: Im Filmriß dem Filmriß nahe
■ Die Zukunft des einzigen Programmkinos in Spandau erscheint wenig rosig: Nicht nur die Konkurrenz, auch das Bezirksamt macht dem Kino Filmriß arg zu schaffen
Was die wenigsten Nichtspandauer wissen: Die havelstädtische Kinoszene gibt es nicht wieder, sondern immer noch. Nach dem großen Kinosterben der 70er Jahre war das Angebot an Spielstätten im westlichsten Bezirk der Stadt allerdings auf das Filmstudio Wichern mit seinem Wochenendprogramm in den Räumen der gleichnamigen Hakenfelder Kirchengemeinde und die Hinterzimmervorführungen des Vereins Filmriß in einem Lokal in der Altstadt begrenzt.
Immerhin: Durch das Engagement der Hobbycineasten Gerd Hussock (Wichern) und der Filmriß-Leute wurde Spandau nicht zur kinofreien Zone. Im Spandauer Kulturhaus kam dann noch das Topas dazu, dessen Ableben nach dem Zusammenbruch des dortigen Trägervereins zwangsläufig folgte.
Die bezirkliche Verwaltung übernahm das Gebäude 1993. Auf ausdrücklichen Wunsch der Kommunalpolitiker und des Bezirksamtes – man wollte das kleine Kino in jedem Fall erhalten – wurde die Spielstätte den Filmriß-Aktiven angeboten, die seitdem den Ort mit wachsendem Erfolg bespielen. Allen Skeptikern trotzend, besuchten inzwischen rund 30.000 Menschen den kleinen 80-Plätze- Saal, dessen Vorführtechnik von den engagierten Kinofreunden kontinuierlich technisch verfeinert worden ist. Allein 1995 habe der Verein eigenen Angaben zufolge einen hohen fünfstelligen Betrag in die technische Ausstattung und in Reparaturen investiert.
Der Nutzungsvertrag ließ auf sich warten
Im Filmriß laufen die alten Projektoren weiter, mittlerweile im Besitz des Bezirks. Allerdings: Über einen von Bezirksamt und neuem Kinobetreiber angestrebten Nutzungsvertrag konnte bis heute keine Einigung erzielt werden. Demzufolge fehlen auch Regelungen zu Kostenübernahme und eigentumsrechtlichen Fragen. Ursprünglich war geplant, nach einer ersten Starthilfe für den Kinoverein, während der die Räume und Ausstattungsgegenstände kostenlos überlassen werden, 1994 einen – zunächst auf ein Jahr datierten Vertrag mit den Kinomachern abzuschließen. Erst 1995 legte das Bezirksamt einen ersten Entwurf vor. Die Unterzeichnung steht bis heute aus und ist auch nicht in Sicht.
Im Gegenteil: Während sich der zuständige Stadtrat, Gerhard Hanke (CDU), auf landesübliche Regelungen zur Erhebung von Nutzungsentgelten beruft, lehnen die Filmriß-Leute die Vorgaben der Verwaltung ab. Sie haben eigene Vertragsvorschläge unterbreitet und fordern, eine Präambel in das Papier aufzunehmen, in der die Willensbekundungen der bezirklichen Politik, das nichtkommerzielle Kino zu fördern, Niederschlag finden. Außerdem wünschen sie deutliche Vereinbarungen zur technischen Ausstattung. Rainer Braun, Geschäftsführer von Filmriß: „Es kann nicht angehen, daß wir grenzenlos bezirkliches Eigentum unterhalten. Verhandlungsfähig wäre deshalb entweder eine Übernahme der Geräte unsererseits oder eine verbindliche Zusage des Bezirks, einen Teil der Kosten zu tragen.“ Der Vorsitzende des Spandauer Kulturausschusses, Helmut Zwirtz (SPD), hält dem entgegen: „Bei der geringen Miete, die dem Verein abverlangt wird, müssen die zur Verfügung gestellten Geräte vom Verein selbst unterhalten werden.“ Einem Kompromißvorschlag Brauns will die Verwaltung nicht zustimmen: „Wir würden das vom Bezirk vorgeschlagene Nutzungsentgelt auf ein Konto überweisen, von dessen Geld Reparaturen und Neuanschaffungen für den Kinobetrieb finanziert werden.“
Inzwischen hat das Bezirksamt Klage beim Amtsgericht erhoben. Am 27. Januar ist Verhandlung und nach Meinung der Fachverwaltung auch Zahltag. Braun: „Es ist absurd, daß das Amt gegen einen nichtsubventionierten Kulturbetrieb klagt, den der Bezirk erklärtermaßen im Kulturhaus wollte.“ Das kleine Kino arbeite schon jetzt am Rande der Rentabilität. „Die Zahlung bedroht unsere Existenz“, fürchten Braun und seine Mitstreiter die kalte Abwicklung ihres Filmtheaters. Inzwischen beglückte Stadtrat Hanke Filmriß mit einem neuerlichen Schreiben und setzte eine „letztmalige Frist bis zum 31. Dezember 1996 zur Unterzeichnung unseres Vertragsangebotes“. Der CDU- Politiker war bislang nicht erreichbar, um zu dieser Problematik Stellung zu nehmen. Der taz wurde inzwischen auch bekannt, daß Mitarbeiter seiner Abteilung bereits Kontakte zu anderen möglichen Interessenten für die kleine Spielstätte in der Mauerstraße aufgenommen haben.
Die Geschäfte der CDU-Verordneten
Die Zukunft des Programmkinos in der Altstadt von Spandau erscheint wenig rosig – nicht zuletzt auch der neuen, kommerziellen Konkurrenz wegen. Seit Ende November gibt es mit dem Kinocenter Spandau wieder ein Uraufführungskino in der Havelstadt. Mitglied der Geschäftsführung des Hauses mit den zunächst vier, später fünf Sälen ist Ulrike Billerbeck, Spandauer CDU-Verordnete und frühere Wahlkampfmanagerin von Bezirksbürgermeister Birkholz, dessen Partei die Entstehung eines Multiplexkinos auf dem nahe gelegenen Güterbahnhofsgelände an der Klosterstraße verhindern will, wo neben Haltepunkten für ICE und Transrapid auch ein Gewerbe- und Dienstleistungszentrum entstehen soll.
Filmriß zur Klage des Bezirksamtes vor dem Amtsgericht: „Wir konstatieren eine merkwürdige Verquickung von politischen Funktionen und kommerziellen Interessen, die auf fatale Weise an unrühmliche Selbstbedienungsmentalitt erinnern.“ Die Hobbycineasten wollen dem „unverschämten Versuch, uns zu liquidieren, mit allen (juristischen) Konsequenzen widerstehen“. Deshalb geht auch das Programm an der Mauerstraße über den 31. 12. 96 hinaus weiter, wie Rainer Braun erklärt, übrigens zu Preisen weit unterhalb der üblichen Tarife. Wenn es das Kino dann noch gibt ...! Jochen Liedtke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen