■ Normalzeit: Die große Globalisierungs-Entlarve
Sie hat jetzt – endlich – auch die „Wurst-Oase“ in der Wiener Straße erfaßt: Manuela bezieht seit dem 1. Januar 1997 ihren Senf aus China. Die Debatte darüber hält an, sie wird noch dadurch verkompliziert, daß die (linken) Kleinkritiker der Globalisierung zunehmend großmäuliger werden, während ihre (rechten) Apologeten immer dasselbe sagen.
Seit des Kanzlers komischer Beschimpfung deutscher Unternehmer als „vaterlandslose Gesellen“, die der Bundespräsident – von einem drohenden „Rückfall in die dreißiger Jahre“ sprechend – noch einmal aufgriff, hat sich auch noch das Links-rechts- Schema verknäult. Insofern SPD, Gewerkschaften und vor allem PDS das Ganze eher wieder rassisch entmischen wollen und einen starken Staat zur Durchsetzung vernünftiger Politik verlangen. Während die vermeintlich Rechten die Deregulierung beschleunigen, Behörden verschlanken und privatisieren wollen.
Paul Kennedy nennt die Globalisierung „das Signum des Jahrhunderts“, und ein FR-Kommentator spricht vom „Schlüsselbegriff“ der Jahrtausendwende, obwohl „der Kern des Wortes nebulös erscheint“. Aber: „Muß das sein?“ Nein, dazu müßte jedoch der „ideologische Anteil benannt und als solcher entlarvt werden“. Wäre dann alles in Ordnung? Der jüngst um seiner Kleinfamilie willen zurückgetretene US-Arbeitsminister, Professor Robert B. Reich, ein Globalisierungs- und Multikulti-Fan vor dem Herrn, sieht die reaktionäre Gefahr in den USA als eine Art antiglobalistische Zangenbewegung. Einmal durch die Tendenz zur Entmischung in homogene „Enklaven“ und zum anderen in der „Vereinigung“ aller echten Amerikaner gegen die anderen draußen (die Japaner vor allem): „Können wir Identität und Verantwortung zurückgewinnen – ohne ein neues Feindbild?“.
Den beiden Spiegel-Autoren Martin und Schumann schwebt trotz einer genau entgegengesetzten Haltung zur Globalisierung etwas Ähnliches vor: ein starkes Europa (mit Devisenbesteuerung und Öko-Standards bzw. -Steuern) – dies jedoch, um aus der „Globalisierungsfalle“ herauszukommen. Dagegen polemisieren nun wieder die Konkret-Autoren Ebermann und Trampert, indem sie nachweisen, daß erstens die deutschen Unternehmer viel zu wenig im Ausland investieren (1996 nur 6 Prozent) und zweitens „die Coupon-Schneiderei nur eine untergeordnete Rolle spielt“. Für sie ist der deutsche Kapitalismus so „national“, weil die Löhne hier so niedrig sind: „Setzt man die deutschen Löhne von 1970 gleich 100, stiegen die Lohnstückkosten in Deutschland bis 1994 auf 250, die der wichtigsten Handelspartner aber auf 481“. Das Kapital flieht nicht in Steueroasen und Billiglohnländer, sondern besteht gerade hier auf eine „Radikalkur“, weil es so ortsgebunden ist. Dieser Gedanke paßt gut in den nazi-paranoischen Konkret-Kontext.
Auch der Soziologe Ulrich Beck meint (in den Gewerkschaftlichen Monatsheften): Die tatsächliche Zahl der ins (billigere) Ausland verlegten Arbeitsplätze sei „sehr viel niedriger ... als die öffentliche Debatte darüber vermuten läßt“. Dennoch ist für ihn die Globalisierung als „Klassenkampf von oben“ eine „Entmächtigung“ von (bürgerlicher Profi-) Politik und deswegen – ebenso wie die Opec – abzulehnen.
Die Gewerkschaften müßten, um sie zu bekämpfen, über die immer weniger werdenden Arbeitsplatzbesitzer hinaus auch die „Globalisierungsverlierer“ als „Anwalt“ vertreten. In der FR (vom 9. 1. 97) kommen die Königsteiner Unternehmensberater M & A zu Wort: „Kaufrausch deutscher Konzerne – Die internationalen Firmenübernahmen erreichen Rekordniveau“. Allein von den acht größten Deals 1996 betrafen sechs die Übernahme amerikanischer Unternehmen, umgekehrt akquirierte das amerikanische Kapital hier 126 Firmen. Im „Café Global“ des Hauses der Weltkulturen meinte jüngst eine promovierte Schokoriegel-Händlerin aus Minsk: „Im Gegensatz zu euch haben wir das Schlimmste hinter uns – die Globalität von unten!“ Ob sie den alten proletarischen Internationalismus oder den neuen contra-lethargischen Zwang zur grenzüberschreitenden Geschäftigkeit meinte, blieb unklar. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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