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„Die DDR kann nicht mehr gegen die BRD gewinnen“

Gregor Gysi, immer noch der heimliche Chef der PDS, fordert vor dem Parteitag am Wochenende die PDS auf, endlich politikfähig zu werden  ■ Ein Interview von Jens König

taz: Herr Gysi, Sie haben letztens bekannt, Ihre Beklemmungen vor PDS-Parteitagen seien größer als die vor Bundestagssitzungen, obwohl auch die schon beträchtlich seien. Das spricht nicht gerade für Ihre Partei.

Gregor Gysi: Stimmt. Aber wahr ist es trotzdem, das ist ja das Eigenartige. Unsere Parteitage haben in den letzten Jahren so etwas Unerbittliches bekommen. Alles scheint immer gleich existentiell wichtig zu sein. Ich kann vorher immer weniger einschätzen, was auf unseren Parteitagen passieren wird. In Bonn weiß ich eher, was rauskommt.

Also lieber mit Helmut Kohl als mit Sahra Wagenknecht?

Unsinn. Es geht nicht darum, mit wem ich was lieber mache. Ich will damit nur sagen, daß die Kultur des Umgangs miteinander in der PDS zu wünschen übrig läßt.

Wie groß sind die Beklemmungen jetzt, wenige Tage vor dem Parteitag in Schwerin?

Wie immer: relativ groß. Ich bin jemand, der abhängig ist von Stimmungen. Ich weiß nicht, wie die Atmosphäre in Schwerin sein wird.

Man hat den Eindruck, Sie sind in den letzten Monaten dünnhäutiger geworden. Sie haben Ihrer Partei vor ein paar Wochen in einem persönlich gehaltenen offenen Brief die Leviten gelesen. Dann haben Sie sehr gereizt reagiert, als Sie aus den eigenen Reihen dafür kritisiert worden sind, eine bundeseigene Wohnung in Berlin billig gemietet zu haben. Und jetzt lassen Sie bis zum Parteitag offen, ob Sie wieder für den Bundesvorstand kandidieren. Leiden Sie an der PDS?

Natürlich leidet man an dem, woran man am meisten hängt. Die Bundesrepublik ist dabei, sich radikal zu verändern, und die PDS hat reelle Chancen, an Einfluß zu gewinnen. Wir laufen aber Gefahr, diese Chance zu verschenken. Eine Partei, die Veränderungen erreichen will, muß auch Einfluß wollen. Nicht wenige von uns würden die PDS aber am liebsten als kleine, reine Partei sehen, die nichts weiter macht, als ihr Milieu zu kultivieren und ihre altes Feindbild zu pflegen. Das ist nicht nur unpolitisch, sondern auch ziemlich blöd.

Sind Sie persönlich enttäuscht von Ihrer Partei?

Wenn man sich so über Jahre engagiert, sich für seine Partei aus dem Fenster hängt und sich dabei eine ganze Menge Beulen holt, und dann nehmen einige in der Partei eine Geschichte aus einer Boulevardzeitung, wie die mit der Wohnung, zum Anlaß, um mir unsoziales Verhalten vorzuwerfen, dann enttäuscht mich das schon.

Was man Dünnhäutigkeit betrifft: Sicher bin ich empfindlich. Als ich in den 70er Jahren als Anwalt anfing zu arbeiten, gab es in der DDR noch eine tiefe Anwaltsfeindlichkeit. In fast jedem Strafverfahren herrschte ein eisiges Klima gegenüber dem Verteidiger.

Sie hatten immer Angst, von der Politik abhängig zu werden, weil man in der Politik an Persönlichkeit verliert. Treibt Sie diese Angst gegenwärtig mehr um als sonst?

Nein. Aber ich weiß, daß ich mich entscheiden muß: Mache ich Politik bis zur Rente oder finde ich irgendwann den Ausstieg, um noch ein anderes Berufsleben zu führen. 1998 bin ich 50 Jahre alt, vier Jahre später bin ich 54 – da könnte es schon sehr spät sein. Dann könnte ich von der Politik abhängig sein. Das wollte ich immer verhindern.

