Deutsch-französischer Krieg auf Strümpfen

Das neueröffnete Musée de la Mode et du Textile im Louvre zeigt in seiner ersten Ausstellung eine eher lückenhafte Sammlung. Die Konsumentinnen sind zwar großzügig, doch die Couturiers geizen noch mit Ausstellungsgeschenken  ■ Von Anja Seeliger

„Ooooh! Ist das bedruckt oder aufgenäht?“ Drei ältere Damen mit adretten Frisuren und Handtaschen, in die problemlos der Einkauf fürs Wochenende paßt, stehen vor einem prachtvollen Abendkleid von Madeleine Vionnet aus den dreißiger Jahren. Es ist aus weichem schwarzen Samt, mit einem kleinen Oberteil, dünnen Trägern und einem bodenlangen, nach unten weit ausschwingenden Rock. Im Grunde ist es ein sehr einfaches Kleid. Und doch ist es ein erstaunliches Kleid: Ab der Taille ist es mit weißen Samtrauten verziert – aufgedruckt oder aufgenäht –, die nach unten hin immer größer werden. Es sieht aus, als würde es tanzen.

Die drei Damen vor der Vitrine fachsimpeln mit großer Energie über die Machart. Pariserinnen! Es sind nicht die jungen, es sind die älteren Damen, derentwegen man dieses Wort heute noch mit Andacht aussprechen kann. Jede von ihnen eine Expertin in praktisch allem, was von zivilisatorischer Bedeutung ist. Sie wissen genauer als jeder Schlachter, welches Stück Fleisch das beste ist. Und sie wissen, wie man ein Kleid näht. Eine der drei geht jetzt in die Knie, schon etwas mühsam, und ruft dann: „Regardez! C'est appliqué. En bas, vous voyez le point. Oh, là, là, là, là!“ (Seht nur! Sie sind aufgenäht. Hier unten kann man die Stiche sehen.)

Ein Modemuseum ist an die Pariser nicht verloren. Vor zwei Wochen zog Paris mit New York und London gleich und eröffnete im Rohan-Flügel des Louvre ein großes Musée de la Mode et du Textile. Endlich haben die Sammlungen der Pariser Modeindustrieverbände, die den Fundus des Museums bilden, einen angemessenen Ort gefunden.

81.000 Stücke besitzt das Museum. Davon sind 35.000 Accessoires, 30.000 Stoffmuster und 16.000 Kleidungsstücke ab dem 17. Jahrhundert. 300 Stücke, vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis heute, sind auf zwei Etagen ausgestellt. Um nach und nach wenigstens den größten Teil des Bestands zeigen zu können und die empfindlichen Kleider zu schonen, wechseln die Ausstellungsstücke alle sechs Monate. Ausgesucht werden sie jeweils nach einem bestimmten Thema. Das Thema der ersten Ausstellung heißt: Geometrie. Danach folgt „Exotisme“, pünktlich zum fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens.

Kein Mondrian-Kleid von Yves Saint-Laurent

Im Ausstellungsraum herrscht ein dämmriges Licht. Da ist ein metallisch blaues Raumfahrerkleid mit breiten silbernen Streifen von Michèle Rosier. Und ein Metallkleid von Paco Rabanne aus vielen viereckigen Eisenplatten, die mit Draht verbunden sind, so daß jede der Platten einen Bewegungsspielraum hat. Hinsetzen ist also kein Problem. Es gibt Kleider von vielen berühmten Couturiers wie Jeanne Lanvin, Elsa Schiaparelli, Christian Dior und Coco Chanel. Das 18. und 19. Jahrhundert werden vor allem durch die unterschiedlichen Silhouetten definiert: Vom Cul de Paris zur Krinoline zum Directoire zum Panier. Ein Kleid aus dem 19. Jahrhundert ist aufgeknöpft, so daß man sein Innenleben studieren kann. Wer das gesehen hat, wird sich nicht mehr wundern, wenn es von einem schlichten geraden Couture-Kleid heißt, es bestünde aus 50 Teilen.

Flankiert wird dies alles von kleinen Vitrinen mit Accessoires: Schuhe, Korsetts, Handtaschen und – Strümpfe. Das schönste Paar ist mit einer roten Burgmauer bestickt, mit grauen Zinnen darauf. Auf dem linken Strumpf lugt zwischen den Zinnen ein blau-goldener Helm hervor, komplett mit preußischen Adler, auf dem rechten sieht man ein französisches Bajonett aufragen. Es handelt sich hier um eine Darstellung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Der Höhepunkt der Ausstellung ist jedoch die Vitrine mit sechs wunderbaren Kleidern von Madeleine Vionnet, darunter das schwarze Samtkleid mit den Rauten.

Und doch – nach einer Weile macht sich eine gewisse Enttäuschung breit. Einige der interessantesten Designer des 20. Jahrhunderts sind überhaupt nicht vertreten: nichts von Alix Grès, nichts von Comme des Garçons, nichts von Vivienne Westwood oder John Galliano. Und das eigentliche Versprechen – Geometrie – wird nur halbherzig eingelöst.

Da ist das Kostüm, mit dem Dior 1947 den „New Look“ begründete. Oder ein weißes Empire-Kleid von Paul Poiret, mit kleinen roten und grünen Blumen bestickt. Das ist schön, aber nicht geometrisch. Als wären diese glamourösen Stücke nur ausgestellt, weil die wichtigsten Kleider zu diesem Thema fehlen. Wo zum Beispiel ist das Mondrian-Kleid von Yves Saint-Laurent?

