Sind die taz, das PEN-Zentrum, amnesty international, Politiker und Schriftsteller einem Bluff aufgesessen? War der verschwundene Faradsch Sarkuhi nicht 47 Tage in einem Kerker in Teheran, sondern irgendwo in Deutschland? Alles deutet auf eine Desinformationskampagne des iranischen Geheimdienstes Von Thomas Dreger

Unerwartete Heimkehr aus dem Nichts

Er habe „etwas gelb im Gesicht“ ausgesehen und „gezittert“, beschreibt ein Augenzeuge das Auftauchen des vermißten iranischen Schriftstellers Faradsch Sarkuhi (49) am Freitag nachmittag auf dem Teheraner Flughafen Merabad. Vor knapp 20 Medienvertretern erklärte der am 3. November auf mysteriöse Weise an ebenjenem Ort Verschwunde: „Meine Abwesenheit hatte keine politischen Gründe, sondern familiäre.“

Anstatt – wie von Freunden, Verwandten und Kollegen befürchtet – in einem Kerker des iranischen Geheimdienstes habe er die zurückliegenden 47 Tage vor allem in Deutschland verbracht. Wie geplant sei er am 3. November mit einer Maschine der „Iran Air“ nach Hamburg geflogen, von dort nach Köln und Aachen gereist. Dann sei es weiter in die Niederlande gegangen, dann in die Türkei, in die ehemalige Sowjetrepublik Turkmenistan und von dort in die ostiranische Stadt Maschhad, von wo er gerade mit einem Inlandsflug gekommen sei.

Die letzte Reiseetappe erklärte, warum die Journalisten zuvor vergeblich in der Abteilung für internationale Flüge gewartet hatten, wohin sie das für die Presse zuständige Ministerium für religiöse Führung bestellt habe. Von dort wurden sie dann in die Ankunftshalle für Inlandsflüge geholt, wo bereits ein sichtlich abgemagerter Sarkuhi in Begleitung iranischer Sicherheitsbeamter auf sie wartete.

Auf einem Sofa sitzend erklärte der Chefredakteur der kritischen Literaturzeitschrift Adineh dann Anlaß und Ablauf seiner Reise. In Deutschland habe er Kontakt zu Juristen aufgenommen. Diese sollten ihm helfen, seine beiden Kinder in den Iran zurückzuholen. Sohn Aresch (14) und Tochter Bahar (12) leben seit über einem Jahr mit ihrer Mutter Faride Zebardschad (41) in Berlin. Die Anwälte hätten ihm jedoch bedeutet, es sei sehr schwierig, seine Kinder zurückzuholen – Sarkuhis Ehefrau ist in Deutschland anerkannter politischer Flüchtling. Als skeptische Reporter fragten, ob Sarkuhi Namen der von ihm in Deutschland kontaktierten Juristen nennen könne, antwortete er nicht.

„Ich glaube kein Wort dieser Inszenierung. Faradsch muß unter fürchterlichem Druck stehen“, hält Sarkuhis Frau dagegen. Vor zehn Tagen hatte sie sich in Bonn in einem aufsehenerregenden Appell an Helmut Kohl gewandt: Der Bundeskanzler solle sich bei der iranischen Regierung dafür einsetzen, daß Faradsch Sarkuhi aus einem Gefängnis des iranischen Geheimdienstes entlassen werde.

Seit letzter Woche hält sich Faride Zebardschad in Stockholm auf, wo sie versucht, die schwedische Regierung für die Freilassung ihres Mannes zu gewinnen. Vergangenen Donnerstag legte sie vor dem Auswärtigen Ausschuß des Parlaments in Stockholm ausführlich dar, welche Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Iran europäische Regierungen hätten.

Diese Aktivitäten will Faride Zebardschad trotz Sarkuhis plötzlichem Auftauchen in Teheran weiter betreiben. Ihr gegenüber habe Faradsch Sarkuhi am Freitag telefonisch erklärt, man habe ihm seinen Paß abgenommen. Freunde und Verwandte in Deutschland und Schweden gehen davon aus, daß Sarkuhi den Iran nicht verlassen darf. „Sarkuhi ist immer noch ein Gefangener“, meint ein in Deutschland lebender Freund.

