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HOIM INS REICHLE

Nach schleichender Machtübernahme durch schwäbische Bürgermeister sind die Kanarischen Inseln dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten. Spanien extrem verärgert  ■ Von Ute Scheuble

Sodele, bloß no' a paar Stunde', dann hemmer's g'schafft!“ freute sich gestern der Vorsitzende des Rates der Kanarischen Inseln, Alberto Pfleiderer (45). Der aus Eßlingen stammende Schwabe spielte auf die Silvesternacht an, in der der kürzlich vom Inselrat beschlossene Beitritt der Kanaren zum Geltungsbereich des deutschen Grundgesetzes vollzogen wird. Der juristische Akt soll in der morgigen Neujahrsnacht mit Salsa und Sauerkraut auf allen sieben Inseln gefeiert werden.

Die spanische Regierung, der die Kanarischen Inseln trotz ihres Autonomiestatus bisher unterstanden, wird dabei garantiert nicht mitfeiern. Ebenso lautstark wie vergeblich hatte sie in den letzten Monaten, in denen sich der Beitritt am Horizont abzeichnete, gegen den „deutschen Neokolonialismus“ protestiert. Sie hatte zwar die Mehrheit des Europaparlaments auf ihre Seite zu ziehen vermocht, das Anfang Oktober 2006 eine geharnische Resolution verfaßte („Gönnt Hitlers Erben keine Sonne!“). Der Bundeskanzler indes ließ den politischen Angriff geschickt ins Leere laufen, indem er in seiner Regierungserklärung vom 5. November auf „das Selbstbestimmungsrecht des kanarischen Volkes“ verwies. Bereits Anfang des Jahres hätten seine frei gewählten Vertretungsorgane beschlossen, einen Anschluß an Deutschland zu sondieren. Die Bundesregierung habe sich aus guten Gründen gehütet, hier auch nur einen Hauch von Einflußnahme auszuüben.

Daß das Kanzleramt diese Bestrebungen dennoch mit Sympathie verfolgte, war in diesen Monaten ein offenes Geheimnis. Dissonanzen gab es nur in einer Frage: Die Bundesregierung bevorzugte einen Beitritt der Kanaren als 17. Bundesland, während sich der kanarische Inselrat kategorisch weigerte, etwas anderem beizutreten als „unserem Heimatland Baden- Württemberg“.

Daß wir nun ab 1. Januar 2007 ein neues Bundesland haben werden, Kanarien-Baden-Württemberg, ist den ausgefuchsten deutschen Juristen im Ruhestand zu verdanken, die die sonnigen Inseln zu Hunderten bevölkern. Ein Anschluß der Kanaren als 17. Bundesland, so wie es weiland der DDR geschah, würde sofort vor dem internationalen Gerichtshof enden, so warnten sie. Schließlich sei der entsprechende Grundgesetzartikel gleich nach dem Beitritt der DDR abgeschafft worden. Ganz anders sähe es aber aus, wenn man sich einem einzelnen der 16 Bundesländer anschließe, wie sie in der schließlich erst 1990 neuformulierten Präambel des Grundgesetzes fein säuberlich aufgezählt werden. „Hoim ins Reichle!“ kommentierte eine der 35 deutschsprachigen Zeitungen auf den Kanaren. Die anderen 34, die sich vor und nach der Jahrtausendwende rund um das lukrative Anzeigengeschäft mit deutschen Geschäftsinhabern gegründet hatten, zeigten weniger Neigung, ihre Auftraggeber zu vergrätzen.

Die nämlich hatten seit Anfang der 90er Jahre sukzessive alle Geschäfte an sich gerissen. Seit Spanien die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union erhielt, besaßen nämlich umgekehrt auch die Deutschen das Anrecht, im spanischen Hoheitsgebiet in jedweder Form zu leben und zu arbeiten. Wie es dazu kam, daß es ausgerechnet der rund um die Kleinstadt Eßlingen angesiedelte schwäbische Volksstamm war, der sich von Stund an auf den Kanaren breitmachte, vor allem auf La Palma, weiß heute kein Historiker mehr präzise zu beantworten. „Wer sich auch nur einmal in seinem Leben der schwäbischen Kehrwoche unterwerfen mußte, kann aber leicht nachvollziehen, daß der Auswanderungswille in diesem Landstrich besonders ausgeprägt ist“, wirbt Marion Müller-Osterjagen, Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Gießen, um Verständnis.

Die fleißigen Eßlinger jedenfalls, sekundiert von einigen Bayern und Österreichern, bauten Pensionen und Hotels. Nach und nach kamen Bäckereien, Metzgereien, Naturkostläden, Gärtnereien und Biohöfe hinzu, Baufirmen, Solarfirmen, Klempnereien, Tischlereien, Müllabfuhren, Erlebnisparks, Anglervereine, Ausflugsboote, Drachenflugschulen und natürlich auch schwäbisch- spanisch geführte Kindergärten und Schulen. Dort soll es ab und an zu heftigen Kulturkämpfen gekommen sein, wenn die kanarischen Kinder den Müll nicht ordentlich trennten.

Bereits Mitte der 90er Jahre waren die Kanarischen Inseln perfekt zweisprachig – zumindest auf ihren Straßenschildern, Speisekarten und vor allem ihren Immobilienangeboten. Wer als Kellner oder Verkäuferin nicht mindestens bis hundert zählen konnte, auf deutsch natürlich, wurde nicht eingestellt. Im Februar 1998 wurde Teneriffa von der ersten gewalttätigen Demonstration in der kanarischen Geschichte erschüttert: Hunderte frustrierter Köche waren von ihren deutschen Arbeitgebern abgewiesen worden, weil sie das Spätzleexamen nicht bestanden hatten. Sie attackierten das Rathaus von Santa Cruz mit Steinbroten und Molotowcocktails.

Doch der Bürgermeister blieb hart. Kein Wunder, war er doch der erste schwäbischstämmige Gemeindevorsteher der Kanaren. In den kommenden Jahren sollten ihm viele weitere folgen, zuerst auf La Palma, dann auf den anderen Eilanden. Die kanarischen Parteien protestierten, die spanische Regierung schimpfte, aber es half alles nichts: Die Bube und Mädle waren frei gewählte Volksvertreter. Der immer noch anhaltende Zustrom aus dem Land der Sueben hatte es möglich gemacht, daß sie die Mehrheitsverhältnisse kippten. Die Regierung in Madrid hatte nur die Wahl, die Europäische Union schnurstracks zu verlassen oder die Freizügigkeit aller EU-Bürger weiter zähneknirschend hinzunehmen.

Systematisch unterwanderten die Eßlinger nach der ökonomischen und politischen nun auch die kulturelle Macht. Die Maultasche wurde aus Gofiomehl und Ziegenhack nachgebacken und als „boca de boca“ zum neuen Nationalgericht erkoren, aus Salsa wurde Sößle, und auf den ehemals riesigen Bananenplantagen wurden immer mehr Rieslinger und Trollinger angebaut. Unter den Rotweinen galt der 1999er Monte Heuchel als besonders süffig.

Was dann noch folgte, kennen wir aus der jüngsten politischen Vergangenheit, die morgen in der Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Deutschland mit dem deutschen Volk in Deutsch-Kanarien münden wird. Punkt null Uhr werden unsere Brüderle und Schwesterle unter dem Sternenkreuz des Südens ihre Gläser erheben, und wir werden im Geiste mit ihnen anstoßen: Oléle!

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