Zeigen, nicht zeigen etc.: Direkte Ansichten
■ Keine Einschränkungen bei der Darstellung von Sexualität: Das 70er-Aufklärungsbuch „Zeig Mal!“ wird nicht indiziert
Die monatelange Kampagne des Frankfurter Jugendamtes und der Wuppertaler CDU gegen den Verleger Hermann Schulz bleibt ohne juristische Folgen. Beide hatten im vergangenen Jahr heftig gegen das im linksliberalen Wuppertaler Peter-Hammer-Verlag erschienene Aufklärungsbuch „Zeig Mal!“ und die darin abgebildeten Fotos des deutsch-amerikanischen Fotografen Will McBride polemisiert. Die Vorwürfe gipfelten in einer Presseerklärung der Jungen Union, die unterstellte, SPD- Mitglied Schulz „gehöre wohl zu derjenigen Gruppe von Geschäftsleuten, die unter dem Deckmantel der Aufklärung Geschäfte mit Kindersex machen“ (taz v. 4.10. 1996).
Die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) wird das bereits im Erscheinungsjahr 1974 ohne Indizierungsbeschluß beendete Verfahren um das Buch nicht wiederaufnehmen. BPjS-Vorsitzende Elke Monssen-Engberding begründete diese Entscheidung in einem Schreiben an den stellvertretenden Leiter des Frankfurter Jugendamtes, Egon Lorenz, dessen Behörde die Indizierung von „Zeig Mal!“ beantragt hatte, verwaltungsjuristisch und inhaltlich: Der Prüfstelle lägen zum einen keine Hinweise auf eine seit 1974 veränderte Sachlage vor; zum anderen sei ein eigens beauftragter Gutachter „zu der Auffassung gelangt, ähnlich wie die Gutachter in dem 1974 anhängigen Verfahren bei der Bundesprüfstelle, daß dieses Buch nicht zu indizieren ist“. Gleichzeitig lag der Bundesprüfstelle ein Antrag auf Indizierung des 1988 im Beltz-Verlag erschienenen Nachfolgebandes „Zeig Mal Mehr!“ vor.
Das Gutachten des Bochumer Pädagogikprofessors Joachim Kroll gerät dabei auf sieben Seiten zu einer detaillierten wie pointierten Abrechnung mit Indizierungsantrag und CDU- Kampagne. Dem Frankfurter Jugendamt schreibt Knoll ins Stammbuch, sein mit dem Vorwurf der Pornographie begründeter Indizierungsantrag begebe sich „auf das Terrain von vermutbarer Wirkungsforschung. Die Passagen zur Wirkungsmöglichkeit sind wissenschaftlich falsch, in der Form unkontrolliert.“ Einzelne monierte Bilder würden im Antrag „aus dem Kontext der optischen Sexualbiographie der dargestellten Familie herausgelöst und vereinzelt, also eine Vorgehensweise, die von der Spruchpraxis der BPjS nicht gedeckt wird (...); indes kann ,Aufklärung‘ ohne die direkte Ansicht der primären Geschlechtsmerkmale nicht stattfinden, einschließlich der Abbildung des erigierten Gliedes zur Demonstration des Gebrauchs und der Applizierung eines Kondoms. Dies geschieht übrigens in anderen Aufklärungsbüchern, bei denen der Gedanke an eine Indizierung nie gekommen ist, in gleicher Weise.“ Der Gutachter geht damit allerdings nicht auf den Vorwurf des Frankfurter Jugendamtes ein, im ersten Band „Zeig Mal!“ sei auch das „erigierte Geschlechtsteil eines Kindes“ zu sehen. Tatsächlich sind im 14 Jahre nach „Zeig Mal!“ erschienenen und nun begutachteten Nachfolgeband „Zeig Mal Mehr!“ gerade noch auf drei Doppelseiten nackte Kinder zu sehen. „Wir haben damals schon ganz bewußt auf mehr verzichtet“, erinnert sich Fotograf Will McBride. „Was 1974 noch möglich war, wäre 1984 nicht mehr gegangen.“
„Die Bilder stehen in der Tradition der künstlerisch ambitionierten Schwarzweißfotografie, wie sie in den beginnenden 60er Jahren durch die seinerzeitige Kult- und Jugendzeitschrift Twen in Szene gesetzt wurde“, attestiert das Gutachten McBrides Fotos, die damit endgültig vom Vorwurf der Pornographie befreit sind und sowohl Wissenschafts- als auch Kunstvorbehalt für sich reklamieren dürfen, so Knoll: „Wesensmerkmal der Pornographie ist die Schilderung vorrangig sexueller Handlungen unter einseitiger Betonung der Genitalien, um beim Rezipienten einen Erregungszustand zu erzeugen.“ Weitere Kriterien seien „Stimulierungstendenz, Anstandsverletzung, Isolierung der Sexualität, unrealistische Darstellung, Aufdringlichkeit, Degradierung des Menschen zum Objekt. Daß diese Merkmale und Kriterien im vorliegenden Fall der Aufklärungsschrift ,Zeig Mal Mehr!‘ nicht vorhanden sind, ist unstrittig und vorstehend auch nachgewiesen. Ich empfehle der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, den Antrag auf Indizierung abschlägig zu bescheiden.“ Stefan Koldehoff
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