Von der Politik nicht abhängig zu werden, war auch ein Grund dafür, daß Sie 1993 als Parteivorsitzender zurückgetreten sind. Muß die PDS damit rechnen, 1998 ohne Gregor Gysi um den Einzug in den Bundestag zu kämpfen?

Meine Entscheidung, ob ich noch einmal für den Bundestag kandidiere, werde ich in diesem Jahr fällen. Von meiner persönlichen Lebensplanung her kann ich mir beides vorstellen. Eine Kandidatur hängt aber insbesondere von der viel entscheidenderen Frage ab, ob die PDS so politikfähig wird, wie ich es mir wünsche, oder ob sie lieber in ihrem Milieu vor sich hin ideologisieren will.

Ihr Rücktritt 1993 hing auch mit der IM-Tätigkeit André Bries zusammen, die er verschwiegen hatte. Sie haben von der IM-Tätigkeit jahrelang gewußt, aber nichts gesagt. Vor einer Woche ist bekannt geworden, daß Hanno Harnisch, der PDS-Sprecher, IM der Stasi war. Sie haben wieder vorher davon gewußt, aber wieder nichts gesagt. Hat sich in der PDS über Jahre hinweg nichts geändert?

Die beiden Fälle sind nicht vergleichbar. Brie war damals Berliner Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender, Harnisch dagegen – ich will das nicht gering bewerten – ist Angestellter der Partei. Das ist nicht nur ein formaler Unterschied. Außerdem verkennen Sie eine Schwierigkeit: Wie würden Sie mich beurteilen, wenn ich über vertrauliche Gespräche informiere? Auch als Politiker bleibe ich Anwalt. Im übrigen kannte ich keine Details, sondern wußte nur allgemein von Kontakten.

Aber Sie haben sich dafür auch nicht interessiert.

Wir haben jetzt Harnischs Akte bei der Gauck-Behörde angefordert. Danach werden wir seine IM- Tätigkeit bewerten. Wir wollen, wie in anderen Fällen auch, eine individuelle Bewertung vornehmen und keinen, nur weil er IM war, pauschal verurteilen.

Wie finden Sie, daß Hanno Harnisch Ihnen gegenüber jahrelang verschwiegen hat, für die Stasi gearbeitet zu haben?

Ich war enttäuscht, daß er es mir nicht gleich gesagt hat. Zeit war genug. Aber irgendwie verstehe ich es auch, denn gerade 1990 waren solche Bekenntnisse schwierig.

In der PDS nimmt die Verklärung der DDR wieder zu. Die PDS-Bundestagsgruppe faßt 1996 Beschlüsse, in denen sie feststellt, daß die DDR nicht demokratisch war. Muß die Parteispitze ihren Mitgliedern neuerdings wieder klarmachen, daß die DDR gescheitert ist?

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich auf dem SED-Sonderparteitag im Dezember 1989 daran gedacht habe, Egon Krenz zu schützen, weil ich nicht nur verbale, sondern auch körperliche Übergriffe befürchtet hatte. Das, was Sie in Ihrer Frage unterstellen, ist nicht ganz falsch – aber es greift zu kurz. So einfach verändert sich historisches Bewußtsein nicht. 1990 konnten die meisten Ostdeutschen gar nicht schnell genug ihre DDR-Identität verlieren. In den Jahren danach war das vorherrschende Grundgefühl im Osten die Fremdbestimmung durch den Westen. Daraus resultiert, daß sie die DDR heute anders bewerten und damit auch ihr Leben in der DDR.

Aber in der PDS geht diese differenzierte Bewertung der DDR in Verklärung über.

