: Filmtheatralische Stirnhöhlenvereiterung
■ Die bisherige Erfahrung mit Großkinos zeigt, daß den Kinobesuch im anonymen Schnellrestaurant-Ambiente Verstopfung statt Vergnügen begleitet
Der Handel mit Träumen verlangt nach Kulisse, oder wie man heute dazu sagt: nach Ambiente. Zumindest war dies in den ersten Jahrzehnten des Kinos so. Das Glücksversprechen wollte attraktiv verpackt sein. Fassadenhohe Kinoplakate, großzügige Foyers, erhabene Aufgänge und Säle, die die Erinnerung an das großbürgerliche Ballhaus wach hielten, begründeten den Ruf des Kinos als Ort von seliger Wirklichkeitsflucht.
Das Versinken im gebärenden Dunkel war ein Höhepunkt, dem ein Vor- und Nachspiel vergönnt war. Der Eintritt ins Licht von der Straße, die Möglichkeit des Sehens und Gesehen werdens zwischen breiten Treppen und einem zentralen Foyer-Platz, die Inszenierung des Filmtheaters im willentlich modischen Zeitgeschmack, Spiegel, Kitsch, rote Teppiche: Die Konkurrenz der bürgerlichen Sprech- und Singtheater bedeutete für die ersten Kinobauergenerationen noch eine Herausforderung, aus deren Annahme sich ein eigener, teilweiser skurriler Stil mit faustdicker Grandezza entwickelte.
Lediglich in manchen Nachkriegskinos, vor allem, wenn sie liebevoll restauriert oder erhalten wurden, kann man von derartigen stilvollen Verlockungen noch etwas ahnen. Für gewöhnlich aber zeugten die Kino-Neubauten der letzten Jahrzehnte vom wachsenden Effizienzbewußtsein ihrer Erbauer, und das bedeutete: Verzicht auf Foyers, die den Namen auch verdienen, Abwesenheit jeglichen Raumgefühls für die zügige Abwicklung der Kinomassen in schmalen, verwinkelten Gängen zwischen den Sälen, Aufgabe der Kinofassade für die Unterbringung von Büroraum vor und über dem Kino, und Kinosäle, deren Innenarchitektur die Wahrheit der dekorierten Kiste nicht im Ansatz mehr verleugnen konnten. Das Kino wurde zum Supermarkt der Träume. Die Architektur verkam zum anspruchslosen Bereich.
Auch profane Randbedingungen edelten einst den erregenden Abend im Illusionstheater. Doch die Platzanweiser, Vorschaukästen, der Popcorn- und Getränkeverkauf verloren über die Jahre viel von ihrer stillen Würde und beugten sich der uncharmanten Schnelligkeit. Zwischen dem anonymen Service im Kino und bei Burger-King gibt es schon länger keinen qualitativen Unterschied mehr.
Nachdem die Kinobetreiber lange das Fernsehen als vulgäre Konkurrenz beschimpften und fürchteten, ging einigen Marketing-Chefs irgendwann das Licht auf, daß es vielleicht eben jene Erlebnislosigkeit im Umfeld der eigentlichen Vorführung war, die viele Menschen dazu bewog, das abendliche Ausgehen ins Kino abzuschaffen. Die einzige verbliebene Attraktion gegenüber dem Puschenkino, das große Format, konnte die vielen Unhöflichkeiten und Unaufmerksamkeiten eines Kinobesuchs nicht mehr ausgleichen.
Um diese Menschen zurück vor die Leinwand zu holen und die immer noch überwiegend jugendliche Klientel fester an sich zu binden, zog man die Multiplexe aus dem Hut. Hier sollte das Kino wieder Kommunikations- und Erlebnispunkt sein, gleichzeitig aber mehr bieten, als einfach Masse mal Größe. Cafés und Restaurants sollten nach altem US-amerikanischem Muster dafür sorgen, daß der Kunde möglichst alle Bedürfnisse an einem Ort befriedigt.
Das Multiplex im Einkaufszentrum, wie Hamburg es gerade an der Hamburger Straße, im Wandsbeker Quarree und in Harburg plant, ist die logische Konsequenz dieses Alptraums für jeden Stadtflaneur. Wie uncharmant diese Koppelung tatsächlich ist, zeigt das Multiplex in Kiel, das sich mit dem Hauptbahnhof eine Freß- und Daddelgasse teilt und schon kurz nach der Eröffnung die pure Heruntergekommenheit ausdrückte.
Was bieten nun Hamburgs neue Großkinos? Zuerst einmal schaffen sie Verkehrsprobleme, denn solange die öffentlichen Verkehrsmittel nicht rund um die Uhr im Einsatz sind, kann man es niemandem übelnehmen, wenn er mit dem Auto zum Amüsement fährt. Weder das neue UFA am Gänsemarkt, noch das Cinemaxx am Dammtor, noch das Grindeltheater verfügen aber über Parkplätze. Wer einmal nachts zum Filmwechsel am Dammtor vorbeischaut, kann sich ein plastisches Bild von der lebensgefährlichen Chaotik machen, die entsteht, wenn tausend Leute aus dem Kino kommen und mehr oder weniger direkt auf der Straße stehen.
