahrscheinlich werden sie. Und wie immer könnte Libanon den Preis zahlen.

Mit freundlicher Genehmigung entnommen der britischen Tageszeitung „The Independent“ vom 14.12.1996

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