Weil diese Entwicklung, die für den ganzen Osten steht, in einer Partei wie der PDS in besonderer Weise kulminiert. Da geht die differenzierte Bewertung der DDR partiell in Verklärung über. Politisch fatal ist, daß viele unserer Mitglieder sich auf einen Vergleich von DDR und BRD einlassen. Und sie glauben auch noch, das ist besonders schlau. Dabei gibt es nichts Aussichtsloseres, als nachträglich die DDR gewinnen lassen zu wollen. Wenn also einer an diesem Vergleich Interesse hat, dann ist es die CDU. Denn wenn die PDS die DDR-Partei ist, dann ist die CDU die BRD-Partei, und sie kann sich getrost auf diese Auseinandersetzung einlassen.

Schlechte Aussichten für eine moderne linke Politik.

Deswegen brauchen wir einen Kultursprung. Wir müssen von einem Fremdkörper dieser Gesellschaft zu einem Teil von ihr werden. Das hat nichts mit Anpassung zu tun, wie viele bei uns glauben. Die PDS ist die einzige Partei, die ein Verständnis für die Gefühle der Ostdeutschen entwickelt hat. Nur: Wenn wir diese Bundesrepublik verändern wollen, dann müssen wir eine Partei dieser Bundesrepublik werden.

Nicht nur die anderen Parteien haben ja Angst vor uns, sondern wir auch vor ihnen. Viele bei uns fürchten sich vor Veränderungen. Aber wenn heute die Daimler- Benz-Arbeiter für die 100-Prozent-Lohnfortzahlung auf die Straße gehen und ich mit dabeistehe, dann akzeptieren die das. 1990/1991 hätten die mich noch rausgeschmissen. Es gibt also im Westen mittlerweile eine größere Bereitschaft, uns bundespolitisch wahrzunehmen, als dem von der PDS selbst entsprochen wird.

André Brie hat das im Sommer so ähnlich formuliert und gefordert, die PDS müsse in der Bundesrepublik ankommen. Sie haben das damals als den Beginn einer neuen Debatte über das Selbstverständnis Ihrer Partei charakterisiert, gleichzeitig aber eingeräumt, daß diese Debatte nur zufällig über die PDS gekommen sei. Ist sie jetzt zufällig wieder versandet?

Den Eindruck habe ich nicht. Ich glaube eher, fast alle haben diese Debatte verinnerlicht. Diejenigen, die Veränderungen wollen, sind dabei genauso wach wie die, die sie verhindern wollen. Es geht um die Frage, welche Rolle die PDS in dieser Gesellschaft eigentlich spielen soll.

Wie wichtig ist dabei der Schweriner Parteitag?

Er ist auf jeden Fall atmosphärisch eine Zäsur. Er wird zeigen, ob diese Entwicklung hin zu Veränderungen gewollt ist. Und zwar nicht in erster Linie durch den einen oder anderen Beschluß, sondern vor allem dadurch, wie leidenschaftlich wir die wichtigsten Fragen unserer Politik debattieren. Wenn aber alle nur dann wieder auf den Tischen stehen, wenn es um die sechs automatisch garantierten Mandate für die Kommunistische Plattform geht, na dann gute Nacht.

Sie lehnen die Forderungen, die die anderen Parteien an sie stellen, wie jetzt die Grünen in ihrer „Wörlitzer Erklärung“, kategorisch ab. Aber sind das nicht die gleichen Forderungen, die Sie an Ihre Partei selbst auch stellen?

Nein, hätten die Grünen zum Beispiel Zeitung gelesen, dann wüßten sie, daß wir kein SED- Geld mehr haben. Außerdem ist es auch eine Stilfrage. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder an uns vier Forderungen stellt? Das ist eine grundsätzliche Anmaßung. Dieser Stil ist, mit Verlaub, ein westlicher: Da kommt so eine kleine Ossi-Partei, die ist nicht so, wie man sich das denkt. Da machen sie mal vier Vorgaben. Dann soll die PDS ihre Hausaufgaben machen und darf anschließend wieder zum Onkel Lehrer kommen. Der entscheidet dann, ob sie inzwischen die Note „Drei“ verdient. Die Grünen haben sich so etwas immer zu Recht verbeten. Unsere Klärungsprozesse führen wir schon selber.