Architektonisch ist das Großkino im ehemaligen Schwulenpark das einzige Gebäude im eigentlichen Sinn. Sowohl das neue UFA, das nächstes Jahr eröffnet wird, als auch das bereits existierende Grindelkino sind gestapelte Kinoschachteln hinter bestehenden Bürohäusern versteckt.
Der Bau von me di um und Dr. Sprenger dagegen nimmt immerhin einige Anregungen auf, wie ein zeitgenössisches Filmtheater aussehen kann, das selbstbewußt Raum- mit Filmerlebnis koppelt. Die Portion Ordinäres, die ein Ort des Volksvergnügens durchaus besitzen muß, wird durch Neon-Bänder erreicht, eine Stahl-Glasfront vergrößert das Foyer zur Stadt hin, und die aus den Kinosälen gewonnene Bauskulptur macht die konstruktiven Elemente sichtbar.
Innen gleicht das Cinemaxx zu Stoßzeiten dagegen eher einer Stirnhöhlenvereiterung. Trotz der vielen architektonisch interessanten Durchsichten und Verschachtelungen kann das Gebäude den Ansturm der Massen nicht bewältigen. Wer Samstag abend der Versprechung des Gesamtkinoerlebnisses folgt, dem stellt es sich in etwa folgendermaßen dar: Überwiegend jugendliche Massen aus Hamburgs Vororten und Randgemeinden, die der Meinung sind, der Bewohner der Metropole zeichnet sich durch möglichst pöbelhaftes Auftreten, Rempeleien und aggressive Ich-Bezogenheit aus, und sich entsprechend benehmen, stehen sich und anderen auf den Füßen. Riesige Schlangen vor den Toiletten – und nicht nur vor den Damen – heizen die aggressive Grundstimmung nochmal an, weil eben noch glücklich hier angekommene Pärchen sich plötzlich anfauchen müssen, weil der „Film gleich anfängt“. Getränke und Popcorn gibt es zwar in diversen Größen bis zum Mülltonnenformat, aber kaufen kann die nur jener, der bereits weiß, daß eine Stunde Vorankunft das mindeste ist, um die Schlangen zu bewältigen. Diese wälzen sich dann auch noch quer zur allgemeinen Laufrichtung durch den Raum und führen zu weiteren Nickelichkeiten unter den Erlebnis und Kommunikation suchenden Besuchern.
Ähnlich dürfte sich das im neuen UFA-Palast ausnehmen, der auf einem noch engeren Grundstück noch mehr Kinosäle unterbringt und der nach einem Jahr Betrieb Reinigungskosten für Cola-, Wein- und Pizzaflecken auf den Anziehsachen seiner Besucher nach sich ziehen dürfte, die in etwa den Baukosten entsprechen könnten.
Das Grindel schließlich, dem hinter seiner schäbigen Frontseite niemand ansehen würde, daß sich hier ein Großkino verbirgt, ist der Gefrierschrank unter den dreien. Die Atmosphäre in dem weißen Luftschlitz, der hier zum Foyer ausgerufen wurde, mit seinen belanglosen Tresen und New-Wave-Metall-Applikationen wäre die richtige für eine Androidenhochzeit zum Summen von Festplattenventilatoren. Zur Einstimmung auf etwas Besonderes, als Ort, der auch dem Besucher der 8. Woche von Indpendance Day noch ein klein bißchen Gefühl dafür vermittelt, Teil einer immerwährenden Premiere zu sein, taugt das Grindel so wenig wie jedes andere Hamburger Großkino.
Hoffnung auf ein Multiplex, das in architektonisch bewanderter Art die Verdrehungen und Verrenkungen seiner Vorgänger negiert, macht der Plan von Alsop & Störmer für ein Kino am Nobistor. Das von St. Paulis Immobilien-Erotomanen Claus Becker entwickelte Projekt, dem Entscheidungsreife nachgesagt wird, schafft zwischen drei schwebenden und drei verbuddelten Kinosälen ein großzügiges Glasfoyer zur Holstenstraße, das schlicht, aber dienlich wirkt. Die schwebenden Kuben sollen nach Vorstellungen der Architekten in unterschiedlichen Materialien und Farben ausgeführt werden (Messing, Holz, Beton in schwarz-rot-gold beispielsweise), und der ganze Komplex soll eine Verbindung mit dem dort gerade realisierten Kaufhaus der Sinne – ebenfalls von Becker – erhalten.
Die interessanten, an Kinoarchitektur der 20er Jahre erinnernden Pläne von Kähne Architekten für ein Kino in Bahrenfeld sind mit der Ablehnung des Projektes durch den Bezirk wegen fehlender Stellplatznachweise wohl gestorben. Die weiteren Entwürfe für die Multiplexe in Othmarschen, an der Hamburger Straße und anderswo harren noch der Entwicklung, aber man muß kein blinder Seher sein, um zu prophezeien, daß kostengünstige und unpersönliche Lösungen, gerade für die Entwicklungen in den städtischen Randgebieten, eine neue Gründerzeit der Kinoarchitektur nicht erwarten lassen. Der Wille zur Provinz ist in Hamburg eben der erlebnisarchitektonische Genius loci.
Till Briegleb
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