Auf diese Frage reagiert Madame Lydia Kamitsis sehr empfindlich: „Das Mondrian-Kleid konnten wir nicht ausstellen, weil wir es nicht haben. Wir haben überhaupt nur zwei historische Kleider von Yves Saint-Laurent: einen Smoking von 1966 und ein Spitzenkleid von 1968. Pierre Berge, der Manager von Yves Saint-Laurent, hat zwar immer wieder versprochen, daß Saint- Laurent dem Museum einige Kleider schenken würde, aber bis jetzt hat er es noch nicht getan.“ Madame Kamitsis ist höchstens Mitte Dreißig, Kunsthistorikerin und eine von vier Kuratorinnen des Museums. Die kurzen, weißblonden Haare ragen wie Stacheln von ihrem Kopf.

Die vage Enttäuschung über die Ausstellung wird nach Kamitsis' Ausführungen konkreter. Das Museum wird zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte von drei Modeindustrieverbänden getragen. Neunzig Prozent der Sammlung bestehen aus Geschenken von Konsumentinnen und Couturiers. Die Konsumentinnen verschenken jedoch eher ein Kleid aus den Dreißigern als ein Kleid aus den Achzigern, das sie immer noch tragen können. Und die Couturiers halten sich teilweise schon aus Prinzip zurück: Einige wollen überhaupt nicht ins Museum – nach dem Motto: Wer ins Museum kommt, ist schon tot – und andere sammeln ihre Kleider lieber selbst. Saint-Laurent beispielsweise könnte allein ein eigenes Museum bestücken. Hin und wieder macht er eine Ausstellung, aber dann bestimmt eben er, was gezeigt wird. Und es hängt auch keine unliebsame Konkurrenz direkt daneben.

Das Geld für Neuankäufe fehlt

So entsteht die paradoxe Situation, daß die Modeindustrie – immerhin zur Hälfte – ein Museum mitbetreibt, dem sie eigentlich mißtraut und das doch abhängig ist vom guten Willen der Couturiers und deren Kundinnen, denn das Jahresbudget für den Einkauf beträgt lächerliche 250.000 Franc, soviel wie ein bis zwei Couture-Kleider kosten. Und so gibt es statt einer vollständigen repräsentativen Sammlung, wie man sie von einem Pariser Modemuseum erwartet, ein großes Sammelsurium: Eine beeindruckende Vionnet-Sammlung mit 150 Kleidern, über 700 Schnittmustern und 75 Copyright-Alben, aber nur zwei Kleider von Yves Saint-Laurent.

Aber die werden gepflegt. Oben im vierten Stock hebt die Restauratorin Fabienne Vandenbrouck eine weiße Papierbahn hoch. Darunter liegt ein Kleid von Paul Poiret. Es ist aus türkisfarbenem Satin, mit Goldstickereien am Oberteil und einem Überwurf aus feinster brauner Gaze. „Einige Stellen sind porös. Zum Ausbessern nimmt man einen Faden, der reißbar ist. Das ist sehr wichtig. Die Reparatur darf nicht haltbarer sein als das Originalgewebe.“ Diesen feinen Gazestoff soll man reparieren können, mit der Hand? Dafür braucht man doch mindestens zehn Jahre! Eine andere Mitarbeiterin amüsiert sich und wird dann ernst: „Man darf sich nie beeilen.“

Dann geht es runter in den Keller. Hier lagern in einem langen Gang die Schneiderpuppen. „Jede Epoche hatte ihre eigene Figur“, sagt Joséphine Pellas, die Chefrestauratorin. Im 17. Jahrhundert waren die Menschen nicht nur kleiner, sie hatte auch vollkommen andere Figuren. Die Männer zum Beispiel hatten rundere Rücken und ein starkes Hohlkreuz, so daß das Hinterteil weit rausgedrückt war und ebenso der Bauch. So kamen die bestickten Westen besser zur Geltung. Außer den Puppen muß manchmal auch die Unterkleidung rekonstruiert werden. Etwa dann, wenn ein Kleid aus dem 19. Jahrhundert ohne die dazugehörige Krinoline geschenkt wird.

Und dann öffnet Pellas die Kellertür zu einem der zwei riesigen Räume, in dem die Kleider aufbewahrt werden. Die gut erhaltenen Stücke sind aufgehängt und mit großen Papierplanen bedeckt, die anderen mit Papier ausgestopft – damit sie die Form bewahren – in Schubladen gelegt. Vorsichtig hebt Pellas eine weiße Papierbahn hoch. Darunter hängen Herrenjacken aus dem 18. Jahrhundert, alle mit einer Reihe von Falten an den hinteren Seitennähten – Platz für den Degen. Sortiert sind die Kleider nach Epoche, Geschlecht und Gattung. Hier lagern unter anderem 915 Kleidungsstücke von verschiedenen Mitgliedern der Familie Eiffel und eine Kollektion, die die Vicomtesse de Bonneval stiftete: 1.033 Stücke, die über zwei Jahrhunderte belegen, wie sich eine französische Mittelklassefamilie im 18. und 19. Jahrhundert kleidete.

Fast scheint es, als läge den Konsumentinnen das Modemuseum mehr am Herzen als den Couturiers.

Musée de la Mode et du Textile. 107, rue de Rivoli, 75001 Paris. Ab Juli eröffnet in dem Museum noch eine Bibliothek mit Büchern, Graphiken, Fotos, Videos und einigen hundert Stoffmusterbüchern