Ist die Diskussion über die PDS eine Gespensterdebatte, wie Joschka Fischer sagt? Der meint, selbst bei einer rechnerischen Mehrheit 1998 von SPD, Grünen und PDS würde kein sozialdemokratischer Kanzler gewählt werden, der auf die Stimmen der PDS angewiesen wäre, mal ganz abgesehen davon, daß Deutschland vor schwierigen Zeiten stehe und eine stabile Regierung brauche.

Daran sehen Sie, daß Joschka Fischer schon sehr viel deutscher ist, als er das jemals zugeben würde. Eine klassische satte Regierungsmehrheit im Parlament wird in Deutschland als Stabilität verkauft. Italien, die Niederlande, Belgien haben mit ganz anderen Verhältnissen gelebt, ohne dabei je untergegangen zu sein. Natürlich ist es in Bonn für eine von der PDS tolerierte Regierung komplizierter, aber wo steht denn geschrieben, daß Politik immer einfach sein muß? Vielleicht wäre eine solche Regierung ein Akt der Integration der Ostdeutschen und ein Zugewinn an parlamentarischer Demokratie. Die Regierung müßte jedesmal eine Parlamentsmehrheit gewinnen, könnte sie nicht automatisch voraussetzen. Wenn ein Grüner diesen Mut zur Provokation nicht mehr besitzt, dann ist es mittlerweile auch um die Grünen traurig bestellt. Lieber wäre auch mir eine Regierung aus SPD und Grünen mit uns als linker und der CDU/CSU als rechter Opposition.

Gerhard Schröder hat gesagt, er könnte sich von der SPD, den Grünen und der PDS zwar als Kanzler wählen lassen, aber als Kanzler dann keine Politik mehr machen, weil die wirtschaftlichen und kulturellen Eliten eine von der PDS tolerierte Regierung nicht tragen würden.

Bei der kulturellen Elite würde ich das bestreiten – aber überlegen Sie mal, welches Demokratieverständnis dahintersteckt. Wir haben einen Souverän, das ist das Volk. Dieses Volk wählt ein Parlament. Aus der Mitte des Parlaments wird der Kanzler gewählt. Nun sagt mir ein sozialdemokratischer Spitzenpolitiker, darauf kommt es gar nicht an. Entscheidend sei, ob die Eliten den Kanzler akzeptieren. Dann kann ich die doch auch gleich alleine wählen lassen.

Wie kann die PDS regierungsfähig sein, wenn sie nicht mal politikfähig ist?

Letzteres ist sie, für mich aber nicht ausreichend. Es wäre zweifellos eine große Herausforderung für uns, und ich weiß nicht, wie wir mit der Tolerierung einer rot-grünen Regierung in Bonn zurechtkämen. Auf der andern Seite, wenn ich mir so angucke, wie in Bonn regiert wird – so schwer kann das nicht sein.

Können Sie eigentlich verstehen, daß alle anderen Parteien etwas gegen die PDS haben?

Ich verstehe, daß sie uns als genauso fremd erleben wie wir sie. Die alte Bundesrepublik ist nicht in der Lage zu begreifen, daß eine Partei links von der Sozialdemokratie westeuropäische Normalität ist. Wenn alle immer davon reden, daß sich die Bundesrepublik Deutschland normalisieren müsse, dann gehört die Akzeptanz der PDS in dieser Gesellschaft dazu. Erst wenn diese erreicht ist, hat Deutschland seine Spaltung überwunden. Die Ab- und Ausgrenzungsbeschlüsse gegenüber der PDS sind nur dazu da, um irgendwann gebrochen zu werden.

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