■ Die endlosen Verhandlungen über den Hebron-Rückzug: Netanjahu spielt auf Zeit
Verträge sind einzuhalten – für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu scheint dieser Grundsatz nicht zu gelten. Im September 1995 unterschrieben sein Vorgänger Jitzhak Rabin und der Chef der palästinensischen Autonomiebehörden, Jassir Arafat, einen detaillierten Zeitplan zur Umsetzung des Autonomieabkommens zwischen Israelis und Palästinensern. Doch Netanjahu tut nun so, als handele es sich nicht um einen Vertrag, sondern eine unverbindliche Absprache.
Vieles spricht dafür, daß sich dahinter nicht Unberechenbarkeit oder Konzeptionslosigkeit des rechten israelischen Regierungschefs verbirgt, sondern Kalkül: Netanjahu will einen Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden mit den Palästinensern zum Dauerzustand machen. Die unter der Regentschaft Rabins begonnene Übergabe der in dem Abkommen als „ZoneA“ deklarierten palästinensischen Städte im Westjordanland wird mit einem Kompromiß in Hebron beendet, danach ist vorerst Schluß. Die palästinensischen Städte, in denen sich zu Zeiten der Intifada der stärkste Widerstand bildete, entpuppten sich für die israelischen Besatzer als lästigster Bestandteil des von ihnen okkupierten Territoriums. Nutzen hatten sie für Israel nicht, dafür lieferten sich dort beständig Palästinenser Straßenschlachten mit israelischen Soldaten.
Der Abzug der israelischen Besatzungstruppen aus den ländlichen Gebieten des Westjordanlandes – laut Vertrag sollte er bis zum September dieses Jahres abgeschlossen sein – soll laut Netanjahu auf 1999 verschoben werden. Der Zeitpunkt ist gewählt, weil er in weiter Ferne liegt und weil dann eigentlich die sogenannten Endphaseverhandlungen über die palästinensische Autonomie beendet sein sollten. Ursprünglich sollte dabei unter anderem über den endgültigen Status Jerusalems verhandelt werden und – unausgesprochen – über die Gründung eines palästinensischen Staates. Doch ginge es nach Netanjahu, würde dann erst einmal über – längst zugesagte und überfällige – weitere Teilabzüge im Westjordanland diskutiert werden. Dann wäre die einst von Schimon Peres gepriesene neue Friedensordnung im Nahen Osten passé, dafür würde quadratmeterweise über Äcker und Weiden gefeilscht. Das international als israelisch-palästinensischer Friedensschluß gefeierte Vertragswerk von Oslo wäre damit endgültig zur Makulatur geworden. Thomas Dreger
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