Sarkuhis Erscheinungsbild auf dem Flughafen und sein Verhalten danach sprechen für diese Vermutung. Zwar konnte er nach der „Heimkehr“ in seine Wohnung zurückkehren und dort auch Besuch empfangen. Öffentliche Erklärungen zu seiner Abwesenheit gibt er jedoch nicht: „Alles, was ich zu sagen hatte, habe ich am Flughafen gesagt“, erklärte er gestern auf Anfrage der taz und legte hastig den Hörer auf. Währenddessen verdichten sich die Hinweise, daß seine Ehefrau mit ihrer Einschätzung recht hat, Sarkuhis Rückkehr sei vom iranischen Geheimdienst inszeniert. „Westliche diplomatische Kreise in Teheran haben schon vor zehn Tagen gewußt, daß Sarkuhi in den nächsten Tagen freigelassen wird“, berichtet der gerade aus dem Iran zurückgekehrte Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Udo Ulfkotte, gegenüber der taz. Auch das Szenario sei bekannt gewesen: „Sarkuhi sollte vorgeblich aus dem Ausland wiederkommen. Tatsächlich war er jedoch in den Händen iranischer Sicherheitskräfte.“ Gerüchte über eine bevorstehende Freilassung Sarkuhis hielten sich unter Exiliranern seit fast zwei Wochen. Gerätselt wurde nur darüber, wie der iranische Geheimdienst den Schriftsteller auftauchen lassen könne, ohne als Entführer dazustehen.

Das iranische Außenministerium hatte auf Anfrage der deutschen Botschaft in Teheran wiederholt behauptet, Sarkuhi sei wie geplant am 3. November nach Hamburg geflogen. Tatsächlich hatte er bereits eingecheckt. In Teheran tauchte sein Name auf einer Passagierliste für Flug IA 723 auf: Platz Nummer 35 F. Nach Informationen der taz hat der Bundesgrenzschutz am Flughafen Hamburg jedoch keine Einreise Sarkuhis registriert. Dennoch soll die iranische Führung der Bundesregierung die „Sprachregelung“ angeboten haben, Sarkuhi sei aus Deutschland zurückgekehrt. Die deutsche Seite lehnte ab. Die iranischen Behörden sollen gar behauptet haben, ihnen läge eine Postkarte vor, die Sarkuhi aus Deutschland einer Geliebten nach Teheran geschickt habe. Westliche Diplomaten in Teheran gehen davon aus, daß die Karte – sollte sie von den iranischen Behörden präsentiert werden – in Teheran geschrieben wurde. Ähnliche Manipulationen läßt eine Ankündigung iranischer Beamter am Freitag bei Sarkuhis „Pressekonferenz“ auf dem Teheraner Flughafen vermuten: In den nächsten Tagen werde der Paß Sarkuhis vorgelegt – mit einem Einreisestempel aus Hamburg. Nach Angaben seiner Verwandten erklärte Sarkuhi am Telefon, er sei mit einem aus einem Stück Papier bestehenden Ersatzdokument aus Turkmenistan ausgereist.

Einen Eindruck über den Druck, der auf Sarkuhi lasten könnte, vermittelt sein Freund Huschang Golschiri: „Wir sind glücklich, daß er jetzt wieder frei ist, und wir denken nicht an andere Dinge“, erklärte der bekannteste im Iran lebende Literat gestern am Telefon gegenüber der taz. Golschiri selbst wurde in den letzten Monaten mehrfach die Ausreise verweigert. „Ich hoffe, daß unsere Probleme jetzt gelöst sind. Wir haben genug von solch komplizierten Dingen wie diesen. Ich hoffe, daß das Ganze vom ,Mykonos‘-Prozeß losgelöst wird.“

Sarkuhi hatte in einem Brief an seine Frau die Befürchtung geäußert, ihm solle in Teheran der Prozeß gemacht werden, „als Gegenstück“ zu dem in Berlin laufenden Gerichtsverfahren um den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden 1992 in dem Berliner Restaurant „Mykonos“. Grundlage dafür sei ein Treffen sechs iranischer Schriftsteller – darunter auch Sarkuhi und Golschiri – in der Privatwohnung des Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Teheran, Jens Gust. Das Abendessen am 25. Juli war von iranischen Geheimdienstlern gesprengt worden. Sie sperrten den deutschen Diplomaten für mehrere Stunden in ein Zimmer und filmten die Literaten mit aus den Regalen geräumten Akten. Dieses Video könnte als „Beweis“ für ihre Tätigkeit als „deutsche Spione“ herhalten, befürchten iranische Regimekritiker. Sarkuhi schrieb nach dem Treffen an seine Frau: „Wir tappten leichtgläubig in eine Falle.“ Möglicherweise steckt er immer noch darin.